Der Krieg kam zurück nach Europa: Gedenken an den Genozid von Srebrenica vor 30 Jahren

Auch in Dortmund wurde den 8.000 Opfer des Völkermords gedacht

Schweigemarsch durch die Dortmunder Innenstadt.
Zum 30. Jahrestag des Genozids von Srebrenica fand in Dortmund ein Friedensmarsch und eine Gedenkveranstaltung statt. Foto: Peter Krause für Nordstadtblogger.de

Dem Völkermord von Srebrenica sind im Juli 1995 über 8.000 Menschen zum Opfer gefallen. Bereits im elften Jahr fand am Mittwoch unter der Schirmherrschaft der Stadt Dortmund zum Gedenken an dieses furchtbare Ereignis ein Schweigemarsch und eine Gedenkveranstaltung statt, an dem in verschiedenen europäischen Städten jeweils am heutigen 11. Juli erinnert wird.

„Massaker von Srebrenica“ – Eine Tragödie mitten in Europa

Srebrenica ist eine kleine Stadt im Osten von Bosnien und Herzegowina, nahe der Grenze zu Serbien, mit einer Jahrhunderte langen Geschichte. Der Zerfall der sozialistischen Republik Jugoslawien führte1992 zum Ausbruch des „Jugoslawienkriegs“. Schon bald geriet Srebrenica ins Fadenkreuz militanter serbischer Paramilitärs, die den Erhalt Jugoslawiens wollten, während sich die Bosniaken für einen unabhängigen Staat aussprachen.

Exhumierungen in Srebrenica (1996) Photograph provided courtesy of the ICTY

Nach der Ankündigung eines Referendums und der internationalen Anerkennung der unabhängigen Republik Bosnien und Herzegowina durch die Europäische Gemeinschaft eskalierten die Spannungen.

Der Jugoslawienkrieg begann und es kam infolge zu einer dreijährigen Belagerung der Stadt. Nationalistische Gruppierungen schürten den Konflikt und begingen fortgesetzt diverse Verbrechen an der Bevölkerung Srebrenicas, so auch „ethnische Säuberungen“.

Überreste eines Opfers des Massakers von Srebrenica. (Wikipedia/ CC BY-SA 3.0) Photo by Adam Jones adamjones.freeservers.com

Die meisten bosniakischen Bewohner wurden vertrieben, flohen oder fielen den Truppen der Republika Srpska zum Opfer. Am 11. Juli kam es dann zum „Massaker von Srebrenica“, bei dem 8.372 männliche Personen ab 13 Jahre ermordet wurden. ___STEADY_PAYWALL___

Während einige hundert niederländische Blauhelm-Soldaten untätig blieben, verübten Soldaten der „Vojska Republike Srpske“, Polizisten und serbische Paramiltärs unter Führung von Ratko Mladić das schwerste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Ab August 1995 griffen acht NATO-Staaten mit Kampfflugzeugen in den Krieg ein und zwangen dadurch die Serben zur Niederlegung der schweren Waffen und der Anerkennung der verbliebenen Schutzzonen.

Gedenken in der Innenstadt und im Saal des Opernhauses

Mithat Bibic ist einer von etwa 2000 Menschen, die sich an diesem sonnigen Abend in der Dortmunder Innenstadt zum Gedenkmarsch für die Opfer von Srebrenica versammelt haben. Bibic war erst 17 Jahre alt, als der Krieg ausbrach und das Grauen begann.

Mithat Bibic vor dem Cafe Bernstein.
Mithat Bibic war erst 17 Jahre alt als der Krieg ausbrach. Auch er verlor Angehörige. Foto: Peter Krause für Nordstadtblogger.de

Er erlebte die Misshandlungen der Zivilbevölkerung, suchte seinen Weg nach Deutschland und kam über Hattingen nach Dortmund. „Das ist jetzt meine Heimat“, sagt er.  Auch er hat durch das Massaker von Srebrenica direkte Angehörige verloren. „Aber das Leben geht weiter, auch wenn die Wunden für immer bleiben.“

Schweigend zieht der Zug der Menschen über den Innenstadtring zum Opernhaus. Mithat Bibic ist ganz vorne mit dabei als einer der Träger vom Transparent „Don’t forget Srebrenica Genozid 11.07.1995“, mit dem die Trauernden an das Unvorstellbare erinnern.

Schweigemarsch durch die Dortmunder Innenstadt.
Etwa 2000 Menschen nahmen am Gedenkmarsch teil. Foto: Peter Krause für Nordstadtblogger.de

Zur Gedenkveranstaltung ist der Saal im Opernhaus gefüllt, nicht alle finden Platz. Den Opfern ist an diesem Abend ein besonderes Gedenken gewidmet: Alle Namen der Ermordeten werden in einer Laufschrift an die Rückwand der Bühne projiziert. Ein jeder Name ist so für ein paar stille Sekunden sichtbar. Zwei Stunden dauert das für alle 8.372 Opfer.

Unter den Gästen finden sich besondere Repräsentanten, die im Laufe des Abends zu den Anwesenden sprechen. Gebete und musikalische Beiträge geben einen würdigen Rahmen. Redner des Abends sind unter anderem Nathanael Liminski (Chef der Staatskanzlei NRW), Jörg Stüdemann (Stadtdirektor der Stadt Dortmund), Damir Arnaut (Botschafter von Bosnien und Herzegowina) sowie Taylan Özgür Aydin (Generalkonsul der Republik Türkei in Essen).

Liminski: „Eine humanitäre Katastrophe und Europa sah zu“

Nathanael Liminski fragt in seiner Rede, warum die 1990er Jahre aus heutiger Sicht immer noch allzu schnell glorifiziert werden, wenn doch die Freude über das Ende vom Kalten Krieg und die deutsche Wiedervereinigung nur knappe zwei Jahre währten. Dann kam der Krieg erneut nach Europa. „Eine humanitäre Katastrophe und Europa sah zu“, sagt Liminski. Er findet angemessene Worte des Mitgefühls und betont im Blick auf die Gedenkveranstaltung: „Ich danke Ihnen dafür, dass Sie die Kraft finden, mit Ihrem Gedenken ein starkes Zeichen des Friedens zu setzen.“

Blick in den Saal bei der Veranstaltung.
Zur Gedenkveranstaltung ist der Saal im Opernhaus gefüllt, nicht alle finden Platz. Foto: Peter Krause für Nordstadtblogger.de

Besonderes Gewicht hatten Berichte von Zeitzeugen, die das Furchtbare selbst erlebt haben. Die Überlebende Vahida Delić erzählt selbst. Sie verlor 1995 mehrere enge Angehörige, darunter ihren damals erst 25 jährigen Ehemann.

„Mein Mann hatte niemals eine Waffe in der Hand, aber man ihn trotzdem umgebracht“, sagt sie. „Für uns Angehörige ist das so schlimm, wie man es nicht beschreiben kann. Es gibt keine Form, in der man den Schmerz ausdrücken kann.“

Bis auf den heutigen Tag werden immer noch Leichname der Opfer geborgen. Das ist ein schwieriges Unterfangen, weil die Täter die Gebeine der Toten verstreuten, um die Verbrechen zu verschleiern. Was man heutzutage noch findet, wird hernach würdig bestattet. So auch Gebeine vom Ehemann von Vahida Delić: „Meine beiden Söhne haben schließlich ihren Vater beerdigt, aber es waren tatsächlich nur zwei Knochen.“

Jasna Causevic: „Es braucht Konsequenzen, Aufarbeitung und Prävention“

Mit dem Abkommen von Dayton endete Ende 1995 nach dreieinhalb Jahren den Krieg. Ratko Mladić, von 1992 bis 1996 als Oberbefehlshaber der Vojska Republike Srpske, wurde wegen zahlreicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit 2017 in Den Haag zu lebenslanger Haft verurteilt.

Projektion begleitet von einer Klavier Darbietung bei der Gedenkveranstaltung.
Bei der Veranstaltung wurden alle Namen der Ermordeten in einer Laufschrift an die Rückwand der Bühne projiziert. Foto: Peter Krause für Nordstadtblogger.de

Erst 2022 bat die niederländische Regierung um Entschuldigung bei den Angehörigen der Ermordeten und bei den damals eingesetzten niederländischen Soldaten. Mladen Grujičić, bosnischer Serbe und von 2016 bis 2024 Bürgermeister der Stadt, leugnet den Völkermord von Srebrenica nach wie vor.

Gegen den Widerstand Serbiens hat die UN-Vollversammlung 2024 aufgrund eines Antrags von Deutschland und Ruanda den 11. Juli zum Gedenktag an das Massaker von Srebrenica erklärt.

Zum 30. Jahrestag fordert Jasna Causevic, GfbV-Referentin für Genozid-Prävention und Schutzverantwortung, in einer Pressemitteilung der Gesellschaft für bedrohte Völker e.V.: „Die internationale Gemeinschaft hat versagt – und sie versagt bis heute. Das Gedenken an die über 8.000 bosniakischen Jungen und Männer, die im Juli 1995 ermordet wurden, darf nicht vom politischen Handeln entkoppelt werden. Es braucht endlich Konsequenzen, Aufarbeitung und wirksame Prävention.“

Und fügt hinzu: „Es reicht nicht, einmal im Jahr Worte des Bedauerns zu sprechen. Europäische Staaten und Institutionen müssen Genozid-Leugnung klar verurteilen, die Verbrechen aufarbeiten und aktiv zur Gerechtigkeit beitragen – gerade in der Entität Republika Srpska und in Serbien, wo nach wie vor Täter glorifiziert und Opfer diffamiert werden.“


Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!

Unterstütze uns auf Steady

Reaktion schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert