
Was „Ton Steine Scherben“ mit Rio Reiser in den 1970er Jahren in Berlin-Kreuzberg war, war „Cochise“ ein Jahrzehnt später in Dortmund-Dorstfeld: eine Kultband der linken und alternativen Szene. Weit über Dortmund hinaus. Nun ist ein Livealbum mit einem Mitschnitt ihres Festival-Auftritts von 1981 erschienen. „Ein wahres Tonjuwel“, kündigt das Plattenlabel Sireena Records an.
Musik von „Cochise“ war für viele der Soundtrack ihrer Jugend

Das Album umfasst elf Songs vom „Open Ohr Festival“ in Mainz, einem Jugendkulturfestival, das seit 1975 jährlich zu Pfingsten stattfindet. Workshops, Kabarett, Livekonzerte und Diskussionen prägen das Programm. Die Lieder wurden aufwendig remastert – aus über 40 Jahre alten Bändern des Mainzer Kabarettarchivs.
Sie stammen von den ersten beiden Cochise-Alben „Rauchzeichen“ und „Wir werden leben“ sowie aus der Musik zu „Rolltreppe abwärts“, einem Theaterstück nach Hans-Günther Noacks Jugendroman über Heimjugendliche. Das Instrumentalstück „Rolltreppe abwärts“ wurde zur Erkennungsmelodie der Dortmunder Folkrockband. ___STEADY_PAYWALL___

Für viele waren die Songs von „Cochise“ der Soundtrack ihrer Jugend in den sozialen Bewegungen: Hausbesetzungen gegen Abriss und Leerstand, Proteste gegen die Startbahn West am Frankfurter Flughafen, gegen Atomkraftwerke, Polizeigewalt und für Frieden und Selbstbestimmung.
Szenehits wie „Jetzt oder nie – Anarchie! “ („Es gibt nur ein Gesetz: Es ist verboten zu verbieten. “) wurden gesungen wie einst „Brüder zur Sonne, zur Freiheit“. Einige Lieder wirken heute wieder aktuell. Etwa „Was kann schöner sein auf Erden“ – „als Bundeswehrsoldat zu werden. Ich kann dir sagen, was schöner ist, als der ganze Militaristenmist, 100.001 Sache, die ich lieber mache“.
Leider fehlen auf dem Livealbum Ansagen und O-Töne. Der Kontext der Songs erschließt sich nur ganz allgemein durch den kurzen Text im Booklet.

Die Band „Cochise“, benannt nach dem legendären Apachen-Häuptling, entstand im Zuge des Folk-Revivals, das aus den USA mit dem Newport Folk Festival und Künstlern wie Pete Seeger, Bob Dylan und Joan Baez nach Deutschland schwappte.

In Dortmund gründeten sich zahlreiche Gruppen, einige politisierten sich. Der „Aktionskreis für ein freies Jugendzentrum“ und die Räumung des besetzten Kulturzentrums in Wischlingen, das dem Revierpark weichen musste, schürten den Widerstand. Aus der Band „Manderley“ formierten Pit Budde und Klara Brandi 1979 „Cochise“.
Die Gruppe verband wie kaum eine andere politisches Engagement und Musik. Fast alle Lieder entstanden aus den Kämpfen ihrer Zeit. „Unsere Songs spiegelten unser Leben. Sie beschrieben, was wir erlebten und taten. Alles war real und entwickelte sich täglich neu“, sagte Songschreiber Pit Budde in einem Interview.

„Cochise“ spielte rund 1.000 Konzerte, darunter 1981 vor 300.000 Menschen bei der großen Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten. In Dortmund-Dorstfeld lebte die Band in einem gemeinsamen Haus in der Wörthstraße 63, das 1983 von der Polizei geräumt und später abgerissen wurde. Mit dem Ende der neuen sozialen Bewegungen und der Kommerzialisierung der alternativen Musikszene löste sich „Cochise“ 1988 auf.
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