
Von Sandra Danneil
Desire – das ist Englisch und bedeutet Verlangen, Wunsch, Sehnsucht oder auch Begehren. Mit diesem Begehren geht immer ein Mangel einher, den es zu stillen gilt. Bleibt das, nach dem wir verlangen, was wir uns wünschen oder sogar begehren eine unerfüllte Sehnsucht, fühlen wir uns abgelehnt, missverstanden und unvollständig. Um diese Unvollständigkeit geht es auch dem japanischen Künstler Soshiro Matsubara. Der Dortmunder Kunstverein zeigt den Wahlwiener in seiner neuen Ausstellung Sleeves of Desire („Stoffe des Verlangens“) im Ausstellungsraum am Dortmunder U.
Kunst Fühlen statt nur Betrachten
Wie lässt sich Begehren ausstellen? Eine Antwort darauf finden Besucher:innen vom 17. Mai bis 31. Juli 2025 im Dortmunder Kunstverein. Schon beim Eintreten in die hohen Räume des Kunstvereins auf dem U-Gelände an der Rheinischen Straße senkt sich der Blutdruck. Der cremeweiße Teppich, der sich über die gesamte Ausstellungsfläche erstreckt, lässt die Schritte verstummen und verlangsamt so automatisch die Bewegung. Innerhalb der geräuschlosen Ruhe gibt es Begegnungen voller Erotik und Wärme – ein Vakuum von Sinnlichkeiten.

Soshiro Matsubaras Sleeves of Desire ist ein Ausstellungskonzept, das den Blick befreit, um dem Gefühl mehr Raum zu geben. Statt sich von Bild zu Bild zu Objekt zu bewegen, lädt der studierte Maler Matsubara dazu ein, Gewohnheiten der Betrachtung umzukehren und das rahmengebende Material als das eigentliche Kunstwerk zu begreifen.
Ein erotischer Ritt durch die europäische Kunstgeschichte
Achtmeter hohe Stoffbahnen werden zu Leinwänden, die Matsubara vor Ort mit rostroter Acrylfarbe in eine stimmungsgeladene Hülle verwandelte. Darin eingefasst schweben seine Zeichnungen, die mit Bleistift und japanischer Tinte verschiedene Stile und Traditionen der Kunstgeschichte aufgreifen. ___STEADY_PAYWALL___
Dabei offenbart die hybride Nacktheit seiner Motive auch immer eine Durchsicht auf das, was buchstäblich dahinter liegt. Matsubara verwendet, oder besser, recycelt für seine Bilder und Objekte vorhandenes Material. Bemaltem Papier, alten Stoffen, vergessenen Objekten und unvollständigen Puppenkörper haucht der Wahlwiener neues Leben ein, indem er Gegenständen eine Seele gibt. Seine Bilder stehen so in einem Dialog mit den Ideen vergangener Künstler:innen, die Matsubara überschreibt und damit gleichermaßen fortsetzt.
Unheimliche Motive zwischen Vertrautheit und Fremdartigem
Durch eine Vielzahl kunsthistorischer Referenzen arbeitet Soshiro Matsubara mit Freuds Konzept des „Unheimlichen“, mit dem er die Lücke zwischen Vertrautem und Fremdartigem füllt. In ihrem gläsernen Sarg erinnert zum Beispiel die Puppe mit abgehackten Fuß in ihrer nackten Versehrtheit und verführerischen Pose an Édouard Manets „Olympia“ (1863).

Gegenüber thront die Harpyie – ein geflügeltes Mischwesen mit Frauenkopf – scheinbar verkehrtherum an einer großen Feel-Good-Spiegelwand. Feel good, weil der Spiegel wie ein Zauberspiegel sein Gegenüber mit dem Aussehen belohnt, das er begehrt. So wird das Selbst zum Anderen, wenn auch nur für einen irritierend schönen Augenblick.
Inspiration findet Matsubara in der Kunst des Fin de Siècle bei europäischen Künstlern der Jahrhundertwende, darunter beispielsweise Gustav Klimt (1862-1918) oder Francis Picabia (1879-1953). Besonders sind auch die Anspielungen auf den österreichischen Maler Oskar Kokoschka (1886-1980).
Nachdem sich seine Muse Alma Mahler von ihm getrennt hatte, ließ Kokoschka eine lebensgroße Plüschpuppe von ihr anfertigen, um die gemeinsame Zeit „lebendig“ zu halten. Diesem Motiv widmet sich Matsubara mit dem Arrangement zweier Plüschpuppen, die den Maler und seine Muse vereint darstellen.
Der Kunstverein für Ausstellungen mit Herz, Seele und vielen Überstunden
Zu einer Ausstellung im Dortmunder Kunstverein gehört traditionell auch ein sorgfältig kuriertes Programm. Neben der Eröffnungsparty in der von Philip Wiegard neugestaltete Wendy vs. Tinkerbell Bar, bei der DJ FÆ vom Musikkolletiv FLINTA* 4 RAVE einheizte, lädt die Museumskuratorin Rebekka Seubert Kunstinteressierte bis Ende Juli u.a. zu Führungen und Exkursionen rund um Ausstellung von Sleeves of Desire. Möglich sind diese größtenteils kostenfreien Angebote nur durch die großzügige Förderung der Vereinsmitglieder und den Geldern aus öffentlichen Töpfen wie der Sparkasse oder dem Dortmunder Kulturbüro.
Das erinnert an die Worte der Leiterin des Dortmunder Kulturbüros, Hendrijke Spengler. Öffentlich betont diese immer wieder gern, dass Dortmund eine der wenigen Städte sei, in der es im laufenden Haushaltsjahr keine Kürzungen im Kultursektor gegeben habe.

„Aber keine Kürzungen sind auch Kürzungen“, ergänzt Seubert die Aussage von Spengler. „Wenn öffentliche Fördergelder nur gehalten, aber nicht erhöht werden, können wir die Ausgaben nicht mehr decken“, erklärt die Kuratorin des Kunstvereins mit berechtigter Sorge. Auf eine Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro blickt sie daher mit Zukunftsangst.
Zudem sind Förderanträge häufig an Fristen gebunden, die ebenso oft nicht mit den zeitlichen Abläufen im Ausstellungsgeschäft einhergehen. „Kommt ein Antrag zu spät, gibt es keine Förderung und wir können die Künstler:innen nicht bezahlen“, löst Rebekka Seubert die einfache Rechnung. „Wir lieben was wir machen, auch wenn das viele unbezahlte Überstunden bedeutet.“ Ein Idealismus, der wieder zum Begehren und seinem Mangel zurückführt. Denn Kunst mag die Seele nähren, macht die Kunstschaffenden aber leider nicht satt.
Alle Infos zur aktuellen Ausstellung Sleeves of Desire und ihrem Rahmenprogramm auf der Homepage des Dortmunder Kunstverein.
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