Ein Zeichen der Verantwortung in Dortmund – Gedenken am Platz der Alten Synagoge

Zwi Rappoport: „Wir fühlen uns weitgehend allein gelassen“

[/media-credit] Abschluss der Gedenkfeier am Platz der Alten Synagoge in Dortmund zum 87. Jahrestag der Pogromnacht.

Zum 87. Jahrestag der Pogromnacht hat die Stadt Dortmund im Foyer des Opernhauses am Platz der Alten Synagoge an die Verbrechen vom 9. November 1938 erinnert. In jener Nacht brannten in ganz Deutschland sowohl auch in Dortmund Synagogen, jüdische Geschäfte wurden zerstört, Menschen verletzt, gedemütigt oder ermordet. Die Dortmunder Synagoge war bereits im September 1938 im Auftrag der Stadt abgerissen worden, ein frühes Zeichen der Ausgrenzung, die wenig später im Holocaust endete.

Theater-Direktor Tobias Ehinger erinnert an Verantwortung des Opernhauses

Theater-Direktor Tobias Ehinger begrüßte die Anwesenden und erinnerte daran, dass genau an diesem Ort vor 125 Jahren die Dortmunder Synagoge gebaut und 38 Jahre später zerstört wurde.

[/media-credit] Theater-Direktor Tobias Ehinger

„Es gibt Orte, an denen die Geschichte nicht vergeht“, sagte er. Das Opernhaus nahm es deshalb zu seiner Aufgabe an die Vergangenheit zu erinnern, auch zum Teil durch die Stücke, die dort aufgeführt werden.

Antisemitismus, so Ehinger, sei „keine politische Meinung, sondern Hass“. Jüdisches Leben sollte in Dortmund immer selbstverständlich sein.

Kalouti: „Rassismus beginnt nicht mit Taten, sondern mit Worten“

Oberbürgermeister Alexander Kalouti betonte in seinem Grußwort die Bedeutung des historischen Ortes. Die Synagoge, die 1900 als „Zierde der Stadt“ eröffnet wurde, sei heute ein Mahnmal dafür, wohin Ausgrenzung und Hetze führen können. Die Pogromnacht markierte für ihn den Übergang „von Hass zur Vernichtung“.

[/media-credit] Oberbürgermeister Alexander Kalouti

Kalouti verwies auch auf die vielen Stolpersteine in der Stadt, die an die Menschen erinnern, die hier lebten, Familien hatten und deren Leben zerstört wurde. Angesichts aktueller Entwicklungen sei die Botschaft klar: „Antisemitismus bleibt Antisemitismus, egal, wie er begründet wird.“

Seit dem Hamas-Terrorangriffen auf Israel habe der Hass gegen Jüdinnen und Juden auch in Deutschland deutlich zugenommen. „Wer jüdische Menschen angreift, greift uns alle an.“ Schweigen sei keine Option, so Kalouti. Dortmund soll ein Ort bleiben, an dem niemand Angst haben muss zu exsistieren, unabhängig von Herkunft oder Religion.

Zwi Rappoport: „Wir fühlen uns weitgehend allein gelassen“

Zwi Rappoport, Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe, erinnerte daran, dass die Pogromnacht für viele Jüdinnen und Juden das letzte Warnsignal war, Deutschland zu verlassen. Er erinnerte an seine Eltern, die nach Palästina flohen. Auch an seine Großmütter, die in Deutschland geblieben sind und in Vernichtungslagern ermordet worden sind. „Niemand kam uns zur Hilfe“, betonte er.

[/media-credit] Zwi Rappoport, Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe

Rappoport erwähnte ebenso die aktuelle Lage: Antisemitische Straftaten und Übergriffe nähmen massiv zu, an Universitäten, Schulen, im Sport und in der Kultur. „Das ist keine Kritik an der israelischen Politik, das ist Rassismus.“

Er betonte zugleich das Leid der Menschen in Gaza, kritisierte aber eine aus seiner Sicht einseitige Berichterstattung der Medien. Viele Jüdinnen und Juden fragten sich heute, ob erneut Ausgrenzung in Deutschland drohe.

„Sollten Juden ihre Freiheit und Sicherheit verlieren, verliert Deutschland seine Demokratie“, warnte er. Trotz aller Sorgen erklärte Rappoport: „Wir sind nicht bereit, den Rechtsextremisten den Platz zu überlassen. Wir glauben an die Zukunft hier in Dortmund.“

Prof. Raphael Gross über die Pogromnacht in Dortmund

Prof. Raphael Gross, Präsident des Deutschen Historischen Museums, stellte in seinem Vortrag die Entwicklungen in Dortmund rund um die Pogromnacht dar. Synagogen und Geschäfte in Stadtteilen wie Dorstfeld, Hörde und Hombruch wurden zerstört, Wohnungen verwüstet. 328 Männer wurden verhaftet, viele in die Steinwache gebracht und später in Konzentrationslager verschleppt.

[/media-credit] Prof. Raphael Gross, Präsident des Deutschen Historischen Museums

Gross betonte, dass die Pogromnacht in Dortmund bislang kaum systematisch erforscht sei. Das Ziel der Nationalsozialisten sei damals, jüdische Menschen zur Ausreise zu zwingen und antisemitische Stimmung weiter zu verbreiten. Die Verschleppung von rund 30.000 Männern in Konzentrationslager habe auch der Erpressung gedient.

Zudem ging Gross auf die Nachkriegsgeschichte des Gedenkens ein: Die jüdische Gemeinde in Dortmund wurde bereits im August 1945 mit nur etwa 50 Überlebenden, neu gegründet. Die erste Dortmunder Gedenkveranstaltung zur Pogromnacht fand jedoch erst 1978 statt.

Er erklärte das damit, dass Antisemitismus nicht unüberlegt politischen Lagen zuzuordnen, sondern als Ausdruck einer „moralischen Desorientierung der Gesellschaft“ zu erkennen ist. Die Frage nach der Erklärung antisemitischen Hasses bleibe weiterhin zentral.

Mit einem Gebet in jüdischer Sprache endete die Gedenkveranstaltung im Saal. Anschließend versammelten sich die Menschen draußen auf dem Platz der Alten Synagoge, um ein Kranz als Erinnerung am Gedenkstein niederzulegen.


Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!

Unterstütze uns auf Steady

Reaktion schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert