Der Evinger Geschichtsverein erinnert an die Zeit der Ruhrbesetzung

1923 in Eving: „Es war wie Krieg nach dem Krieg“

Bildquelle: Westfälisches Wirtschaftsarchiv Dortmund

Der Evinger Geschichtsverein erinnert in seiner nächsten Veranstaltung an die Zeit der Ruhrbesetzung. Diese hatte auch in Eving dramatische Folgen: So wurde am 1. Februar 1923 der Bergmann und Schuldiener Wilhelm Haumann in Brechten auf seinem Weg zur Zeche von einem französischen Posten niedergeschossen. Die Beerdigung, an der 15.000 Menschen teilgenommen haben sollen, war ein erster großer Protest gegen die französischen und belgischen Besatzer im Ruhrgebiet. „Es war die Zeit der Ruhrbesetzung, die am 22. Mai 2023 Thema des Evinger Geschichtsvereins ist“,  sagt Wolfgang Skorvanek, der Vorsitzende des Geschichtsvereins.

Ab Januar 1923 besetzten 100.000 französische und  belgische Soldaten das Ruhrgebiet

Alles begann nach dem Ersten Weltkrieg. Nach der Niederlage 1918 wurde Deutschland im Friedensvertrag von Versailles von den Siegermächten zur Erbringung von Reparationen verpflichtet, in erster Linie Kohle, Holz sowie finanzielle Entschädigungen für die angerichteten Schäden. Als Deutschland Ende 1922 mit den Kohlelieferungen geringfügig in Rückstand geriet, wurde dies als ein Verstoß gegen den Versailler Vertrag gewertet und eine Kommission errichtet, die unter dem Schutz der dazu „erforderlichen Truppen“ die Kohleproduktion „vor Ort“ kontrollieren sollte.

Am 11. Januar 1923 besetzten fünf französische und eine belgische Division mit einer Truppenstärke von 100.000 Mann zunächst Essen und Gelsenkirchen, dann Dortmund und Hörde sowie Teile des Bergischen Landes. Für die einheimische Bevölkerung begann eine mehr als 20 Monate dauernde schwere Zeit, die von Gewalt, Not, Elend und Hunger geprägt war. Es gab zum Teil erbitterte Auseinandersetzungen zwischen den Einheimischen und den Besatzern, auch Todesopfer.

Eving wurde 1923 zum Grenzort, nahe der östlichen Besatzungsgrenze, die von der Lippe in Lünen über Hörde zur Ruhr verlief. Es herrschte Ausnahmezustand im Besatzungsgebiet. Französische Mannschaften quartierten sich in Schulen ein. Zeitweise war so die Hälfte der vorhandenen Klassenräume der sechs Evinger Schulen besetzt. Offiziere logierten in etwa 50 requirierten Evinger Privathäusern. Wegen der strikt kontrollierten Grenze und den Einfuhrbeschränkungen kam es zu massiven Versorgungskrisen.

In der „Bartholomäusnacht“ wurden sechs Dortmunder Männer ohne Vorwarnung erschossen

„Es war wie ein Krieg nach dem Krieg“ sagt Bernd Süselbeck, Vorstandsmitglied des Geschichtsvereins, und sieht eine Spirale der Gewalt. Am 20. März 1923 wurde der Pförtner der Zeche Minister Stein, August Klaus, verhaftet, weil er zwei deutsche Flugblätter verteilte.

Erst auf massiven Druck des Betriebsrats und der Belegschaft kam er wieder frei. In der sogenannten „Bartholomäusnacht“ vom 10./11. Juni 1923 wurden sechs Dortmunder Männer ohne Vorwarnung erschossen, weil sie keine Information über eine Ausgangssperre hatten. Am Abend vorher waren zwei französische Soldaten an der Ecke Wilhelmstraße/Beurhausstraße ermordet aufgefunden worden.

Am 18. Dezember 1923 überfuhr ein französischer Regiezug in Eving einen Prellbock und entgleiste.
Am 18. Dezember 1923 überfuhr ein französischer Regiezug in Eving einen Prellbock und entgleiste. Bildquelle: Westfälisches Wirtschaftsarchiv Dortmund

Der französisch-belgische Plan, die Produktion zu kontrollieren und die für den Wiederaufbau dringend benötigte Kohle in die Heimat zu bringen, ging nicht auf. Die deutsche Regierung beantwortete die Ruhrbesetzung zunächst mit der Anordnung von passivem Widerstand. Die Besatzer sollten in keiner Weise unterstützt, Reparationsleistungen eingestellt und der Abtransport von Kohle und Koks sollten boykottiert  werden.  Die Kohleförderung  sank schließlich auf ein Minimum und die deutschen Eisenbahner weigerten sich, die Anordnungen der Besatzer zu befolgen.

Die Eisenbahner wurden wie viele öffentlich Bedienstete von den Besatzern ausgewiesen und die Franzosen  nahmen den Bahnbetrieb selbst in die Hand. Der Bahnhof Eving wurde am 19. Juli 1923 von den Besatzungstruppen übernommen.  Am 18. Dezember 1923 überfuhr ein französischer Regiezug in Eving einen Prellbock und entgleiste.

„Passiver Widerstand“: Die Arbeitslosigkeit erreichte in Dortmund fast 90 Prozent

Während des „passiven Widerstands“ zahlte das Reich zwei Drittel der Löhne, ohne damit zu verhindern, dass eine erhebliche Verschlechterung der Lebenssituation für viele Arbeiterfamilien eintrat. Ende September musste die deutsche Regierung die unvorstellbare Summe von 3500 Billionen Mark pro Woche aufbringen, um den passiven Widerstand zu finanzieren: Geld, das nicht vorhanden war. Die Gelddruckpresse und die Inflation nahmen ihren Lauf. Für die Beförderung eines Briefs zahlten Evinger am 4. November 1923 fast 135 Mio. Mark, für ein Pfund Brot am 1. November 1923 3 Milliarden, am 15. November 80 Milliarden und am 1. Dezember 260 Milliarden Mark.

Die Arbeitslosigkeit erreichte in Dortmund fast 90 Prozent. Im Mittelpunkt der Maiunruhen, die von Dortmund wegen der Mangelversorgung ausgingen, stand die Zeche Minister Stein. Schließlich wurde der passive Widerstand durch die neue Reichsregierung unter der Leitung von Gustav Stresemann aufgegeben und mit der Einführung der Rentenmark wurde die Überwindung der Inflation eingeleitet.

Der Evinger Geschichtsverein erinnert am Montag, 22. Mai, um 18 Uhr, im Wohlfahrtsgebäude (Nollendorfplatz 2, Dortmund-Eving) an den Ruhrkampf 1923. An diesem Abend wird nach den einführenden Vorträgen von Bernd Süselbeck und Wolfgang Skorvanek der LWL-Film „Hände weg vom Ruhrgebiet“ mit Original-Aufnahmen aus den Jahren 1923 bis 1925 gezeigt.

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