
Anlässlich des 80. Jahrestages des Kriegsendes am 8. Mai gab es im Keuning-Haus die Veranstaltung „Zukunft der Demokratie“. In Kooperation mit verschiedenen Vereinen und Initiativen beleuchteten Gesprächsrunden und Informationsstände die Kriegsfolgen aus unterschiedlichen Perspektiven und diskutierten die Auswirkungen auf die Demokratie heute, besonders im Hinblick auf zunehmende rechte Tendenzen. Die Veranstaltung wurde durch die Filmvorführung „Nordstadt unterm Hakenkreuz“ und die Fotoausstellung „Nordstadtansichten – zerstört und wieder aufgebaut“ unterstützt, die noch bis Ende Mai im Keuninghaus zu sehen ist.
Trotz des Kriegsendes dauert der Kampf für die Demokratie an
80 Jahre ist es nun her, dass die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg kapitulierte. Damit einher ging der Bruch des jahrelang geführten NS-Regimes, das – geprägt von menschenfeindlichen Ideologien – eine Vielzahl an Gräueltaten gegenüber diversen Gruppierungen verübte. Doch mit dem Ende der Herrschaft endete nicht das Bestehen menschenverachtender Überzeugungen, die sich nun auch in der heutigen Demokratie wiederfinden lassen.

„Der Weg zur Demokratie war lang und begann nicht unmittelbar mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Hinter uns liegen 80 Jahre bedeutender Geschichte und gesellschaftlichen Kampfes“ moderierte Thomas Oppermann, SPD-Vorsitzender und Stv. Bezirksbürgermeister im Stadtbezirk Dortmund-Nord, die Veranstaltung an.
„Dennoch steht die Demokratie heute unter Druck und wird zunehmend in Frage gestellt. Immer mehr Menschen wählen eine gesichert rechtsextreme Partei, die die Gleichheit aller Menschen ablehnt, was angesichts des faschistischen Regimes der Vergangenheit erschreckend ist“, ergänzt Oppermann. Umso wichtiger sei es aus seiner Sicht, besonders in diesem Jahr zu mahnen, was zwölf Jahre Faschismus angerichtet haben.
Diskriminierung von Rom:jna und Sinte:zze auch im Gesundheitswesen präsent
Neben zahlreichen Jüdinnen und Juden waren auch Rom:jna und Sinte:zze im Nationalsozialismus eine der am stärksten verfolgten Minderheiten, die heute noch mit Diskriminierung zu kämpfen haben. So wurden sie während des Zweiten Weltkrieges systematisch entrechtet, ausgegrenzt, verfolgt und ermordet. Auch heute zeigt sich die Diskriminierung weiterhin weitreichend und in allen Bereichen des Lebens, wie Roxanna-Lorraine Witt, Mitbegründerin von Save Space e.V., erklärt.

Dieser Verein umfasst auch Romano Than, einen Verein, der sich für die gleichberechtigte Teilhabe von Rom:jna und Sinte:zze in Dortmund einsetzt. Unter anderem werden heute noch Romnja und Sintezza in Krankenhäuser unter Druck gesetzt, sich Zwangssterilisieren zu lassen – meist unter dem Vorwand, dass sie bereits zu viele Kinder haben, wie Witt erklärt.
„Viele Romnja und Sintezza vertrauen auf die Expertise der Ärzte. Häufig wird so lange auf sie eingeredet, sich sterilisieren zu lassen, bis sie nachgeben. Manchmal spielt auch die sprachliche Barriere eine Rolle, die ausgenutzt wird. Zudem wissen sie, dass sie sich nicht wehren können, da ihnen oft die Mittel dazu fehlen.“
Homosexualität erst seit den 90er Jahren nicht mehr strafbar
Auch SLADO e.V., der Dortmunder Dachverband für Schwulen-, Lesben-, Bisexuellen- und Transidentenorganisationen, war unter den anwesenden Vereinen vertreten, der über das Vorgehen der NS-Kräfte gegen queere Menschen aufklärte. Bereits kurz nach der Machtübernahme 1933 begannen die Nationalsozialisten, Listen mit Namen von homosexuellen Menschen zu erstellen, um sie zu verfolgen, zu deportieren und hinzurichten.

Zugleich wurde der Paragraf 175 StGB, der sexuelle Handlungen zwischen Männern, die als „widernatürliche Unzucht“ bezeichnet wurden, umfassender kriminalisiert.
„Mit dem Ende des Krieges hörte die Verfolgung homosexueller Menschen nicht auf. Der Paragraf blieb bestehen. Zwar kamen sie nicht mehr in KZs, wurden aber weiterhin in Gefängnisse gesteckt, bis der Paragraf 175 im Jahr 1994 endgültig aufgehoben wurde. Das ist erst 30 Jahre her“ erklärt Paul Klammer, Geschäftsführer von SLADO e.V..
Doch auch heute noch wird in Gesetzgebungen die Diskriminierung aufgrund der Sexualität nicht unterbunden. So führt Klammer aus, dass zwar in Artikel 3 des Grundgesetzes festgehalten ist, dass niemand aufgrund seines Geschlechts, seiner Abstammung, Sprache oder seines Glaubens diskriminiert werden darf. Doch bis heute ist hier weiterhin nicht von Sexualität die Rede, wodurch eine legitimierte Diskriminierung stattfinden kann.
Zuvor widmeten sich ein Programm im DKH an die Jugendlichen
Auch Jugendliche wurden am besagten Tag im Dietrich-Keuning-Haus thematisch abgeholt. Noch vor Veranstaltung um 15 Uhr begann der Tag mit einem Programm für Jugendliche von weiterführenden Nordstadt-Schulen. In vier Arbeitsgruppen lernten die jungen Frauen und Männer, wie falsche Nachrichten, Fake News, entstehen und wie man sie erkennt sowie die Absicht, die dahinter ist.

Wer sich für den Legendenschild-Workshop entschieden hatten, erfuhr viel über die Widerstandskämpferin Martha Gillessen, nach der eine Straße am Blücherpark benannt ist, und formulierte eine entsprechenden Zusatz zum
Schild.
Weitere Gruppen beschäftigten sich mit der gesellschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik in den vergangenen 80 Jahren und mit dem Schreiben eines Sprechgesangs in der Rap-Arbeitsgruppe.
Nach anderthalb Stunden Bildung gab’s einen Imbiss und anschließend eine Vorstellungsrunde der Ergebnisse. Auf die Wunschwand steckten die Schüler*innen anschließend ihre Wünsche für die Zukunft der Demokratie.
Zunahme von Antisemitismus und Forderung nach einem „Schlussstrich“
Trotz der Teilnahme zahlreicher Vereine und Organisationen an der Mahnung zum Kriegsende, steht die Erinnerungskultur an die NS-Zeit zunehmend auf der Kippe. Die aktuelle MEMO-Studie der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ) zeigt, dass sich rund 38 Prozent der befragten Personen einen „Schlussstrich“ unter die NS-Vergangenheit wünschen.

Gleichzeitig war etwa ein Viertel der Befragten der Meinung, Jüdinnen und Juden würden die Erinnerung an den Holocaust zu ihrem Vorteil ausnutzen. Dass antisemitische Haltungen in der Gesellschaft zunehmen, bestätigt auch Micha Neumann, Leiter der Dortmunder Beratungsstelle für Antidiskriminierungsarbeit „ADIRA“ in Trägerschaft der Jüdischen Gemeinde.
Besonders seit dem 7. Oktober 2023, dem Angriff der Hamas auf Israel, hat sich die Lage weiter zugespitzt. Zugleich nimmt das Tabu ab, sich antisemitisch zu äußern, je weiter das NS-Regime zurückliegt, so Neumann. „Antisemitismus nimmt stetig in der Gesellschaft zu. Nach wie vor stehen jüdische Einrichtungen unter Polizeischutz, was ein bedenklicher Zustand im Hinblick auf die Geschichte ist.“
Weitere Informationen:
- Mitgewirkt bei der Veranstaltung haben zudem Mitglieder der Bezirksvertretung Innenstadt-Nord, Mitarbeiter:innen des Keuning-Hauses, Mitglieder vom Bündnis gegen Rechts, vom Friedensforum, vom Förderverein Gedenkstätte Steinwache/ Internationales Rombergpark-Komitee, von der Jüdischen Kultusgemeinde, vom Jugendring, vom Verein Romano Than und von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten
- Informationen zur aktuellen MEMO-Studie
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