
Der Lokaljournalismus hat sich in den letzten Jahren stark verändert, doch er wird weiterhin eine für die Demokratie wichtige Rolle spielen, indem er lokale Informationen an die Leser:innen heranträgt. Doch diese Rolle kann auch missbraucht werden. Nordstadtblogger hat die Entwicklung zum Anlass genommen, um im Rahmen einer Podiumsdiskussion zu fragen: Was ist die Rolle des Lokaljournalismus in der heutigen Zeit? Sargnagel oder Retter der Demokratie?
Ohne Lokaljournalismus weniger Kontrolle der Politik
Am Anfang gab Wiebke Möhring, Professorin für Online- und Printjournalismus an der TU Dortmund, einen Einblick in die Forschung: „Was würde passieren, wenn es keine Lokaljournalismus mehr gebe, würde das etwas ändern? Ja, auf jeden Fall!“, erklärte sie gleich zu Anfang. ___STEADY_PAYWALL___

Als das Internet ermöglichte, sich in digitalen Räumen zu treffen und dort zu kommunizieren, ging man davon aus, dass die Menschen kein Interesse mehr an lokalen Zusammenhängen hätten, weil sowieso alles viel globaler gedacht würde. Aber: „Die Forschung zeigt: Die Menschen brauchen weiterhin Nähe und Vertrauen“ und das fänden sie in den Lokalnachrichten.
Entwicklungen aus anderen Ländern, zum Beispiel den USA, zeigen außerdem, was passiert, wenn sogenannte „News Deserts“ entstehen, also Landstriche ohne Lokalmedium. „Die Wahlbeteiligung sinkt, die Gesetzesverstöße steigen an, die Kommune gibt zu viel Geld aus“, so Möhring und sieht einen Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein eines lokalen Nachrichtenmediums, das solche Missstände aufklärt, und dem Fehlen eines solchen lokalen „Watchdogs“.
Noch keine Form in der „digitalen Medienepoche“ gefunden

Dem stimmte der WDR-Journalist Michael Westerhoff in der anschließenden, von der Journalistin Paulina Bermúdez moderierten Diskussion zu: Früher habe es noch viel Berichterstattung über den Dortmunder Stadtrat gegeben, heute gebe es nur noch einen Bruchteil.
„Ich habe den Eindruck, dass die im Rat machen, was sie wollen, einfach weil sie wissen, dass ihnen keiner so genau auf die Finger guckt“, so Westerhoff. „Kein Lokaljournalismus bedeutet Demokratie-Verlust“, fügte der ehemalige Regierungspräsident Hans-Josef Vogel an.

Vogel gab zu bedenken, dass der Lokaljournalismus in der „digitalen Medienepoche“ seinen Platz noch nicht gefunden habe, aber gebraucht werde.
Die Qualität des Lokaljournalismus liegt in seiner „Nähe zum Geschehen, zu den Menschen“, erklärte außerdem die frühere Zeitungsredakteurin und Schatzmeisterin des Deutschen Journalisten Verbands Katrin Krömer. Das mache den Lokaljournalismus auch anstrengender als über Bundespolitik zu schreiben, weil der Journalist im Lokalen viel näher an den Akteur:innen dran sei.
Auswirkungen von Gesetzen auf lokaler Ebene erfahrbar
„Hier passiert das, was auf Bundesebene entschieden wird“, warf der Journalist und Nordstadtblogger-Gründer Alexander Völkel ein. Die direkten Auswirkungen von Gesetzen ließen sich auf lokaler Ebene besser beobachten und mit Betroffenen besprechen. Das ermögliche ein ganz anderes Verständnis von Sachverhalten, als wenn dazu nur ein:e Bundespolitiker:in Stellung nimmt.

Außerdem erfahren gerade die Menschen vor Ort, ob das System, in dem sie leben, überhaupt noch funktioniert, so Krömer. Ohne Lokalnachrichten fällt ein Urteil darüber, was gut oder schlecht läuft, deutlich schwerer und begünstigt eher die, die nur auf „die Politik“ schimpfen statt konkrete Lösungen anzubieten.
Dieses Selbstverständnis müsse aber auch mit einer kritischen Selbstüberprüfung von Lokalmedien einhergehen, betonte Vogel. „Bildet der Lokaljournalismus genügend Perspektiven ab? In den letzten Jahren war die Antwort darauf: Nein.“
Clickbait nur als „verzweifelter Versuch“ langweilige Inhalte zu platzieren
Ein weiteres Problem: Clickbait. „Clickbait ist der verzweifelte Versuch Menschen auf seine Website zu bringen“, erklärte Möhring. Statt sich auf Inhalte zu fokussieren, würden sich der Lokaljournalismus im Großteil nach den Plattformlogiken von Google, Meta und X richten.

Das sei vor allem deshalb kritisch zu sehen, weil auf diesen Plattformen nicht unbedingt die Wahrheit oder Fakten Aufmerksamkeit bekommen, sondern emotionalisierende und mitunter falsche Behauptungen, warf Vogel ein.
„Relevanz war mal der Begriff, über den wir gesprochen haben“, so Nordstadtblogger Alexander Völkel. Heute werde jedes noch so unwichtige Thema zu einer reißerischen Headline hochgeschrieben. „Wenn nur das angeboten wird, sollte man sich nicht wundern, warum niemand mehr komplexe Sachverhalte lesen will“.
Finanzierung des Lokaljournalismus muss neu aufgestellt werden
Und dann natürlich noch: die Finanzierung des Lokaljournalismus. Bei sinkenden Verkaufszahlen von gedruckten oder digitalen Zeitungen, werde die Tendenz in Zukunft mehr in Richtung Online-Angebote gehen, vermutete Krömer.

Es brauche aber auch endlich von der Politik ein Gesetz, das lokalen, gemeinnützigen Journalismus fördert bzw. überhaupt erst möglich macht, forderten Völkel, Krömer und Westerhoff.
Natürlich müsse der Lokaljournalismus in der Folge auch eine jüngere Zielgruppe mit neuen Formaten ansprechen, denn klar ist: der:die durchschnittliche Print-Zeitungsleser:in ist 75 Jahre alt, so Möhring.
Das Vertrauen in den Journalismus ist weiterhin sehr groß
Also zurück zur Ausgangsfrage: Was ist der Lokaljournalismus nun – Sargnagel oder Retter? Vor allem eine Form des Journalismus, die in einer Umbruchphase steckt, darauf konnten sich alle Podiumsteilnehmende einigen.
Was braucht es aber, um eine Zukunft als „Retter:in der Demokratie“ zu haben? „Zuerst müssen wir sagen, dass der Vertrauensverlust in die Medien in Deutschland nicht so groß ist, wie in anderen Ländern“, versuchte Möhring zu beruhigen. Sie verwies dazu auf die Mainzer Langzeitstudie zum Thema Medienvertrauen. 46 Prozent gaben demnach dort an, Medien weiterhin „eher“ oder sogar „ganz zu vertrauen“.

Der Lokaljournalismus müsse sich aber Gewahr werden, dass er das Bild der Gesellschaft vor Ort wesentlich mitprägt. Berichte über Gewalt würden Menschen im Zweifel nur über die Zeitung mitbekommen und ein zu starker Fokus darauf, könnte die Wahrnehmung hinsichtlich der Menge solcher Taten verzerren.
Außerdem müsse mehr auf Repräsentation in den Redaktionen geachtet werden, meinte Völkel:; „Es wird wichtiger mit vielen Gruppen zu sprechen, die keine Repräsentation haben oder verstummt sind.“ Vogel ergänzte: „Man muss jetzt viel ausprobieren, um den Lokaljournalismus wieder neues Leben einzuflößen.“
Mit innovativen Ansätzen und Ideen das Vertrauen der Leser:innen zurückgewinnen
Die Diskussion hat gezeigt: Der Lokaljournalismus kann durch innovative Ansätze und Ideen das Vertrauen der Leser:innen gewinnen. Trotzdem muss sich der Journalismus wohl darauf einstellen, Abschied von der Tageszeitung zu nehmen und digitaler zu werden. Davon würde auch die Demokratie vor Ort maßgeblich profitieren.

Die Diskussion fand im Rahmenprogramm der Verleihung des Karl-Zuhorn-Preises an die Nordstadtblogger-Redaktion statt. Es ist die vorletzte von sechs Veranstaltungen.
Der Wissenschaftspreis des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe zeichnete die ehrenamtliche Forschung der Ehrenamtsredaktion aus. Dr. Jens Stöcker eröffnete die gut besuchte Veranstaltung im Kino im Depot mit einem Grußwort.
Hier gibt es ein Video mit Ausschnitten zur Podiumsdiskussion:
Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!
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