
Zwei Jahre nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 bleibt Antisemitismus in Deutschland auf einem alarmierend hohen Niveau. Das zeigt die Publikation „Politischer Antisemitismus seit dem 7. Oktober“ des Bundesverbands RIAS. Sie behandelt in mehreren Beiträgen, wie antisemitische Einstellungen als politischer Mobilisierungsfaktor wirken, welche Akteursgruppen beteiligt sind und welche Folgen dies für Jüdinnen und Juden hat. Ein deutliches Zeichen setzen will daher in Dortmund auch das Netzwerk gegen Antisemitismus mit einer Gedenkkundgebung am kommenden Donnerstag (9. Oktober 2025).
Netzwerk lädt zum Gedenken an die Opfer von Halle und Israel
Unter dem Motto „Gemeinsam gegen Antisemitismus – Wir erinnern an die Opfer der antisemitischen Gewalt in Israel und Halle“ ruft das Netzwerk zur Bekämpfung von Antisemitismus in Dortmund zu einer Solidaritätskundgebung am 9. Oktober 2025 um 18 Uhr an der Reinoldikirche (Ostenhellweg / Ecke Brückstraße)auf. Anlass sind die Jahrestage des antisemitischen Anschlags von Halle 2019 und des Terrorangriffs der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023.

„Wir gedenken an diesem Tag den Opfern beider Taten“, heißt es im Aufruf des Netzwerks. In Halle hatte ein bewaffneter Neonazi am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur versucht, in eine Synagoge einzudringen, und anschließend zwei Menschen ermordet. Am 7. Oktober 2023, dem jüdischen Feiertag Simchat Thora, verübte die Hamas in Israel einen beispiellosen Terrorangriff, bei dem über 1.200 Menschen ermordet wurden.
„Gerade Halle mahnt uns, dass antisemitische Gewalt in Deutschland jederzeit Realität werden kann – mitten in unserem Alltag, mitten in unseren Städten“, betont Micha Neumann, Koordinator des Netzwerks. Doch auch der Angriff auf Israel sei „keine ferne Tragödie, sondern ein Angriff auf jüdisches Leben – mit globalen Folgen“.
Nach den Worten Neumanns sei es in den Wochen und Monaten nach dem 7. Oktober 2023 auch in Deutschland zu einem massiven Anstieg antisemitischer Vorfälle gekommen – „auf Straßen, in Schulen, in den sozialen Medien – auch hier in Dortmund“. Besonders besorgniserregend sei, dass antisemitische Gewalt teils relativiert oder sogar gefeiert werde.
Erinnerung, Solidarität – und klare Forderungen
Mit der Kundgebung will das Netzwerk ein Zeichen setzen – gegen jede Form von Antisemitismus und für Solidarität mit Jüdinnen und Juden in Deutschland, Israel und weltweit. „Antisemitismus ist kein Randproblem. Er ist eine Weltanschauung, die in letzter Konsequenz immer auf Gewalt hinausläuft“, heißt es im Aufruf.

Das Netzwerk weist darauf hin, dass Antisemitismus viele Gesichter habe: Verantwortlich seien unterschiedliche Täterinnen, die jedoch eine Ideologie verbinde. Neben dem Gedenken an die Opfer richtet sich der Blick auch auf die Gegenwart.
„Wir fordern die sofortige Freilassung der noch immer in der Gewalt der Hamas befindlichen Geiseln – unter ihnen auch deutsche Staatsbürgerinnen“, so Neumann.
Zugleich betonen die Veranstalter, dass Solidarität mit Israel und Empathie mit der Zivilbevölkerung im Gazastreifen kein Widerspruch seien: „Auch ihre Situation darf nicht relativiert werden. Unser Wunsch ist eine friedliche Koexistenz für alle Menschen in Israel und in den palästinensischen Gebieten.“
Die Kundgebung findet in diesem Jahr bewusst nicht am 7. Oktober, sondern zwei Tage später statt. Hintergrund: Der 7. Oktober 2025 fällt auf den zweiten Tag des jüdischen Laubhüttenfestes Sukkot. Aus Respekt vor dem religiösen Feiertag und den Betroffenen wurde das öffentliche Gedenken daher auf den 9. Oktober verlegt. Geplant sind Redebeiträge von Vertreter*innen jüdischer Organisationen sowie Mitgliedern des Netzwerks zur Bekämpfung von Antisemitismus. Angemeldet ist die Versammlung für rund 300 Teilnehmende.
Das Dortmund Netzwerk bündelt Engagement gegen Judenfeindlichkeit
Das Netzwerk zur Bekämpfung von Antisemitismus in Dortmund wurde 2018 gegründet und vereint rund 25 zivilgesellschaftliche Organisationen und städtische Institutionen. Koordiniert wird es von ADIRA, der Antidiskriminierungsberatungsstelle der Jüdischen Gemeinde Dortmund.

Ziel des Zusammenschlusses ist es, das Engagement gegen Antisemitismus zu bündeln, Prävention zu stärken und auf antisemitische Vorfälle in der Stadt schnell reagieren zu können.
Bereits in den vergangenen Jahren hatte das Netzwerk Kundgebungen anlässlich der Terroranschläge der Hamas organisiert. Mit dem diesjährigen Aufruf wollen die Initiator*innen an die Opfer erinnern – und zugleich ein deutliches Signal senden, dass antisemitische Hetze und Gewalt in Dortmund keinen Platz haben sollen.
Antisemitische Inhalte auf Versammlungen weiterhin präsent
Die Publikation „Politischer Antisemitismus seit dem 7. Oktober“ des Bundesverbands RIAS behandelt in mehreren Beiträgen, wie antisemitische Einstellungen als politischer Mobilisierungsfaktor wirken, welche Akteursgruppen beteiligt sind und welche Folgen dies für Jüdinnen und Juden hat. Im Zentrum steht die erstmalige Auswertung von 2225 Versammlungen, die zwischen Oktober 2023 und Ende 2024 stattgefunden haben. Dabei wurden antisemitische Inhalte in besorgniserregendem Umfang dokumentiert.

Die Auswirkungen des 7. Oktobers zeichnen sich deutlich im Protestgeschehen ab: Rechnerisch fanden pro Tag fünf Versammlungen mit antisemitischen Inhalten statt, vor dem 7. Oktober war es knapp eine. In 89 Prozent der Fälle handelte es sich um israelbezogenen Antisemitismus – dieser ging dabei oft mit anderen Formen von Antisemitismus einher.
Benjamin Steinitz, Geschäftsführer des Bundesverbands RIAS, fasst die Entwicklung deutlich zusammen: „Aufrufe zur Vernichtung Israels, Befürwortung von Gewalt gegen Jüdinnen und Juden, offene Unterstützung des Terrors der Hamas und die Relativierung der Schoa – all das ist zwei Jahre nach dem 7. Oktober zur bedrückenden Normalität geworden.“
Akteurslandschaft: Antisemitismus wirkt über politische Lager hinweg
Die Versammlungen sind von politischen Mischszenen geprägt: antiisraelische Aktivisten, islamistische Gruppen ebenso wie links-antiimperialistische Akteure demonstrierten gemeinsam auf Versammlungen. „Die Feindschaft gegenüber Israel ist das Bindeglied, das Akteure unterschiedlichster Spektren mobilisiert“, so Steinitz.
Wie Israelfeindschaft als vereinigende Strategie wirkt, zeigt die Analyse der transnationalen Gruppe Masar Badil. Die Gruppe feierte den Terror des 7. Oktober 2023 oder den Mord an zwei Diplomaten der israelischen Botschaft im Mai 2025 als „Widerstand“.
In Online-Seminaren vermittelt sie Kontakte zu terroristischen Akteuren wie der Hamas – trotz des Verbots der Terrororganisation.
„Aktiv wird in der breiten Bewegung der Palästina-Solidarität geworben, auch den gewaltsamen Kampf zu unterstützen. Das birgt ein enormes Radikalisierungspotenzial“, fasst Linus Kebba Pook, Geschäftsführer von Democ und Autor der Analyse, die Strategie zusammen.
Antisemitismus an Hochschulen gefährdet akademische Freiheit
Auch an den Hochschulen zeigen sich die Auswirkungen von mobilisiertem Antisemitismus. Die Anzahl der Vorfälle ist gestiegen – verbunden mit wachsendem Druck auf Studierende und Lehrende. Das Netzwerk Jüdischer Hochschullehrender beschreibt im Interview: „Antisemitische Diffamierungskampagnen und Boykottaufrufe gegen israelische Kollegen gefährden die Freiheit von Forschung und Lehre.“

Anwältin Kristin Pietrzyk betont, dass Universitäten Antisemitismus nicht untätig begegnen dürfen: „Lehreinrichtungen brauchen klare Schutz- und Deeskalationskonzepte, konsequentes Hausrecht und unabhängige Anlaufstellen.“
Sie vertritt die Klage eines jüdischen Studenten gegen die FU Berlin, der aufgrund seines Engagements gegen Antisemitismus schwer verletzt wurde. Auch das Netzwerk jüdischer Hochschullehrender fordert: „Hochschulen stehen in der Verantwortung, jüdisches Leben sichtbar zu schützen.“
Die Zunahme von antisemitischen Vorfällen hat zu einem steigenden Bedarf an Beratung und Unterstützung von Betroffenen geführt – besonders im Bereich der Schulen. „Die Herausforderung liegt darin, steigende Bedarfe mit begrenzten Ressourcen zu bewältigen“ berichtet Sebastian Mohr, Teamleiter der Antidiskriminierungsstelle SABRA. Gleichzeitig nimmt die gesellschaftliche Aufmerksamkeit für Antisemitismus ab – oft aus Sorge vor Konflikten.
Mehr Informationen:
- Mehr Informationen zum Dortmunder Netzwerk gegen Antisemitismus und den vollständigen Aufruf gibt es unter www.gegen-antisemitismus-do.de.
- Den gesamten Bericht von RIAS gibt es unter: report-antisemitism.de/BVRIAS_Politischer-Antisemitismus-7-Oktober.pdf


Reaktionen
Ulrich Sander
Dies habe ich auf der Seite des Fördervereins Gedenkstätte Steinwache / Internationales Rombergparkkomitee gefunden:
Solidaritätskundgebung des „Netzwerks zur Bekämpfung von Antisemitismus in Dortmund“ am 9.10.2025
Veröffentlicht am 29. September 2025
Gemeinsam gegen Antisemitismus – Wir erinnern an die Opfer der antisemitischen Gewalt in Israel und Halle – Stellungnahme des Fördervereins
Im Oktober jähren sich der rassistische und antisemitische Anschlag in Halle vom 9. Oktober 2019 sowie der Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023. Wir als Förderverein Steinwache – Internationales Rombergparkkomitee e.V. sind Mitglied im Netzwerk zur Bekämpfung von Antisemitismus in Dortmund. Den Flyer zur Veranstaltung finden Sie nachfolgend:
Flyer_Aufruf_Kundgebung_9.10_Gemeinsam_gegen_Antisemitismus_Dortmund_mit Ergänzung DeventerHerunterladen
Datum: Donnerstag, 09.10.2025 (…)
Bitte beachten Sie auch die Stellungnahme des Fördervereins Gedenkstätte Steinwache – Intern. Rombergparkkomitee e.V.:
Wenn es heißt, dass wir uns wünschen, dass die Menschen in Israel und Gaza friedlich leben können und nicht mehr unter der Gewaltherrschaft der Hamas und den Folgen des Terror leiden müssen, sollte auch die palästinensische Bevölkerung auch nicht mehr unter den ungeheuren Vergeltungs- und Vernichtungsschlägen des israelischen Militärs im Gazagebiet leiden müssen. Deutschland trägt eine besondere Verantwortung für die Sicherheit Israels und das Existenzrecht des jüdischen Staates, aber eben auch für die Einhaltung des Völkerrechts und den Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung. Wir müssen die Einhaltung des humanitären Völkerrechts einfordern und uns vieler Staaten anschließen, dass der Krieg im ersten Schritt über einen sofortigen Waffenstillstand beendet wird. Dazu gehört auch der sofortige Stopp von Waffenlieferungen, die von Israel völkerrechtswidrig in Gaza eingesetzt werden. Die Besatzung und die fortgesetzte Missachtung grundlegender Menschenrechte durch die jetzige israelische Regierung muss beendet werden. Das Aushungern, das Töten, die schrittweise Umsetzung zur Zwangsumsiedlung ist nicht zu rechtfertigen.
Gerade in diesen Tagen gibt es genug Gründe, für echten Frieden zu demonstrieren. Ob im Nahostkonflikt oder im Ukrainekrieg: Wer im Rahmen von Friedenskundgebungen die Aggressoren nicht benennt und die Angegriffenen noch belehrt, propagiert nicht Frieden, sondern Kapitulation. Eine Friedensbewegung darf sich nicht vor den Karren des Kremls spannen und muss es schaffen, die israelische Kriegs- und Besatzungspolitik zu verurteilen, ohne das Existenszrecht Israels in Zweifel zu ziehen.
Das Leid der Menschen ist unteilbar.
Georg Deventer / im September 2025
Till Strucksberg
Es ist sehr verdienstvoll von den nordstadtbloggern, dass sie immer wieder in langen Artikeln über Aktivitäten gegen Antisemitismus informiert. Was dabei irritiert, ist die Verunklarung und Erweiterung des Begriffs z.B. durch die Formulierung „antiisraelischer Antisemitismus“ oder durch das Zeigen von Bildern wie z.B. eines Pro-Palästina-Camps oder pro-palästinensischer Demonstrationen, als ob dies automatisch antisemitisch wäre. Ebenfalls irritiert die inzwischen zur Phrase verkommene Wortwahl zum 7.10. „beispielloser Terrorangriff mit über 1200 ermordeten Menschen“ – leider überhaupt nicht mehr beispiellos im Angesicht des Terror-Krieges der israelischen Armee mit über 60.000 ermordeten Menschen in Gaza und einer Zerstörung, die an Hiroshima und Nagasaki erinnert. Wo bleiben die Berichte über anti-islamische Vorfälle? Statt Einseitigkeit sollten wir Initiativen unterstützen, wo Israelis und Palästinenser gemeinsam gegen Krieg und Terror aufrufen z.B. die „Palestinians and Jews for Peace“ mit ihrem Aufruf „Gemeinsam in Trauer, gemeinsam für den Frieden“ und viele andere mehr.