Rechter Kulturkampf: „Wir alle sind gefordert – wir stehen vor einer gemeinschaftlichen Aufgabe“

Nordstadtblogger lud zur Diskussion über Erfahrungen und Strategien

Austausch auf dem Podium.
Engagierte Diskussion, v.r.: Prof. Elisabeth Timm (Universität Münster), Dr. Kirsten Baumann (LWL Industriemuseen), Moderation Daniela Berglehn, Dr. Maxa Zoller (Frauenfilmfestival) und Levent Arslan (Keuning-Haus) Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

„Kulturkampf vor der Haustür“: Auf Initiative der ehrenamtlich arbeitenden Nordstadtblogger-Redaktion diskutierten und analysierten Kulturschaffende im Keuning-Haus in der Nordstadt über Erfahrungen und Strategien gegen Angriffe auf den Kulturbetrieb von Rechts. Es ging um Wertvorstellungen, Vielfalt, einen Blick in die Geschichte und Ideen für die Zukunft. Eine Veranstaltung im Rahmen der Verleihung des Karl-Zuhorn-Preises durch den Landschaftsverband Westfalen-Lippe.

„Der Antirassismus ist genauso alt wie der Rassismus“

Elisabeth Timm, Professorin für Kulturanthropologie an der Universität Münster, eröffnete den Abend. Ihr Fach hieß früher Volkskunde und ist eine vergleichsweise junge Disziplin, 1919 wurde die erste Professur dazu an der Universität Hamburg eingerichtet. „Dass man unter Kultur nicht nur Hochkultur verstand, sondern die Hervorbringungen aller Lebensweisen, das war damals neu“, erklärte Timm.

Prof. Elisabeth Timm im Profil.
Kulturanthropologin Prof. Elisabeth Timm Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Von Beginn an hätten zwei Strömungen diese Forschung geprägt: Eine national und nationalistisch denkende Strömung, die meinte, dass Gesellschaft und Staat eine einheitliche Kultur als Grundlage benötigen, die nicht ausgehandelt wird und über die man nie streiten muss. Sie mündete – laut Timm – in eine rassistische Idee von deutscher Kultur. 

Daneben habe es aber auch eine universalistische Strömung gegeben, die fasziniert war von den vielfältigen menschlichen Möglichkeiten, die sich überall auf der Welt in Geschichte und Gegenwart beobachten und als kulturelle und soziale Formen beschreiben und untersuchen lassen.

„Ich betone diese zweite, offene, universalistische Strömung nicht zur Ehrenrettung der damaligen Volkskunde, sondern ich betone sie, weil es wichtig ist zu wissen, dass der Antirassismus genauso alt ist, wie der Rassismus“, so Timm. 

Was ihre wissenschaftlichen Vorfahren fanden, als sie nach ,deutscher‘ Kultur suchten, sei vor dem Hintergrund dieser Tendenzen zu betrachten. Timm: „Unsere Forschungserfahrungen besagen: Lebensweisen und kulturelle Formen halten sich nicht an Reinheitsgebote, schon immer wurde über Zugehörigkeit, soziale Ordnungen und kulturelles Eigentum gestritten.“

Ein Museum zwischen Shitstorm und Widerstand

Eine Ausstellung wie „Das ist kolonial“ im LWl-Museum auf Zeche Zollern rüttelt am traditionellen Geschichtsbild und Selbstverständnis rechter Ideologien. Hier werden Fragen nach Schuld und Verantwortung gestellt und es gibt keine einfachen Antworten. Fast verwunderlich fand es daher Kirsten Baumann, Direktorin der LWL-Industriemuseen, dass das Museum Zollern so spät ins Visier rechter Gruppen geraten ist. Dann aber kam es umso heftiger.

Dr. Kirsten Baumann, Direktorin der LWL-Industriemuseen Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Um die Inhalte der Ausstellung ging es dabei nicht, vielmehr um den sogenannten „Safer Space“. Einen geschützten Raum, der an vier Stunden samstags, von 10 bis 14 Uhr, reserviert sein sollte, für vom Rassismus besonders betroffene Menschen. 

Vier AfD-Angehörige forderten an so einem Samstagmittag Einlass, bekamen den natürlich, filmten dann aber heimlich in der Ausstellung und das Aufsichtspersonal und versuchten die Mitarbeiter:innen mit Fragen zum Konzept unter Druck zu setzen.

Ihre Aufnahmen machten im Netz die Runde und mit ihnen die Aussage: „Rassismus gegen Weiße“. Selbst seriöse Medien griffen die Vorwürfe teilweise unreflektiert auf und der Shitstorm begann: „Wir haben an die 2.000 Hass-Kommentare erhalten. Einige davon wurden beantwortet, andere gelöscht oder gemeldet“, erinnert sich Baumann. 

Sie gibt zu: „Es hat uns kalt erwischt“. Etwa eine Woche nach dem Vorfall veröffentlichten sie ein Video, in dem die Ausstellung erklärt und vorgestellt wurde. Das Bild wandelte sich, positive Kommentare und Unterstützung gewannen die Oberhand. Baumann macht das bis heute Mut: „Man muss den Anfeindungen etwas entgegensetzen, etwas Sachliches.“ 

Inzwischen ist das Team im Kommunikations- und Krisenmanagement geschult. Die Besucherordnung wurde angepasst, Filmen und Fotografieren ist genehmigungspflichtig, auch Hausverbote können ausgesprochen werden. „Am Ende war die schlechte Presse sogar für etwas gut“, erzählt Baumann. Viele Besucher:innen hätten erst durch die Debatte etwas über die Ausstellung mitbekommen und das Museum besucht.

Kampf nicht nur vor der Haustür, sondern auch in den Institutionen

Solche Erfahrungen mit Shitstorm und rechter Hetze teilten auch die Gäste der Diskussionsrunde. Die Macher:innen von „Flintasialand“ aus der Nordstadt berichteten über ein provokantes Video des rechtsextremen AfD-Bundestagtagsabgeordneten Matthias Helferich im Vorfeld des Festivals, wo er dazu aufforderte, der queeren Community doch mal einen Besuch abzustatten. Es mussten zusätzliche Mittel für eine sicherere Durchführung des Festivals beantragt werden, es gab Gespräche mit der Polizei und der Stadt – letztendlich konnte das Festival sicher durchgeführt werden.

Maxa Zoller im Profil.
Dr. Maxa Zoller vertrat die freien Szene. Sie ist Leiterin des Internationalen Frauen-Film-Festivals Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Flinta, Queerness, Transgender, ja selbst Feminismus – Maxa Zoller ist künstlerische Leiterin des Internationalen Frauen-Filmfests Dortmund-Köln und Geschlechter-Politik ist für sie nichts Neues. 

„Seit 40 Jahren gibt es dieses Filmfest für Frauen. Und es musste sich aufgrund seines politischen Auftrages immer schon dem Mainstream entgegensetzen und sich inhaltlich erklären“, so Zoller. 

Mit vielen mutigen Filmen und einem tollen Frauen-Team habe sie viel bewegen können. Aktuell muss aber auch sie die Erfahrung machen, dass die Entwicklung rückwärts geht. „Frauenrechte wie Schwangerschaftsabbrüche werden kriminalisiert, viele Probleme kehren zurück“, sagt Zoller. Im Übrigen finde ihr Kampf nicht nur vor der Haustür statt, sondern auch in den Institutionen: 

„Nehmen Sie die letzte Documenta, da sieht man ja, wie schnell man mundtot gemacht wird, auch innerhalb der Kultur, wenn es kontrovers wird. Das müssen wir uns als Aufgabe machen, diese Antagonismen zuzulassen, auch wenn die Politik oder die Presse oder sonst wer uns den Hahn zu drehen möchte.“

Willkommenskultur und Vielfalt – wer gehört dazu?

Wie Zoller ist auch Levent Arslan erprobt im Kampf gegen rechtes Denken und den vermeintlichen Mainstream. Als er 2015 zunächst stellvertretend die Leitung des Keuning-Hauses übernahm, ging es nicht um Kulturangebote, sondern das Haus wurde zur Drehscheibe der ersten Flüchtlingswelle. „Nazis trauen sich hier nicht unbedingt hin“, sagt er „wir sind eine starke Community“. 

Maxa Zoller und Levent Arslan auf dem Podium.
Levent Arslan, Direktor des Keuning-Hauses Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Vielfalt sei die DNA des Hauses – schon immer. „Viele sagen, das hier sei das Haus der Migrant:innen“, so Arslan, „aber es ist ein Haus für alle“. Hier im Partykeller habe gerade noch das Tanzcafe stattgefunden, es gibt Reggae Konzerte und auch die Orchideenfreunde treffen sich hier. 

„Wir versuchen andere Erzählungen zu schaffen, auch durch Kultur, die dann positive Zukunftsvisionen ermöglichen“, erklärt Arslan seinen Ansatz.

Arslan hat sich nicht zuletzt aufgrund seiner persönlichen Geschichte sehr für das Dortmunder „Denkmal für die Gastarbeiter“ eingesetzt. Für ihn ist das so ein Bild, ein Denkmal, um das sich die Stadtgesellschaft versammelt und den Beitrag der Migrant:innen zum Wiederaufbau Deutschlands würdigt. 

Arslan: „Wir haben im Vorfeld viel miteinander darüber gesprochen und dieser Prozess war sehr wichtig. Dass ein Zusammenleben in Vielfalt auch eine schönere Zukunft sein kann, das ist ja das, was die AfD komplett negiert. Sie macht ja nur Horrorszenarien auf und behauptet, alles, was wir jetzt an Übel erleben, ist Schuld von Migration.“ 

Wie kommen wir raus aus der Defensive? 

Dialog, Kultur- und Bildungsangebote können helfen, Spaltung zu überwinden – doch sie allein werden gegen den Rechtsruck  nichts ausrichten können, da waren sich die Podiumsgäste einig. Kirsten Baumann sah die Kommunen in der Pflicht: „Die Kommunen müssen ertüchtigt werden, wieder ihrer Aufgabe nachzukommen. Das können sie seit vielen, vielen Jahren nicht, weil sie einfach viel zu schlecht ausgestattet sind.“

Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Konkrete politische Lösungen für die dringenden sozialen Fragen hätten Priorität, so Elisabeth Timm – während Arslan auch auf Emotionen setzte. Im Mikrokosmos-Kommune hätten die Menschen vor den Veränderungen Angst und dem sei schwer beizukommen.

Zoller ergänzte: „Wir haben die Arbeit auf der kommunalen Ebene, wir haben die internationale Vernetzung, also diese Dynamik zwischen diesen beiden Räumen. An den Universitäten haben wir bisher gelernt mit Vernunftwerkzeugen zu arbeiten und nun stellen wir fest, die greifen nicht mehr, denn  wir haben es mit Psychopathen und Narzissten zu tun. Die verschaffen sich gerade Platz in der Politik und die Frage ist, und dazu wird auch gerade geforscht, mit welchen Werkzeugen können wir die knacken?“

Aber ob im Akademie-Diskurs oder in der Begegnung – wie gehen wir konkret mit der Angst der Menschen um? Wie können wir sie vom rechten Rand zurück gewinnen? „Zurück in dieses Bewahrende“, so Arslan, „das ist das Sicherheitsversprechen der Rechten, aber das ist eine Illusion. Wir müssen darüber sprechen, was macht den Menschen überhaupt Angst?“ Für ihn ist es höchste Zeit, dass alle zusammenkommen: „Es gibt kein Allheilmittel, aber eines der besten Mittel ist Begegnung und Austausch. Wir stehen vor einer gemeinschaftlichen Aufgabe – wir alle sind gefordert.“


Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!

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