Von der Druckform zur sozialen Arbeit: Veit Hohfeld verabschiedet sich in den Ruhestand

Kathy Keinemann übernimmt die Leitung der Stadtteil-Schule Dortmund

Die beiden schauen aus dem Fenster
Veit Hohfeld geht als Geschäftsführer der Stadtteilschule in Rente. Seine Nachfolgerin ist Kathy Keinemann. Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

Mit 66 Jahren, da fängt das zweite Leben an – zumindest für Veit Hohfeld. Der langjährige Geschäftsführer der Stadtteil-Schule Dortmund e.V. verabschiedet sich in den Ruhestand. Nach einem Vierteljahrhundert in der Nordstadt übergibt er an seine Nachfolgerin Kathy Keinemann, die den vielfältig ausgestellten sozialen Träger künftig alleine führen wird. „Ob ich mich so richtig freue? Jein“, sagt Hohfeld. „Ich habe immer gerne gearbeitet, auch wenn es oft fordernd war. Jetzt freue ich mich auf mehr Zeit – aber ich gehe auch mit einem tränenden Auge.“

Von der Druckerei zum Drückeberger und zum Sozialarbeiter wider Willen

Dass er einmal in der Dortmunder Nordstadt über 200 Mitarbeitende verantworten würde, hätte sich Veit Hohfeld als junger Mann wohl kaum träumen lassen. 1976 erlernte er seinen ersten Beruf: Druckformhersteller – „heute würde man das Mediengestalter nennen“, sagt er mit einem Lachen.

Der scheidende Chef gestikulierend im Interview
Machte sich mehr als ein Mal Gedanken über seine berufliche Zukunft: Veit Hohfeld. Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

Drei Jahre arbeitete er als Geselle in Alt-Scharnhorst, bis er merkte, dass da noch mehr gehen musste. „Ich lebte damals in einer WG, alle hatten studiert, nur ich musste morgens raus und meine Karten stechen. Da habe ich mir gedacht: Das kann doch nicht 40 Jahre so weitergehen.“

Ein einschneidender Moment kam, als die Einberufung zur Bundeswehr kam. „Ich habe verweigert – das war bei uns zu Hause ein Skandal“, erinnert er sich. „In Alt-Scharnhorst waren das alles Hoeschianer, da ging man zur Bundeswehr, heiratete, arbeitete. Für die anderen war ich das Arschloch.“

Er holte sich Unterstützung bei der VHS, saß als Einziger ohne Abi im Vorbereitungskurs zur Verhandlung. Am Ende landete er als Zivildienstleistender an einer Schule für Körperbehinderte in Langendreer – ein Perspektivwechsel, der vieles veränderte.

„Ich habe das erste Mal über den Tellerrand geschaut. Da habe ich gemerkt, dass mir pädagogische Arbeit liegt. Das hat mich angefixt“, berichtet Hohfeld rückblickend – und immer noch mit viel Leidenschaft.

Über Umwege kehrte Hohfeld zurück zur Pädagogik

Der Entschluss war gefasst: Abi nachholen auf dem Westfalenkolleg, drei Jahre Diskussionen, Debatten, Neugier. „Das war eine tolle Zeit. Ich habe gern diskutiert.“ Mit 28 schrieb er sich für Lehramt ein – Sport und Germanistik. Doch die Perspektiven im Lehramt waren damals mau, also brach er ab.

„Was kann ich machen, was ist meins?“, fragte er sich – und landete erst mal im Außendienst, später im Vertrieb, viele Jahre auch als Geschäftsführer für Lebensmittelprodukte. „Ich habe gelernt, Geldverdienen gehört dazu – Arbeit ist wichtig fürs Selbstwertgefühl.“

„ Ich war immer nur zwei Seiten weiter im Buch als die Schüler – das hat gereicht“

1999 kam das entscheidende Gespräch mit einem Fußballfreund: Er fragte, ob er sich nicht bei der Stadtteil-Schule bewerben wolle. „Ich war es gewohnt, mein Geld selbst zu verdienen. Aber das klang spannend“, so Hohfeld.

Der scheidende Chef gestikulierend im Interview
Veit Hofeld über das Team der Stadtteilschule: „Wir sind ein ziemlich wilder Haufen.“ Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

Er fing als Lehrer für ausbildungsbegleitende Hilfen bei der Stadtteil-Schule an – vor allem für gewerblich-technische Berufe. „Das kannte hier keiner. Ich habe Gießereimechaniker unterrichtet – ich wusste nix davon. Ich war immer nur zwei Seiten weiter im Buch als die Schüler – das hat gereicht“, sagt er und lacht.

Die Arbeit mit den jungen Menschen gefiel ihm. „Ich habe mir Bücher über Metallurgie gekauft. Aber Wirtschaft, Sozialkunde, Buchhaltung – das konnte ich aus dem Effeff“, berichtet er lachend.

Die Stadtteil-Schule war damals noch klein, selbstverwaltet, ohne feste Hierarchien. „Für mich aus der Wirtschaft war das eine totale Umstellung. Im Plenum wurde alles entschieden. Ich dachte mir: So kann das nicht funktionieren. Im Nachgang – naja, so ganz falsch lag ich nicht.“

Vom selbstverwalteten Chaos zum stabilen Träger

Die Jahre danach waren geprägt von Wachstum, aber auch von Strukturkämpfen. Hohfeld erinnert sich an die Umbrüche 2002/03: „Wir sind gewachsen, plötzlich mussten wir Finanzpläne machen, Liquiditätsplanung – vorher brauchte das keiner.“

Stadtteilschule Nordstadt
Die Stadtteil-Schule hat mittlerweile acht Standorte. Ihre Zentrale unweit der Westfalenhütte hat der Verein vor einigen Jahren gekauft.

Dann kamen die großen Hartz-IV-Reformen: Wir haben mit anderen Trägern riesige Maßnahmen umgesetzt, über 400 Plätze – und auf einen Schlag alles verloren, weil plötzlich nur noch der Preis zählte, nicht die Qualität.“ Doch statt aufzugeben, passte sich der Verein an, entwickelte neue Angebote, vernetzte sich stärker im Stadtteil.

Arbeitsmarktprojekte, Integrationsarbeit, Quartiersmanagement, zwei eigene Kitas – Schritt für Schritt wuchs die Stadtteil-Schule zu einem der wichtigsten sozialen Ankerpunkte in der Nordstadt. „Wirtschaftliches Handeln ist für einen gemeinnützigen Träger genauso wichtig wie für ein Unternehmen – nur darf man dabei nie die Gemeinnützigkeit gefährden.“

Verantwortung übernommen – und doch immer im Team

2010 kam der nächste Einschnitt: Der damalige Vorsitzende Gunter Niermann ging, Hohfeld sprang in die Bresche und übernahm den Job – damals noch als Führungstrio.

Der scheidende Chef gestikulierend im Interview
Veit Hohfeld musste die Stadtteilschule – gemeinsam mit dem dem Team – mehrfach neu erfinden. Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

„Wir waren damals 35 bis 40 Leute. Ich habe überlegt: Traue ich mir das zu? Dann habe ich es gemacht – immer mit einem starken Vorstandsteam. Wir haben Strukturdebatten geführt, Resilienz aufgebaut – und immer versucht, für die Nordstadt Arbeitsplätze zu schaffen.“

Der Anspruch blieb: Den Menschen im Stadtteil eine Stimme geben – und zugleich ein guter Arbeitgeber sein. Heute beschäftigt der Verein mehr als 200 Menschen. Über acht Standorte verteilt, an Schulen, in Nachbarschaftstreffs, in der Kita.

„Natürlich war das nicht immer rosig“, sagt Hohfeld. „Nicht alle Strukturen haben wir so schnell angepasst, wie es nötig gewesen wäre. Aber wir haben es geschafft, stabil zu bleiben.“

Ein Verein für alle, ein Team für viele

Besonders stolz ist er auf die bunte Mischung im Team: „Wir sind ein ziemlich wilder Haufen – Raumplaner:innen, Pädagog:innen, Sozialarbeiter:innen, Verwaltungsleute. Aber ich habe das Gefühl: Die Leute identifizieren sich mit ihrem Arbeitgeber. Das ist mehr wert als jeder Titel.“

Das Ausstellungs- und Buchprojekt „Echt Nordstadt“ gehörte zu den Höhepunkten seiner Arbeit. Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

Die Projekte, die gewachsen sind, liegen ihm am Herzen: von der Kita Krümelstube bis zum Bildungswerk, von Integrationskursen bis zu Elterncafés an Grundschulen. „Ich habe nie gesagt: Ich will weg von den Menschen. Ich habe diese Gespräche immer geliebt.“

Ganz wichtig war ihm dabei die Arbeit des Quartiersmanagements, die immer wieder neu auf den Weg und Weg gebrachter und weiterentwickelt werden mussten. Es gehört ebenso zu seinen Höhepunkten in der Arbeit wie das vom QM verantwortete Fotoprojekt „Echt Nordstadt“, welches in Zusammenarbeit mit Nordstadtblogger als Buch und Ausstellung erschienen war.

Kathy Keinemann übernimmt – und baut um

Ganz Schluss ist für Hohfeld trotzdem nicht: Die neue Kita, die in Kooperation mit dem VMDO entsteht, will er noch bis zur Eröffnung begleiten. „Ich erfreue mich guter Gesundheit – da mache ich noch ein bisschen weiter. Und beim Runden Tisch BVB und Borsigplatz bleibe ich sowieso dabei.“ Niemals geht man so ganz…

Veit Hohfeld im Gespräch mit Kathy Keinemann. Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

Seine Nachfolgerin Kathy Keinemann kennt die Stadtteil-Schule seit 2017. Gestartet im Elterncafé an der Albrecht-Brinkmann-Grundschule, wechselte sie in die Offene Ganztagsschule – und übernahm 2019 das Bildungswerk.

„Das lag nicht in Trümmern, als ich kam“, sagt Hohfeld, „aber sie hat es richtig groß gemacht. 25 Integrationskurse mit 400 Teilnehmenden – das ist ihr Verdienst.“

Strukturwandel statt Doppelspitze

Keinemann, studierte Sozialwirtin mit MBA, sieht sich als Teil einer großen Familie: „Unser Leben hier ist bunt. Wir versuchen, Bildung und Teilhabe niedrigschwellig zu ermöglichen, vor allem für Kinder und Familien. Ich möchte, dass die Stadtteil-Schule auch in Zukunft für Offenheit, Chancengleichheit und Zusammenhalt steht.“

Portrait der Chefin
Kathy Keinemann ist künftig alleinige Geschäftsführerin der Stadtteilschule. Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

Eine große Veränderung steht dabei an: Die Doppelspitze, die Hohfeld viele Jahre mit Kollegin Silvia Schütz bildete, wird es nicht mehr lange geben – auch Schütz verlässt  die Stadtteil-Schule zum Jahresende.

Perspektivisch leitet Keinemann den Verein dann alleine. „Das ist auch ein Change-Prozess“, sagt Hohfeld. „Wir stärken die Bereichsleitungen, geben mehr Verantwortung ab, bauen das Controlling aus. Heute bestellt ein Aufsichtsrat die Geschäftsführung. Das bringt Stabilität.“

Am 11. Juli wird der Abschied gefeiert, am 1. August geht Veit Hohfeld offiziell in Rente. Was bleibt? „Das müssen andere beurteilen“, sagt er leise. „Aber ich glaube, wir haben vielen Menschen in der Nordstadt eine Stimme gegeben. Und ein gutes Team hinterlassen. Mehr kann man nicht wollen.“


Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!

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