Artscenico präsentiert im Theater im Depot Ausblicke auf die Saison 2015

Jahrestreffen Artscenico im Depot, Paul Hess tanzt Dressur-Pferd Totilas
Jahrestreffen Artscenico im Depot, Paul Hess tanzt Dressur-Pferd Totilas

Von Rolf Pfeiffer

Also Paul Hess war wirklich Klasse.
Paul Hess hat ein Pferd nachgemacht, aber nicht irgendein Pferd. Sondern Totilas, der im Jahr 2000 geboren wurde und viele Jahre lang als bestes Dressurpferd der Welt galt. Paul Hess, der Tänzer, hat aber nicht einfach nur das Pferd nachgemacht, sondern sozusagen als Pferd einen ganzen Wertungslauf nachgetanzt, mit (vermutlich echtem) Fernsehkommentar aus dem Off.

Das war schon toll, wie ein Mann, der eher keine Ähnlichkeit mit einem Pferd hat, so etwas hinbekommt. Und dabei hat er nur die Beine gebraucht und einige wenige Male den Kopf. Die Arme blieben stets an der Hosennaht und quasi arbeitslos, weil auch Pferde bekanntlich keine Arme haben. „Sehr schöne Pirouette, à tempo, das absolute Glanzstück…“ kommentiert der Unbekannte aus dem Off. Leider aber – „Totilas wollte noch einmal piaffieren…“ – stürzt der Gaul im letzten Bild. Beziehungsweise: Paul Hess sitzt auf dem Hintern.

Ob das wirklich genau so passiert ist, entzieht sich meiner Kenntnis, zumal Pferdesport absolut nicht meine Welt ist. Um das jedoch nicht allzu deutlich werden zu lassen – netter Versuch, gewiss – reichere ich diesen Absatz jetzt noch mit ein bisschen Wikipedia an, also: 2010 ging Totilas für gemunkelte zehn bis 15 Millionen Euro an den ehemaligen Dressurreiter Paul Schockemöhle, der das Pferd nun zusammen mit der ehemaligen Dressurreiterin Ann Kathrin Linsenhoff besitzt und ihn gewinnbringend als Deckhengst vermietet. Da kann man schon mal so eine Hengstchoreographie machen.

artscenico ist Rolf Dennemann und umgekehrt

Jahrestreffen Artscenico im Depot, Rolf Dennemann, Rosinenblues
Rolf Dennemann mit Rosinenblues

Warum erzähl ich das alles? Richtig, weil der Auftritt von Paul Hess so beeindruckend war. Hess machte den Totila am Dienstag im Depot-Theater. Sein Auftritt war ein Programmhöhepunkt bei der munteren Vorstellung von Aktivitäten und Aktionen, die artscenico für 2015 plant.

artscenico, die geneigte Leserschaft wird es wissen, bereichert das kulturelle Geschehen in Dortmund und über die Stadtgrenzen hinaus mit Performances, mit künstlerischen Interventionen im öffentlichen Raum, mit einer Vielzahl großer und kleiner Aktionen, denen wohl gemein ist, daß sie nicht für die Ewigkeit gemacht sind. Doch reihen sich die Aktionen entlang großer konzeptioneller Linien.

Und spätestens, aber allerspätestens jetzt muß endlich der Name fallen, ohne den artscenico nicht existieren würde: Rolf Dennemann. Er ist freischaffender Künstler, Regisseur, Festivalleiter, Schauspieler, Autor – und außerdem (nichts anderes hätte man erwartet) Gründungsmitglied des seit 1991 existierenden eingetragenen Vereins.

2001 wurde er der geschäftsführende Vorstand. Keine Frage: artscenico ist Rolf Dennemann und umgekehrt. Er ist übrigens auch der einzige, der auf der Internetseite des Vereins in der Abteilung „Personen“ persönlich auftaucht. Ansonsten arbeiten Künstlerinnen und Künstler lediglich projektbezogen mit.

artscenico plant Aktionen und Projekte für 2015

Jahrestreffen Artscenico im Depot. Matthias Hecht, Elisabeth Pleß
Schauspiel mit Matthias Hecht, Elisabeth Pleß

Rolf Dennemann nun stellte das Jahresprogramm vor. Und mußte gleich einschränkend hinzufügen, daß einige Projekte nicht laufen werden, wenn die öffentliche Förderung nicht kommt. Doch das Jahr ist jung, Gremien müssen noch tagen, für Pessimismus gibt es keinen Anlaß. Also tragen wir im weiteren vor, was auf der mit einem ebenso kryptischen wie unscharf fotografierten braunen Ei dekorierten Karte, die im Depot überall ausliegt, als „Projekte 2015 (geplant)“ aufgezählt wird.

So richtig neu, frei von direkten Vorläufern, scheint vor allem die „Installationsperformance“ „Fünfzig Menschen“ zu sein. Sie wird, im November, aus nämlichen 50 Menschen bestehen, die Rolf Dennemann skulpturengleich arrangieren und dann für einige Stunden durch die Öffentlichkeit betrachten lassen will.

Die Menschen werden also zur temporären Plastik, was ihnen möglicherweise ein ganz neues Lebensgefühl vermitteln wird. Und da kann sich auch nicht jeder einfach so dazustellen, die Teilnehmer sind handverlesen und werden vom Meister höchstselbst nach persönlichem Gespräch ausgesucht.

Kandidaten allerdings sind willkommen, nur müssen sie Zeit für die Probenarbeit mitbringen, so fünf bis sieben Tage. Set-cards werden sie tragen, mit (noch zu bestimmenden) persönlichen Angaben, möglicherweise kann das Publikum mit den Skulptur-Menschen persönlichen Kontakt aufnehmen. Letzte Details des Kunstprojekts harren noch der Klärung.

Für Februar/März plant Dennemann Lesereisen durch die Region. Sein Programm „Bratkartoffeln mit Speck“ umkreist in liebevoller Weise ländliche Herkunft und die kindlich-westfälischen Küchenerlebnisse des Autors, auch gibt es an den Leseabenden, wie man hört, etwas zu essen. Am Sonntag, 8. Februar, ist Dennemann übrigens mit seinem Programm in Bönen.

Neues Lesungsprogramm: „Unterwegs mit meinem Körper“

Jahrestreffen Artscenico im Depot, Rolf Dennemann, Rosinenblues
Rolf Dennemann, artscenico

Das andere Lesungsprogramm ist relativ neu und entstand, nachdem Krankheit den Autor ins Krankenhaus zwang. „Unterwegs mit meinem Körper“ heißt es ebenso wie der zugrundeliegende Text von 2014. Hingebungsvoll geißelt er den höheren Blödsinn, der das öffentliche Gesundheitswesen in besonderer Weise auszeichnet. Krankenhaus-Texte von Rolf Dennemann sind übrigens im Blog „revierpassagen.de“ zu finden.

In Mai/Juni stehen Tanztheaterprojekte an. „Missing Link“, wenn meine Aufzeichnungen mich nicht trügen, ist Bewegung in der Natur, ist aber auch die Wahrnehmung und künstlerische Verarbeitung von Bewegung in der Natur, beispielsweise Bewegung von Pflanzen und Insekten. Mit drei Tänzern und zwei Sprechern bleibt das Projekt übersichtlich.

Ganz anders das „Waldprojekt“ im Sommer: Ortsmarken sind Dortmund, Köln, Palma de Mallorca und Kaunas, Thema ist die tänzerische, künstlerische Intervention im Naturraum.

Petersilien und Pastinaken gibt es im September

Jahrestreffen Artscenico im Depot, Matthias Hecht, Elisabeth Pleß
Matthias Hecht, Elisabeth Pleß

Das Tanzprojekt „Curriculum Vitarium“ im Frühling bringt, die Lateiner in der Leserschaft hatten schon so eine Ahnung, Lebenswelten junger Menschen auf die Bühne – eine Koproduktion mit dem Kaunas Dance Theatre aus Litauen.

Paul Hess wird hier choreographieren. Videos, die es von vorangegangenen Projekten schon zu sehen gab, lassen einen buntes Potpourri aus flott getanzter juveniler Lebenswirklichkeiten erhoffen.

Im Sommer richtet artscenico eine Adlerstraßenparade in der Adlerstraße nahe der Rheinischen Straße aus – in Dortmunds nicht ganz unproblematischem Westend mithin -, im September gerinnt das langjährige Marktplatzprojekt „Petersilie und Pastinaken“ zur Ausstellung im Dortmunder „U“, samt Performance. „Petersilie und Pastinaken“, Dennemann hatte ein Video mit Aktionen der jüngeren Vergangenheit mitgebracht, sind Aktionen überschrieben, bei denen Mitwirkende mit überlebensgroßen Tierköpfen Marktbesucher vorsätzlich irritieren. Aber sie sind immer lieb dabei, schubsen nicht, schmusen lieber.

Das Theaterstück „Secret Service“ thematisiert im November „Terror, Horror und Rache“

Jahrestreffen Artscenico im Depot. Thomas Erkelenz, Rosinenblues
Gitarrist Thomas Erkelenz

Rosinenblues, „Lese-Blues-Performance, Fassung 2015“ sind Veranstaltungen in kleinem Rahmen überschrieben, bei denen Rolf Dennemann liest, Thomas Erkelenz und Gregor Hengesbach Gitarre spielen. In diesem Jahr möchte Dennemann auch einmal den nonverbalen Vortrag ausprobieren und plant Abende ausschließlich mit Lautmalereien.

Das Theaterstück „Secret Service“ thematisiert im November „Terror, Horror und Rache“ und Genaueres wird sich noch finden. Und über „Fünfzig Menschen“, ebenfalls im November sprachen wir ja schon.

Daß Paul Hess ein vorzüglicher Tänzer und Choreograph ist, hat er mit seiner Totila-Nummer wiederum bewiesen. Auf Tanzprojekte unter seiner Mitwirkung darf man besonders gespannt sein. Der Vortrag der Projekte erfolgte gleich jenem der Lottozahlen ohne Gewähr. Auf der Netzseite kann man sich schlauer machen: www.artscenico.de

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Reaktionen

  1. Rolf Dennemann

    Bratkartoffeln mit Speck (Erinnerungen an Lebensmittel)

    Eine Eine Lese-Performance von und mit Rolf Dennemann findet am 14. Februar 2015 um 20 Uhr im Theater im Depot/Dortmund/Immermannstr. 29, statt.

    Als Kind auf dem Bauernhof groß geworden, hat er nach dem Schlachten Blut gerührt und der Oma beim Erbsenpuhlen geholfen. Im jugendlichen Alter gab’s freitags Heringsstipp mit Gelee und einmal die Woche Bratkartoffeln mit Speck. Die ersten eigenen Gerichte waren Fischstäbchen und Bütterken mit Rübenkraut. Es folgten Pizza, Nudeln und Putenbrust, Albondigas und Patatas Bravas, gespickter Lammrücken, Erbsen und Möhren, Grünkohl, Köfte, Goldbrasse und Rührei in Vier-Sterne-Hotels. Seit einiger Zeit hat er immer wieder den Blick von der Kuh „Elvira“ vor Augen, die er als 10-jähriger heimlich gemolken hat.

    Kaum irgendeine andere Erinnerung ist uns so unmittelbar präsent wie die Erinnerung an unser Essen, kaum etwas löst solch starke Gefühlsassoziationen des Wiedererlebens, Wiedererkennens aus. Und wenig nehmen wir, außer der Sprache vielleicht, als solch einen selbstverständlichen Teil unserer Individual- und Sozialkultur wahr.

    ROLF DENNEMANN ist Freischaffender Autor, Regisseur und Schauspieler
    Seit 2010 macht er Lese-Performances: Dman’s Tagebuch, Bratkartoffeln mit Speck, Kann man von Rosinenbrot Alpträume bekommen?, Hattingen ist nicht Helsinki
    Dman’s Tagebuch – eine kulturelle Reise durch die Region
    Bratkartoffeln mit Speck – Geschichten um Ernährung
    Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin, http://www.epubli.de

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