Serie zum 150-jährigen Bestehen von Hoesch in Dortmund (Teil 3):

Schmied und Kranführerin: Einblicke in Arbeitsbiographien um 1871 und 1970

Die erste Hochofenanlage des Eisen- und Stahlwerks der Firma Hoesch auf der Westfalenhütte (1896). Zu dieser Zeit wurden hier rund 6.500 Arbeitskräfte beschäftigt, die zum massiven Bevölkerungszuwachs der jungen Industriestadt Dortmund beitrugen.
Die erste Hochofenanlage des Eisen- und Stahlwerks der Firma Hoesch auf der Westfalenhütte (1896). Zu dieser Zeit wurden hier rund 6.500 Arbeitskräfte beschäftigt, die zum massiven Bevölkerungszuwachs der jungen Industriestadt Dortmund beitrugen. Foto: thyssenkrupp Corporate Archives, Duisburg

Ein Gastbeitrag von Florian Pap (Münster) für das Hoesch-Museum

Die Wirtschaftskraft des Ruhrgebiets wurde im Rauch der Hochöfen geboren und von Menschen ermöglicht, deren Lebenswege häufig nur bruchstückhaft überliefert sind: Zehntausende von Arbeiter*innen, deren Alltag gefüllt war mit körperlicher Schwerarbeit, Familie, Wünschen und Träumen. Und so ist und war jeder Betrieb schon immer abhängig von der Arbeitskraft seiner Arbeiter*innen und den Wegen, die sie in die Schwerindustrie führten. Ihre Biographien gilt es, aufzuarbeiten und wertzuschätzen.

Im September 1871 gründet die Familie Hoesch das Eisen- und Stahlwerk in Dortmund

Als die Familie Hoesch im September 1871 das neue Eisen- und Stahlwerk in Dortmund gründete, schuf sie damit einen weiteren schwerindustriellen Standort für viele neue Arbeitskräfte, die ohnehin schon zu tausenden in die Region strömten.

Einer von ihnen war Johann Carl Westphalen (1849-1895). Der große und kräftige Sohn einer Bauernfamilie aus Hebram im Eggegebirge begann nach seiner Schulzeit zunächst eine Schmiedelehre. Sie wurde allerdings vorzeitig beendet, da Westphalens Körperkraft wohl derartige Hammerschläge zuließ, dass der Schmied um seinen Amboss fürchtete.

Westphalens berufliche Orientierung führte auch ihn dann um 1871 nach Dortmund, wo er als ungelernter Arbeiter den Aufbau der späteren Westfalenhütte im Gleisbau unterstützte. Bereits hier erkannten seine Kollegen und Vorgesetzten seine große Körperkraft und so wurde er nach Fertigstellung des Werks (1873) – auch ohne Ausbildung – als Schmied angestellt.

Im späten 19. Jahrhundert war die Arbeit körperliche Schwerstarbeit

Carl Westphalen, der "Eisenkönig von Hoesch" (um 1892). Das Portrait zeigt den Hoesch-Mitarbeiter und späteren Kraftakrobaten.
Carl Westphalen, der „Eisenkönig von Hoesch“ (um 1892). Das Portrait zeigt den Hoesch-Mitarbeiter und späteren Kraftakrobaten. Foto: aus Krömeke_Der starke Westphalen (2002)

Freundlich und hilfsbereit soll er gewesen sein und er sprang überall dort ein, wo viel Kraft benötigt wurde. In der Eisen- und Stahlproduktion des späten 19. Jahrhunderts war das so gut wie an jedem Arbeitsplatz, denn diese Arbeit war körperliche Schwerstarbeit, die außerdem durch lange Arbeitszeiten, Hitze und teils lebensgefährliche Tätigkeiten belastet war.

Noch 1955 erzählten ehemalige Arbeiter*innen vom starken Westphalen oder dem Eisenkönig von Hoesch, vor allem jene, die von ihm einen Fingerring geschenkt bekommen hatten.

Häufig auf seine Körpergröße und Kraft angesprochen, begann Westphalen bald, Fingerringe aus Metall zu verschenken, die groß genug waren, um ein Geldstück hindurchfallen zu lassen. 1874 heiratete er Auguste Abshoff, vermutlich die Tochter eines Kollegen, mit der er in den kommenden Jahren sechs Kinder bekam.

Mit seiner Familie zog er 1879 zurück nach Hebram und betrieb mit seinem Bruder eine Spedition (damals natürlich mit Pferdewagen). Vor allem aber verdiente er ab 1880 Geld als Ringer und Muskelakrobat. Er trat auf Jahrmärkten und in Varietés auf, verbog Metall oder rang mit Herausforderern. In dieser Karriere erreichte er bescheidenen Ruhm, der ihn bis nach London führte, bis er 1895 an Tuberkulose starb.

Die Eisen- und Stahlproduktion als Ort harter, körperlicher und gefährlicher Arbeit

Auch hundert Jahre später war die Eisen- und Stahlproduktion ein Ort harter, körperlicher und gefährlicher Arbeit. Um 1970 war dieser Industriezweig gezeichnet von zwei Weltkriegen und gewerkschaftlichen Errungenschaften, von Arbeitszeitverkürzungen über betriebliche Sozialpläne bis hin zu höherem Lohn.

Der Grieche Anastasios Kechaidis (rechts) mit Kollegen in den 1980er-Jahren im Warmwalzwerk der Westfalenhütte. Er steht für die immense Arbeitsmigration der Nachkriegszeit ins Ruhrgebiet, die dennoch nur eine von vielen Zuwanderungsbewegungen in die Region darstellte.
Der Grieche Anastasios Kechaidis (rechts) mit Kollegen in den 1980er-Jahren im Warmwalzwerk der Westfalenhütte. Er steht für die immense Arbeitsmigration der Nachkriegszeit ins Ruhrgebiet, die dennoch nur eine von vielen Zuwanderungsbewegungen in die Region darstellte. Foto: Hoesch-Museum Dortmund

Einen großen Teil davon trugen – im Schatten der Geschichte und ihrer Kollegen – weibliche Arbeitskräfte.

Sie übernahmen während der Weltkriege alle anfallenden Tätigkeiten und bewiesen tagtäglich, dass ihre Arbeitskraft gleichwertig war, nur um danach in die Verwaltung oder Kantine zurückgedrängt zu werden.

Eine eher unangenehme Position allerdings war häufig vakant: die Führung der Kräne in den Werkshallen. Die Bezahlung war vergleichsweise gering, der Weg auf den Kran gefährlich und Hitze, Gestank und Produktionsdämpfe sammelten sich beim Kran unter dem Werksdach.

Weil die männliche Belegschaft diesen Arbeitsplatz mied, da sie in anderen Bereichen mehr Zulagen bekam, musste die Werksleitung auf die sogenannte stille Reserve zurückgreifen. So wurde die Ausschreibung auch für Frauen geöffnet und sie konnten in einem zweiwöchigen Kurs einen Kranführerschein erwerben.

Die Geschichten der Kranführerinnen sind bis heute kaum aufgearbeitet

Die Kranführerin Maria Kreuch (links) und ihre Kolleginnen auf dem Werk Phoenix (1979). Die Führung der Werkskräne war eine risikoreiche und doch schlecht bezahlte Tätigkeit. Viele männliche Kollegen wollten diese Arbeit nicht ausüben, so stellte der Konzern weibliche Arbeitskräfte an.
Die Kranführerin Maria Kreuch (links) und ihre Kolleginnen auf dem Werk Phoenix (1979). Die Führung der Werkskräne war eine risikoreiche und doch schlecht bezahlte Tätigkeit. Viele männliche Kollegen wollten diese Arbeit nicht ausüben, so stellte der Konzern weibliche Arbeitskräfte an. Foto: Hoesch-Museum Dortmund

Berichte von Kranführerinnen gibt es aus vielen schwerindustriellen Betrieben, ihre Geschichten sind bis heute aber kaum aufgearbeitet. Sie erlangten diese Position über vielfältige berufliche Umwege, arbeiteten beispielsweise vorher im Einzelhandel und den Werkskantinen, hatten ein Studium abgebrochen oder kamen als Arbeitsmigrantinnen nach Dortmund.

Ebenso vielfältig sind ihre Einblicke in den Berufsalltag. Sie berichten von kollegialem Umgang und Respekt für ihre Tätigkeit, aber auch sexistischen Anspielungen. Sie erzählen von der Schwere ihrer Arbeit, der Genauigkeit, mit der die Werkstücke bewegt werden mussten oder, dass der Weg vom Kran zu lang für Pinkelpausen war, es aber niemand durch den Lärm und Dampf merkte, wenn man es einfach laufen ließ.

Sie waren häufig Mütter und Schwerarbeiterinnen zugleich, denen die goldene Zeit der Ruhrgebiets-Schwerindustrie ebenso zu verdanken ist wie Carl Westphalen und jeder anderen schwer arbeitenden Person, deren Arbeitsbiographien noch im Dunkeln liegen.


Literatur

  • Dascher, Ottfried (1992): ‘Die Eisen- und Stahlindustrie des Dortmunder Raumes (1847-1873). Entstehung und Gründerjahre’. In: Dascher, Ottfried; Kleinschmidt, Christian (Hg.): Die Eisen- und Stahlindustrie im Dortmunder Raum. Hagen: Gesellschaft für Westfälische Wirtschaftsgeschichte e.V., S. 65-80.
  • Eden, Sören; Möbius Thorben (2020): ‘Der Ort der ‘Betriebsgemeinschaft’ in der deutschen Gesellschaft 1933-1945’. In: Becker, Frank; Schmidt, Daniel (Hg.): Industrielle Arbeitswelt und Nationalsozialismus. Der Betrieb als Laboratorium der ‘Volksgemeinschaft’ 1920-1960. Essen: Klartext, S. 28-60.
  • Gladen, Albin (1982): ‘Die ‘soziale Frage’ im Prozeß der Industrialisierung Dortmunds’. In: Luntowski, Gustav; Reimann, Norbert (Hg.): DORTMUND. 1100 Jahre Stadtgeschichte. Festschrift. Dortmund: Fr. Wilh. Ruhfus, S. 249-270.
  • Hindrichs, Wolfgang; Jürgenhake, Uwe; Kleinschmidt, Christian; Kruse, Wilfried; Lichte, Rainer; Martens, Helmut (2000): Der lange Abschied vom Malocher. Sozialer Umbruch in der Stahlindustrie und die Rolle der Betriebsräte von 1960 bis in die neunziger Jahre. Essen: Klartext.
  • Krömeke, Eberhard G. (2002): “Der starke Westphalen“. Carl Westphalen. Der Herkules des Paderborner Landes. Lichtenau-Hebram: Arbeitsgemeinschaft Dorf Hebram/Hebram-Wald.
  • Lauschke, Karl (2000): Die Hoesch-Arbeiter und ihr Werk. Sozialgeschichte der Dortmunder Westfalenhütte während der Jahre des Wiederaufbaus 1945-1966. Essen: Klartext.
  • Mönnich, Horst (1971): Aufbruch ins Revier. Aufbruch nach Europa. HOESCH 1871-1971. Dortmund: HOESCH AG.

Quellen

  • Interviewtranskripte aus dem Hoesch-Museum Dortmund, die allerdings noch nicht archiviert wurden
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