
„SOS – S.ave O.ur S.ouls“ ist der Titel der neuen Ausstellung der Dortmunder Künstlerin Almut Rybarsch-Tarry. Im Torhaus Rombergpark zeigt sie noch bis zum 24. August ihre Skulpturen bedrohter Fischarten in fragiler, teils unvollständiger Ausarbeitung. „Ein kunstvoll in Szene gesetztes Gesamtwerk und ein kraftvoller Hilferuf, der uns alle betrifft,“ findet unsere Gastautorin Annette Kritzler.
Dramatische Situation der Weltmeere: Überfischung und Plastikmüll
SOS: drei kurz, drei lang, drei kurz – das ist seit 1906 das international gültige Morsecode-Signal für einen Notfall. Es ist auch der Titel der neuen Ausstellung von Almut Rybarsch-Tarry und darf hier und heute als Weckruf interpretiert werden.
Durch Überfischung entstehen jährlich etwa 38 Millionen Tonnen Beifang – also Meereslebewesen, die meist getötet werden. Laut der UN-Welternährungsorganisation (FAO) sind derzeit 34 Prozent der weltweiten Fischbestände überfischt. Weitere 60 Prozent sind bis an ihre biologische Grenze ausgebeutet und stehen kurz vor der Überfischung. Das fragile aquatisch-ökologische Gleichgewicht ist gefährdet.

Auch Aquakulturen sind keine Lösung – sie bringen neue Herausforderungen mit sich: Umweltverschmutzung, Krankheit und den hohen Einsatz von Ressourcen. Der Wert des Fischlebens bemisst sich hier an seiner ökonomischen Verwertbarkeit!
Hinzu kommen Müll im Wasser und an den Flussufern: Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge befinden sich mehr als 150 Millionen Tonnen Plastikmüll in den Ozeanen, und jährlich kommen mindestens drei Millionen Tonnen dazu. Plastik ist inzwischen überall nachweisbar – im Boden, in Seen, in Flüssen, an Stränden, auf der Wasseroberfläche und in der Tiefsee.
Zwischen kommerzieller Ausbeutung und empathischer Wertschätzung
Almut Rybarsch-Tarry ist dem Wasser und der Natur seit vielen Jahren verbunden. Über ihre Werkschau „Liebe – Hoffnung – Tod“ schrieb sie 2021: „Flossenträger erfahren in der Regel keine Vermenschlichung. Sie kommen nicht in den Streichelzoo und haben außer bei ‚Findet Nemo‘ keinen Niedlichkeitsfaktor. Mehr als andere Nutztiere leiden sie unter ihrer Andersartigkeit.“

Im Verlauf ihres weiteren Arbeitsprozesses entstandenen bis 2025 vor allem Fisch-Skulpturen von Arten, die auf der Roten Liste stehen, wie der europäische Aal oder der bereits akut vom Aussterben bedrohte Gemeine Seewolf.
Die im Torhaus Rombergpark gezeigten Fischskulpturen auf Sockeln, die Schwärme der Stichlinge und Sardinen sowie die Silbermöwe auf nichtkompostierbaren Alltags-Resten wurden in dieser umfangreichen Gesamtschau als Einzelausstellung bisher noch nie gezeigt.___STEADY_PAYWALL___
Mit den fragilen, teils unvollständig wirkenden Fischkörpern, betont die Künstlerin deren Ästhetik und vor allem ihre Bedeutung für unser Ökosystem. Neben den verwendeten Materialien wie Eisendraht und Zementspachtel sind einige Fische als Bronzegüsse gestaltet. So soll der Kontrast zwischen kommerzieller Ausbeutung und der empathischen Wertschätzung der Wasserbewohner verdeutlicht werden.
Berührend: der Lachs zwischen Luxus und Zukunft
Ein besonders eindrucksvoller Notruf ist der „springende Lachs aus Plastikresten in einer Ummantelung aus Eisendraht“. Er entstand bereits 2016, doch sein abgesetzter Notruf blieb bis heute unbeantwortet. War der Lachs früher ein Luxusgut, ist er heute eine Massenware und findet sich quasi auf jedem Frühstücksbuffet.

In Deutschland war Salmo Salar bis in das 20. Jahrhundert hinein heimisch. Der Rhein galt als größter Lachsfluss Europas, doch bereits um 1950 war der Lachs aus dem Rhein und seinen Zuläufen verschwunden. 1987 wurde von der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins (IKSR) das „Lachs-2000-Projekt“ beschlossen, doch es wird noch Jahrzehnte dauern die Lachspopulationen verlässlich anzusiedeln.
Auch im Ruhrgebiet wird an der Rückführung der Lachse gearbeitet. Am 26. Februar 2025 setzte das Lachszentrum Hasper Talsperre unterhalb des ersten Ruhrwehres in Duisburg 400 kg Lachsmolts in das Fliessgewässser ein. Das internationale Interesse am Projekt ist groß, entscheidend für den Erfolg ist aber nicht zuletzt auch unser eigenes Verhalten: Weniger Konsum, bewusster Umgang mit Ressourcen.
Die Silbermöwe und ein besonderer Bezug zur Schondelle
Betrachten wir hier auch die Skulptur Silbermöwe wird deutlich: sie steht für Anpassungsfähigkeit, aber auch für die Folgen unseres Handelns. Die Möwe lebt in Nord- und Westeuropa und ist durch den Klimawandel bedroht. Seit 2020 steht sie unter der Kategorie „Vorwarnung“ in der Roten Liste. Der Müll, den wir hinterlassen, bietet ihr eine zusätzliche Nahrungsquelle, doch gleichzeitig ist sie ein Symbol für die Überflussgesellschaft und die Umweltverschmutzung.

Die Skulptur mit aufgerissenem Schnabel und Müllsockel erinnert uns daran: Unser Müll kehrt zu uns zurück, oft in Form von Mikroplastik in den Mägen der Seevögel und Fische. Ein Teufelskreis, unaufhaltsam, bedrohlich und bedrückend.
Der Künstlerin gelingt es darüber hinaus einen besonderen Bezug zum Ausstellungsort herzustellen. Karpfen, Stichlinge und Barsch leben hier in der Schondelle, dem Bach der das Wassersystems des ehemaligen Wasserschlosses Brünninghausen bildet. Sie gehören zu den Fischarten die aktuell weniger bedroht sind, ungeachtet regionaler Unterschiede.
Almut Rybarsch-Tarrys Skulpturen wirken mit Nachdruck
Almut Rybarsch-Tarrys Skulpturen rufen viele Assoziationen hervor. Sie wirken mit Nachdruck. In ihrer Unvollständigkeit, ausgemergelt, nahe der Vergänglichkeit, vielleicht an der Schwelle zum Jenseits, berichten sie von ihrer Not.

Mit der für Rybarsch-Tarrys Kunst typischen Formensprache der „Durchlässigkeit“, ein Stilmittel das uns in den Arbeiten der Künstlerin immer wieder begegnet, ermöglicht sie uns ein Durchdringen, einen Blick, der es uns erlaubt neue Perspektiven und Interpretationen zu erlangen. Immer wieder legt sie zielstrebig den Finger in die Wunde. Die Skulpturen zeigen uns in ihrer morbiden Fragmentierung, dass es nicht fünf vor, sondern bereits fünf nach 12 ist.
Wer sind wir, dass wir den Wasserlebewesen aufgrund ihrer Andersartigkeit eine Seele, ein Schmerzempfinden ja sogar die Intelligenz absprechen? Was wissen wir wirklich über diesen fremdartigen Lebensraum, der noch lange nicht vollständig erforscht ist?
Noch bevor wir einen Blick über den Tellerrand des lebensspendenden Elements gewagt haben, zerstören wir den geheimnisvollen Lebensraum Meer mit aller Kraft! Wir tragen Verantwortung für das, was wir noch nicht kennen und handeln doch, als sei alles unendlich.
Die Ausstellung bietet viele nachdenkliche Momente und Impulse das eigene Handeln zu hinterfragen, einen neugierigen Blick auf das Fragile und eine erkenntnisreiche Erkundung des Fischartigen. Die Künstlerin nimmt uns mit und lässt uns teilhaben an ihrer Sicht auf diese fragile, bedrohte und faszinierende Welt. Sie lädt uns ein, einzutauchen in die Seele der Skulpturen und der Lebewesen im und am Wasser.
Mehr Informationen: Bis 24. August 205, Torhaus Rombergpark, Am Rombergpark 65, 44225 Dortmund / Öffnungszeiten: dienstags-samstags 14.00-18.00 Uhr, sonn- und feiertags 10.00-18.00 Uhr / Eintritt frei
Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!