Die Geschichte der Wirtschaft war sein Leben: Nachruf auf Ottfried Dascher (1936-2025)

Der Wirtschaftshistoriker, Buchautor und Archivar wurde 88 Jahre alt

Portrait von Ottfried Dascher
Der Wirtschaftshistoriker, Buchautor und Archivar Ottfried Dascher (1936-2025) starb am 3. Juli in Dortmund. Foto: Stadt Nidda

Von Gastautor Karl-Peter Ellerbrock

Wer sich in den 1970er und 1980er Jahren in Dortmund mit Wirtschaftsgeschichte beschäftigte, wusste sein profundes Wissen und seine Hilfsbereitschaft zu schätzen. Ottfried Dascher war von 1970 bis 1992 Leiter des Westfälischen Wirtschaftsarchivs bei der Industrie- und Handelskammer in Dortmund. Er starb am 3. Juli 2025 in Dortmund.

Bis zu seiner Pensionierung leitete er das NRW-Hauptstaatsarchiv in Düsseldorf

Ottfried Dascher wurde am 7. Dezember 1936 in einem kleinen Ort bei Nidda geboren. Sein Vater war der Lehrer Peter Dascher, der von den Nationalsozialisten in das kleine, nur wenige hundert Menschen zählende Dorf Ober-Lais aus politischen Gründen strafversetzt wurde, wie sich Ottfried Dascher noch jüngst erinnerte.

Ottfried Dascher 1983 im Westfälischen Wirtschaftsarchiv der IHK, gemeinsam mit seiner Mitarbeiterin Gabriele Unverferth. Foto: Westfälisches Wirtschaftsarchiv

Dascher studierte Geschichte, Germanistik, politische Wissenschaften und Volkswirtschaft in Berlin und Marburg, wo er im Juli 1965 mit einer Arbeit über das Textilgewerbe in Hessen-Kassel vom 16. bis 19. Jahrhundert promovierte.

Er war dann vom 1. Oktober 1965 bis zum 30. September 1967 Archivreferendar am Staatsarchiv in Marburg, absolvierte die dortige Archivschule und arbeitete nach seinem zweiten Examen als Archivrat. ___STEADY_PAYWALL___

Seit 1969 war er beratend beim Westfälischen Wirtschaftsarchiv in Dortmund tätig, dessen Direktor er im April 1970 wurde. Seit 1969 war er zudem Dozent an der Archivschule Marburg und seit 1974 nahm er einen Lehrauftrag an der Ruhr Universität Bochum wahr, wo er Archiv- und Quellenkunde lehrte. 1980 wurde er zum Honorarprofessor ernannt. 1992 übernahm Dascher bis zu seiner Pensionierung Ende des Jahres 2001 die Leitung des NRW-Hauptstaatsarchivs in Düsseldorf.

Dascher hatte große Verdienste um das Gedächtnis der regionalen Wirtschaft

Ottfried Dascher war Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Vereinigungen, so den Historischen Kommissionen für Westfalen, Hessen und Darmstadt und der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde. Als Vorsitzender der Fachgruppe Wirtschaftsarchive war er Vorstandsmitglied im Verein deutscher Archivare sowie Gründungsmitglied und Chairman des International Committee on Business Archives beim International Council on Archives.

„Kammer und Region“ – 125 Jahre Industrie- und Handelskammer zu Dortmund (1863-1888), herausgegeben von Ottfried Dascher. Foto: Horst Delkus

Zwischen 1970 und 1994 führte er die Geschäfte der Gesellschaft für Westfälische Wirtschaftsgeschichte, der Fördergesellschaft des Westfälischen Wirtschaftsarchivs. In seiner Doppelfunktion als Direktor des Archivs und Geschäftsführer der Gesellschaft verhalf er beiden Einrichtungen zu hohem Ansehen sowohl in der Stadtgesellschaft als auch in der wissenschaftlichen Fachwelt.

Er entwickelte die seit 1953 stattfindenden jährlichen Vortragsveranstaltungen zu einem wichtigen Ort des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens der Region. Renommierte Historiker wie Knut Borchardt, Werner Conze, Gerhard A. Ritter, Thomas Nipperdey oder Karl Dietrich Bracher füllten der Großen Saal der IHK zu Dortmund bis auf den letzten Platz.

1973 begründete er die Schriftenreihe „Untersuchungen zur Wirtschafts- Sozial- und Technikgeschichte“, die in der Methodendiskussion des Fachs Wirtschaftsgeschichte eine wichtige Rolle übernehmen sollte. Hier erschienen mit den Bänden von Carl-Ludwig Holtfrerich zum Ruhrkohlenbergbau 1973 und Rainer Fremdling zur Rolle der Eisenbahn, der 1985 als zweiter Band folgte, zwei Pionierstudien zur ökonometrischen, auf quantitativen Methoden basierenden Wirtschaftsgeschichte.

Ottfried Dascher in den 1970er Jahren. Foto: Westfälisches Wirtschaftsarchiv

Unter der Schriftleitung von Ottfried Dascher erschienen bis 1994 insgesamt 12 Bände. Besonders hervorzuheben ist Band 9, den Ottfried Dascher zusammen mit Christian Kleinschmidt 1992 herausgegeben hat und der sich der Geschichte der Eisen- und Stahlindustrie im Dortmunder Raum widmete. Das Buch ist noch heute ein Standardwerk.

Heute umfasst die Reihe insgesamt 32 Bände und hat diese Tradition weitergeführt. Mit den in der Methodendiskussion ebenfalls vielbeachteten Bänden über Unternehmenskommunikation (2000), den New Institutional Economics (2003) und Transformation in der Moderne (2021) wurden abermals neue Wege der Unternehmensgeschichte beschritten.

Wagner & Co in Dortmund. Die erste Werkzeugmaschinenfabrik im Ruhrgebiet, 1880. Foto: Westfälisches Wirtschaftsarchiv

Ottfried Dascher ist es gelungen, mit überregional gezeigten Ausstellungen, die von wissenschaftlich fundierten Katalogen begleitet waren, zwei bis dahin wenig beachtete Quellengattungen in das Licht der (wissenschaftlichen) Öffentlichkeit zu rücken. Historische Musterbücher und historische Firmenbriefköpfe sind seit „Fabrik im Ornament“ (1982) und „Mein Feld ist die Welt“ (1984) in der Wirtschaftsgeschichte nicht mehr wegzudenken.

Mit solch einem wissenschaftlichen Ruf im Rücken gelang es dem Archiv, wichtige neue Firmenbestände und Nachlässe zu akquirieren. Erinnert sei nur an das Archiv der Familie und des Handelshauses Harkort, das bis 1597 zurückreicht und zu den bedeutendsten europäischen Kaufmannsarchiven zählt. 

Daschers Lebenswerk: Die Biografie über Alfred Flechtheim

Das Buch über Alfred Flechtheim, der mit der Dortmunderin Bertha Goldschmidt (1881-1941) verheiratet war. Foto: Nimbus-Verlag

An dieser Stelle darf das „opus magnum“ von Ottfried Dascher nicht unerwähnt bleiben, sein 2011 erschienenes Lebenswerk über den aus Münster stammenden jüdischen Sammler und Kunsthändler Alfred Flechtheim.

Wie er selbst in einem hörenswerten Interview mit dem WDR berichtet, ließen ihn die Verbrechen gegen die Juden während des Nationalsozialismus seit seiner Examensarbeit, die er 1962 in Politikwissenschaften über den Bibliothekar Otto Böckel schrieb, nicht mehr los. Böckel war als erster antisemitischer Reichstagsabgeordneter bereits 1887 in die Schlagzeilen geraten.

Das 2011 erschienene Buch „Es ist was Wahnsinniges mit der Kunst.“ Alfred Flechtheim. Sammler, Kunsthändler, Verleger, liegt seit 2023 in dritter Auflage vor.

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