
Schwache Ausbildungszahlen, zu hohe Lohnnebenkosten und eine Bundesregierung, die ihre Versprechen bricht – das Handwerk im Kammerbezirk Dortmund sucht auch in 2025 achtsam nach Wegen zu mehr Resilienz. Trotz der Anhäufung immer neuer Stressoren hält der Führungsstab um HWK-Präsident Schröder unaufgeregt und mit viel Innovationswille an ihrem Kurs für ein zukunftsfähiges Handwerk fest. Beim jährlichen Werkstattgespräch im frisch renovierten Attika geht es um Forderungen an die Politik und die Förderung der Selbstständigkeit mit brandneuer Kampagne.
Mit kühlem Kopf durch die heiße Zeit: Die Stressoren der HWK
Auch 35° Grad Außentemperatur kann der guten Stimmung am Abend des jährlichen Werkstattgesprächs mit der HWK-Führungsriege nichts anhaben. Gewohnt wertschätzend empfangen Präsident Schröder, Hauptgeschäftsführer Harder und Geschäftsführerin Mouelhi-Ort die Medienvertreter:innen für ein inzwischen traditionelles Get Together im Hauptsitz des Bildungszentrums an der Ardeystraße.

Dass es das Handwerk nicht leicht hat, dürfte inzwischen bekannt sein. Ausbildungszahlen von Minus zwei Prozent machen eine Annäherung an das Vor-Corona-Niveau undenkbar. ___STEADY_PAYWALL___
Das noch immer schwierige Image von Handwerksberufen in der Gesellschaft, mangelnde Mobilitätsbereitschaft und eine schleppende Lösungsorientiertheit bei der Umsetzung innovativer Rekruitingmaßnahmen tragen dazu bei, dass auch HWK-Ausbilder Stefan Kirchhoff aufmerksam die Stirn runzelt.
„Was die Qualität der Azubis angeht, haben wir alles dabei“, erklärt der Dozent für Gebäudesystemtechnik und sieht es positiv. „Um die 85 Prozent unserer Auszubildenden schaffen es am Ende aber doch bis zum erfolgreichen Abschluss.“ Was 2025 angeht, lässt sich noch keine verbindliche Aussage treffen. Dazu informiert die Geschäftsführerin Mouelhi-Ort, aktuelle Zahlen können wegen der späten Sommerferien frühestens im September veröffentlicht werden.
Reformen im Handwerk müssen her: Forderungen an die Bundespolitik
Eine abgeflachte Anfangseuphorie in die neue Regierung zeige zudem, dass sich mit Bundeskanzler Merz nach inzwischen 100 Tagen im Amt kaum merkliche Verbesserung abzeichnet. So kommen wahlkampfwirksame Versprechen wie die Senkung der Stromkosten nun doch nur der Industrie und der Landwirtschaft zugute.

Zudem steigen die Lohnnebenkosten im Handwerk auf 42,6 Prozent, was die Sicherung der Sozialversicherungssysteme, laut Schröder, prekarisiere und Handwerk schon jetzt nahezu unbezahlbar macht.
„Die neue Regierung weicht damit deutlich vom Aufstiegsversprechen ab“, meint Schröder, der selbst Geschäftsführer eines mittelständischen Schreinerei- und Holzbaubetriebs ist.
„Bleiben die Reformen weiter aus, wird sich niemand mehr leisten können, ein Haus zu bauen, um die Kosten zu Lebzeiten auch abzubezahlen. Das Handwerk muss an diesem Ende immer drauf- und mitbezahlen.“
Der Putz bröckelt: Leise Kritik an der Kommunalpolitik
Leise Kritik wird auch beim Thema Kommunalwahl lauter. Während Oberbürgermeister Westphal und der Rat insbesondere ihre Interessen verfolgen, Dortmund als Innovationshauptstadt Euopas in punkto Technologien und Forschung zu fördern, bekomme das Handwerk, laut Hauptgeschäftsführer Harder, viel zu wenig Aufmerksamkeit.
„Bröckelt der Putz von der Wand, sind die öffentlichen Toiletten marode oder die Straßen voller Schlaglöcher, fragen sich die Bürger:innen, was eigentlich mit all ihren Steuergeldern passiert“, erklärt Schröder an Alltags-Beispielen. „Die Kommunen sind die Benutzeroberflächen der Bürger:innen für den Staat: Verbessert sich nichts, geht das Vertrauen der Menschen in den Staat verloren,“ so Schröders logische Gleichung.
Bildungszentren als Vorreiter für „flächendeckendes Gesamtkonzept“
Beim Thema Bauaktivitäten im Kammerbezirk steigt das Launebarometer aber wieder um einige Punkte nach oben. Bei einem geschätzten Gesamtvolumen von 130 Millionen Euro ist die HWK Dortmund schon jetzt begeistert. Bei den umfangreichen Baumaßnahmen handele es sich um eine erfolgreiche Umsetzung von Leuchtturmprojekten in der beruflichen Bildung.

„Mit unseren zukunftsfähigen Bildungszentren im gesamten Kammerbezirk haben wir ein flächendeckendes Gesamtkonzept geschaffen, das die Gewerke immer besser miteinander verzahnt“, erklärt Berthold Schröder. „Damit sind wir bundesweite Vorreiter.“
Mit einer bewilligten Fördersumme von bisher 46 von insgesamt 80 Millionen Euro, die beantragt wurden, kann der erste Bauabschnitt zur Modernisierung und Erweiterung von 19 Werkstätten voraussichtlich 2027 fertig werden. Für den zweiten Bauabschnitt, der eine modernere Infrastruktur und mehr Aufenthaltsqualität beinhaltet, ist das Jahr 2030 angepeilt.
HWK-Offensive mit neuer Kampagne „STÄNDIG du selbst“
Das Beste kommt zuletzt. Viel Enthusiasmus verspricht schließlich die brandaktuelle Kampagne „STÄNDIG du selbst“. Immer weniger junge Menschen entscheiden sich für den Weg der Selbstständigkeit im Handwerk. Dem gegenüber stehen 47 Prozent der Handwerksbetriebe, die über kurz oder lang vor einem nachwuchslosen Generationenwechsel stehen.

Olesja Mouelhi-Ort, die die Kampagne leitet, vermutet die Ursachen dafür in teils begründeten, aber sicher auch unbegründeten Ängsten, die sich innerhalb des gesellschaftlichen Diskurses sedimentiert haben: zu viel Verantwortung, keine Absicherung, zu wenig Freizeit bilden die Top Drei der Argumente einer skeptischen, jungen Generation.
Statt „selbst und ständig“ gehe es in der neuen Empowering-Offensive aber darum „lieber ständig du selbst“ bleiben zu dürfen. Es gilt, Ängste in Gestaltungspotential zu verwandeln und Handwerker:innen Mut für ihre Unternehmensgründung zu machen. In wenigen Tagen geht die Kampagne online. Im Zentrum stehen handverlesene Vorbilder, sogenannte „Role Models“ aus dem Kammerbezirk, deren bewusst ungradlinige Werdegänge Narrativ und Herz der Kampagne sind.

Da ist zum Beispiel Farah Alfarhan, Augenoptikerin aus Hagen, die erst 2017 aus Syrien nach Deutschland kam, Deutsch lernte und eine Ausbildung begann. Mit der Unterstützung durch die HWK schaffte sie den Meistertitel und den Schritt in die Selbstständigkeit.
Heute ist sie Inhaberin ihres eigenen Optiker-Geschäfts. Diese und viele andere Erzählungen füllen die Kampagne mit Seele und fester Zuversicht, dass der Generationenwechsel im Handwerk im Kammerbezirk Dortmund auch gelingt.
Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!