„Klartext“: Journalismus und Vertrauenswürdigkeit – läuft der bundesrepublikanischen Presse die Öffentlichkeit davon?

IJ Klartext 24.01.1830
Angehende JournalistInnen diskutieren mit Fachleuten über ihre zukünftige Rolle. Fotos: Karsten Wickern

Das gegenwärtige Verhältnis des bundesdeutschen Journalismus gegenüber der Öffentlichkeit ist etwas zwiespältig. Er schafft sie, muss es, indem er informiert, Politik vermittelt und Macht begrenzt – denn nur so kann Demokratie sein. Doch Teile der Gesellschaft treten ihm leider auf die Füße. – Ein Verlust an Vertrauen? Wie ließe es sich zurückgewinnen? Was müsste sich ändern? Muss sich in den Reihen der Medien und an ihrem normativen Gerüst überhaupt etwas ändern? Oder sollte nicht besser – frei nach Brecht – gleich ein anderes Publikum gewählt werden?

Relative Gelassenheit der bundesdeutschen Medienlandschaft gegenüber externer Kritik

Als der mehrfach ausgezeichnete Spiegel-Reporter Claas-Hendrik Relotius kürzlich der massiven Manipulation in seinen Reportagen überführt wurde, hielt sich die Aufregung der Medienlandschaft in Grenzen. Auch die vor einigen Jahren fast zur Hysterie entfachte Diffamierung als „Lügenpresse“ hat JournalistInnen kaum beeindruckt.

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Klartext Journalismus Glaubwürdigkeit TU Dortmund Podiumsdiskussion Flyer LogoWar die Kluft zwischen den Machenschaften des ehemaligen Kollegen gegenüber der journalistischen Praxis mit ihrem Berufsethos einfach zu groß, die Vorwürfe der Pegida zu absurd, als dass hier ernsthaft etwas in Bewegung hätte gebracht werden können? Oder könnte die relative Gelassenheit in der Medienlandschaft auch etwas mit der eingebildeten Selbstgewissheit eines ganzen Berufszweiges zu tun haben, für die es beileibe keinen guten Grund gibt?

Dieser Verdacht bliebe eher bestehen, zeigte die Zunft nicht schon an ihren zentralen Ausbildungsstätten, von wo aus sich die zukünftigen Grundrechtsträger in die Welt verteilen werden, dass die vielen Themen um das fragliche Geschehen und das Misstrauen der Presse gegenüber durchaus und systematisch in den Blick genommen werden.

Journalismus stärkt Öffentlichkeit als Medium von Meinungsbildung und Machtkontrolle

Henrike Allendorf von der Friedrich Ebert Stiftung
Henrike Allendorf von der Friedrich-Ebert-Stiftung

Ein kleiner Baustein dessen: ein Seminar über den Winter am Institut für Journalistik der TU Dortmund, geleitet von Dr. Florian Meißner. Titel: „Klartext – Was braucht vertrauenswürdiger Journalismus?“ Also mindestens eine dreifache Fragestellung: Was sind seine Normen, seine Standards, ist seine Praxis? – Wie ist es um die Rezipienten, das Publikum bestellt? – Wie können diese beiden Kommunikationspole fruchtbar zusammengebracht werden?

Beschlossen wurde das zum Ende des Semesters ausgelaufene Seminar nun mit einer gleichnamigen Podiumsdiskussion am Erich-Brost-Institut für internationalen Journalismus mit geladenen Fachleuten und Studierenden. Willkommene Unterstützung für die gut besuchte Veranstaltung kam von der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES).

Deren Motiv bringt die Vertreterin aus dem NRW-Landesbüro der FES, Henrike Allendorf, einleitend knapp auf den Punkt: die Stiftung wolle daran mitwirken, dass Menschen an der Gestaltung von Gesellschaft teilhätten. Eine vermittelnde, für eine Demokratie unabdingbare Instanz ist der Journalismus: er übersetze Politik wie er eine Kontrollinstanz politischer Macht sei.

Die Bedeutung des Journalismus in und für den Erhalt freiheitlich-demokratischer Systeme

Beide Funktionen erfüllen Medien über Schaffung und Reproduktion von Öffentlichkeit. In ihr und durch sie können sich Diskurse und Meinungen bilden, partizipieren BürgerInnen, formen Gesellschaft und stärken dadurch deren Zusammenhalt – soviel war klar. Ergo geht an jenen – die quasi aufgearbeitetes Rohmaterial als Informationen über das Geschehen von persönlicher Erfahrung nicht zugänglichen Sozialzusammenhängen vermitteln – kein Weg vorbei.

Daher ist es kein Zufall, dass Pressearbeit vom Grundgesetz besonders geschützt wird. In Art. 5 Abs. 1 heißt es unmissverständlich: „[…] Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“

Es folgt: Gerät die freie Berichterstattung von Medien unter Druck – so deren demokratiefördernde Funktionen; bis im Extremfall ein politisches System der Toleranz und Vielfalt selbst zur Disposition stehen könnte. Daher ist der vielzitierte Vertrauensverlust in den Journalismus eine sehr ernste Sache. Oder wäre es, gäbe es ihn.

Empirische Untersuchungen zur wahrgenommenen Glaubwürdigkeit von Medien ergeben uneinheitliches Bild

Die Journalistik Studentinnen Alexandra Prokofev und Jennifer Pahlke informierten mit einem Impulsvortrag.
Die Journalistik-Studentinnen Alexandra Prokofev und Jennifer Pahlke (r.) präsentierten beim Impulsvortrag Fakten.

Die als Impulsvorträge von Studierenden am Institut: von Jennifer Pahlke und Alexandra Prokofev vorgestellten Ergebnisse zweier Untersuchungen, die als Langzeitstudien konzeptioniert sind, bestätigen die Verlustthese bisher jedenfalls nicht bzw. zeichnen ein differenzierteres Bild.

In der Bundesrepublik sind die Vertrauensquoten für Fernsehen, Radio und (mit Abstrichen) Print stabil, während sie für das Internet und die sozialen Medien deutlich sinken bzw. die Verunsicherung ihnen gegenüber sich vergrößert (s.u.: Standard Eurobarometer 88). Die Anhäufung von Fake-News hat eben ihren Preis.

Diese divergierenden Tendenzen zwischen klassischen vs. neue Medien im Hinblick auf zugesprochenes Vertrauen verdeutlichen auch die ersten Befunde der Studie an der Uni-Mainz zum „Medienvertrauen in Deutschland 2017“ (s.u.). Die wahrgenommene Glaubwürdigkeit hat offenbar etwas mit der Sorte von Medium zu tun, von dem die Rede ist.

Gefahr: zahlreiche BürgerInnen setzen sich überhaupt nicht mit Medien auseinander

Dr. Katherine Engelke, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster

Ferner stellen die Mainzer MedienforscherInnen fest, dass von den Befragten die Freiheit der Presse relativ häufig und massiv unterschätzt wurde – bis hin zur Annahme einer Knebelung durch staatliche Organe, sprich: von Zensur. Zudem sehen 36 Prozent den gesellschaftlichen Zustand anders, als er sich in den Medien für sie üblicherweise darstellt.

Schließlich konnten die Forscher einen Zusammenhang zwischen politischen Einstellungen und dem Vertrauen oder Misstrauen in Medien feststellen. Wenig überraschend zunächst, stehen hier AfD-Präferenzen eher für Politikverdrossenheit und die Nutzung von alternativen Nachrichtenportalen.

Das Gefährliche daran aber sei, ergänzt Dr. Katherine Engelke, von der Wilhelms-Universität Münster, dass es eine dritte größere Gruppe gäbe, die sich gar nicht mit Journalismus beschäftige. Die offenkundige Sorge der Medienwissenschaftlerin: wer sich von politischen Meinungsbildern und Informationen vollständig abgeschnitten hat, ist plastischer, kann leichter und stärker manipulativ geformt werden.

Die mangelnde Medienkompetenz des Publikums entpuppt sich als ernsthaftes Problem

Die Debatte auf dem Podium verlagert sich hier langsam auf den medienpsychologischen Aspekt des Problems. In deren Verlauf wird der Schwarze Peter für Vertrauensdefizite nach und nach Rezipienten zugeschoben. Dafür mangelt es zunächst freilich nicht an empirischen Belegen.

Cristina Helberg, Faktencheckerin und Reporterin von Correctiv
Cristina Helberg, Faktencheckerin von Correctiv

Katherine Engelke berichtet von Forschungsergebnissen, wonach es Teilen des Publikums nicht klar sei, welche Informationen kaum und erst recht nicht vor dem Fernseher überprüfbar sind. Sie belegt dies am Beispiel von gezeigten Filmaufnahmen, die angeblich aus Syrien stammen sollten. Viele ZuschauerInnen, so Engelke, hätten dies geglaubt – obwohl in einer Darbietungsweise die Nicht-Überprüfbarkeit der Behauptung als Hinweis explizit eingeblendet wurde, in der anderen ein Tagesschausprecher wiederholt darauf hingewiesen hatte.

Die Ergebnisse solcher Studien weisen auf einen Mangel an Medienkompetenz in Teilen der Bevölkerung hin. Cristina Helberg, Faktencheckerin beim Rechercheportal Correctiv, sieht hier verständlicherweise Handlungsbedarf, die Kompetenzen der BürgerInnen im Umgang mit Medien zu steigern. So würden in dem Zentrum mit Sitz in Essen und Berlin beispielsweise Seminare angeboten, wie Faktenchecks zu machen seien, um Fake-News nicht auf den Leim zu gehen.

Der Fall des ehemaligen Spiegel-Reporters Relotius: nur der eines schwarzen Schafes?

Karte Europa Studie Vertrauen in soziale Netzwerke
Vertrauen in soziale Netzwerke. Quelle: Standard Eurobarometer 88

Die Frage, wie Vertrauen in Medien hergestellt und gestärkt werden kann, stellt sich so unter zwei wesentlichen Gesichtspunkten: Worüber wird von der Presse wie berichtet und weshalb wird die Berichterstattung wie – bzw. so und nicht anders – wahrgenommen?

Und da gab es jüngst den „Fall Relotius“; an ihm kommt die Diskussion hier kaum vorbei, auch wenn ein älterer Herr aus dem Publikum bald anmahnte, es möge doch bitteschön das Thema gewechselt werden, um gleichsam zum Kern der Sache zu kommen. Mit dieser Attitüde ist er ihrem Gehalt nach nicht allein.

Zwar verletzte hier, anders als seinerzeit beim Skandal um die gefälschten Hitler-Tagebücher, ein Journalist selbst den eigenen Berufsethos in grober Weise, indem er in seinen Reportagen über Jahre durch Erfindungen und Falschdarstellungen offensichtlich in erheblichem Umfang auf Fake gesetzt hat (was der Spiegel gerade im Einzelnen prüft, s.u.). Doch dies kann gerade deshalb leicht als der bedauerlicher Einzelfall eines schwarzen Schafes abgetan werden, das nicht für die Regeln der Zunft steht.

Mögliche Implikationen für die Glaubwürdigkeit von Medien in der Bundesrepublik

Prof. Dr. Wiebke Möhring, TU Dortmund
Prof. Dr. Wiebke Möhring, TU Dortmund

Nichtsdestotrotz: das fragwürdige Treiben des Ex-Kollegen gelangte – wegen der gerade abflauenden Diskussion um die „Lügenpresse“ – zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt in die Öffentlichkeit, oder nicht?

Prof. Wiebke Möhring vom Institut für Journalistik an der TU relativiert: jene, für die der Fall Relotius Wasser auf ihre Mühlen gewesen sei, Stichwort: Lügenpresse, die hätten auch zuvor den Medien nicht vertraut. Daher sei ein dramatisches Absinken der Vertrauensquote nicht zu erwarten.

Mathias Tauche vom „LokalFernsehen AhlenTV“ sekundiert: auch er hält die Debatte um Relotius für „stark aufgebauscht“. Tenor: so mancher Politiker hätte in der Vergangenheit nachweislich gelogen, aber das Vertrauen in die Politik sei deshalb nicht insgesamt verloren gegangen.

Verlässlichkeit der Berichterstattung ist unabdingbare Voraussetzung für das Vertrauen in sie

Florian Meißner leitete das „Kick-off-Seminar“ zur Podiumsdiskussion

Dennoch: die Glaubwürdigkeit der Medien ist kein Selbstläufer, darüber ist sich die Runde weitgehend einig. Seminarleiter Florian Meißner hatte in seiner kurzen Begrüßungsansprache von einem Vertrauen in den Journalismus gesprochen, das immer wieder neu erarbeitet werden müsse. – Wie wäre dies konkret vorstellbar?

Die Antwort liegt nah: JournalistInnen müssen verlässlich arbeiten und so dem Publikum die Verlässlichkeit ihrer Berichterstattung garantieren. Da Medienmenschen wie alle anderen potentiell fallibel sind, braucht es institutionalisierte Kontrollmechanismen zur Qualitätssicherung. Die aber hatten sich in der großen Redaktion des „Spiegel“ seit langem etabliert – dennoch konnte ein Relotius jahrelang unentdeckt sein Unwesen treiben.

Ergo gehören eingespielte Mechanismen auf den Prüfstand, und zwar im Einzelnen –sonst wäre dem denkbaren Verdacht popeliger Selbstgewissheit in der Branche nur Vorschub geleistet. Einige Beispiele kamen während der Podiumsdiskussion zur Sprache.

Fakten müssen, soweit wie möglich, prüfbar gemacht und unabhängig geprüft werden

Medienentfremdung in der Bundesrepublik
Medienentfremdung in der Bundesrepublik. Quelle: Uni Mainz

Tatsachenbehauptungen werden in Redaktionen mit entsprechenden Finanzmitteln von einer unabhängigen Dokumentationsabteilung geprüft. Dies muss erstens möglich sein, indem die betreffenden RedakteurInnen überhaupt Zugänge gewähren. Es gäbe eine journalistische Sorgfaltspflicht, zu der eben gehöre, dass es normal sei, die Quellen offenlegen zu können, betont Cristina Helberg.

Zur Dokumentation journalistischer Arbeitsweise sollte daher mindestens ein Rechercheprotokoll geführt werden. Wiebke Möhring bestätigt: das sei (früher) Teil der Ausbildung während des Journalismus-Studiums.

Doch nicht alles könne geprüft werden, Cristina Helberg hinzu. Bei Online-Medien ist die Situation noch relativ günstig, auch für LeserInnen. Denn Verifizierung sei über eingebaute Links gut möglich und stelle daher auch – anders als beim Print – eine Chance dar, die eigene Seriosität zu dokumentieren, weiß die renommierte Fakten-Checkerin aus Erfahrung.

Schwierigkeiten mit Behauptungen über Tatsachen in Reportagen an entlegenen Orten

Druckmedien, denen dies verwehrt ist, sollten dagegen offenlegen, wie sie Fakten prüfen. Und sie hat noch einen praktischen Vorschlag zur Hand, um das Fake-Risiko zu minimieren: die Schreibenden könnten zusammen mit FotografInnen losgeschickt werden.

Mathias Tauche, Bürgermedienmacher bei LokalFernsehen AhlenTV

Was die Prüfungsdurchlässigkeit von (impliziten oder expliziten) Tatsachenbehauptungen betrifft, wird an diesem Ratschlag der Correctiv-Vertreterin aber auch klar: es muss zwischen verschiedenen Publikationsgattungen unterscheiden werden. Irgendwann ist nämlich die Grenze bei einer Reportage am anderen Ende der Welt erreicht. Dahinter beginnen die Weiten des Vertrauens.

An dieser Stelle springt Bürgermedienmacher Mathias Tauche ein. Denn er sieht das Problem der Glaubwürdigkeit weniger bei den Medien denn vielmehr aufseiten der Person, die journalistisch tätig ist, in ihrer Haltung: „daher ist es eine Charakterfrage“, so Tauche. Und stellt zur Absicherung dieses Konzepts eine Randbedingung auf, denn: „Ich kann mich irren“, so Tauche; daher sei er für „absolute Transparenz“ in der journalistischen Tätigkeit, gibt er zu Protokoll.

Teufelskreis der Vertrauenslosigkeit ist zugleich Nährboden zur Verfestigung von Vorurteilen

Es mag zwar banal klingen, aber Vertrauen braucht ein Publikum, das vertraut. Auf die damit zusammenhängenden Fallstricke der umgekehrten Konstellation weist Wiebke Möhring hin: Dort, wo von vorneherein ein grundlegendes Misstrauen vorherrscht, wird es post festum nicht anders sein. Aus dem einfachen Grund, weil erst gar kein Ereignis einer Rezeption stattfinden wird: die betreffenden Leute werden schlicht nicht lesen und auf diese Weise einem Journal keine Chance geben, besser zu werden.

Aus dieser Überlegung heraus, dass es so etwas wie einen Teufelskreis der Vertrauenslosigkeit gibt, kann die Lehrende am Institut für Journalistik dann den Satz begründen, dass Vertrauen geschenkt würde. Und zwar, ohne dass in einem solchen Zirkel die Möglichkeit bestünde, es sich zu erarbeiten. Denn Geschenke erfordern per se keine Gegenleistungen, sondern unterliegen immer einer gewissen Willkür seitens der Schenkenden.

In diesem Sinne hängt die Glaubwürdigkeit von Medien von ihrer Nutzungsweise ab: wo ich sie geflissentlich wegknipse, darf ich ihnen unbesehen misstrauen. Hier wird erneut deutlich, zudem nuanciert, was mit den Gefährdungen durch Ignoranz gemeint war: fehlende Auseinandersetzung (oder die Möglichkeit dazu) führt zu Vorurteilen oder deren Verfestigung – nicht nur gegenüber MigrantInnen, sondern ebenso in der Medienlandschaft (und anderswo). Und der Rechtspopulismus freut sich.

Transparenz in der journalistischen Arbeitsweise führt zu erhöhter Vertrauenswürdigkeit

Dem zu begegnen bzw. hier Ideen zu generieren, das war ein Motiv der Veranstaltung. Ein Zauberwort heißt sicherlich „Transparenz“. Indem ich mich öffne, erhöhe ich die eigene Sichtbarkeit, schaffe dadurch Räume für Begegnungen wie Auseinandersetzung. Durch die Nachvollziehbarkeit medialen Handelns bildet sich zugleich ein Mehr an potentieller Vertrauenswürdigkeit heraus.

Diskutierten über vertrauenswürdigen Journalismus: (v.l.) Cristina Helberg von CORRECTIV, Prof. Dr. Wiebke Möhring vom Institut für Journalistik, Moderator Jonas Hüster, Moderatorin Lena Feuser, Bürgermedienmacher Mathias Tauche und Kommunikationswissenschaftlerin Dr. Katherine Engelke von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Foto: TU Dortmund
Entspanntes Ambiente, schwierige Themen

Transparenz im Journalismus bedeutet für Medienwissenschaftlerin Möhring: erstens, sich nach den Fakten zu richten, statt nach den (angenommenen) Erwartungen der Redaktion (oder des Publikums) zu schreiben; zweitens, so ihre These, die persönliche Haltung zum bearbeiteten Thema zu verdeutlichen.

Insbesondere der letzte Punkt ist insofern von großem Interesse, als es immer wieder KollegInnen zu geben scheint, die allen Ernstes glauben, sie schrieben neutral, wertfrei – oder dies wenigstens beanspruchen. Näher betrachtet, stecken dahinter „lediglich“ berufsethisch begründbare Postulate nach bzw. weichere Normen zur Wahrung von Ausgewogenheit in der Darstellung, Sorgfalt bei der Recherche oder die so wichtige Transparenz in der Trennung von Bericht und Meinung, usf.

Was JournalistInnen stets gegenwärtig sein sollte: ihre Tätigkeit impliziert immer Wertungen

Die These von Wiebke Möhring kann dann wie folgt verstanden werden: Gerade wenn ich der Chimäre aufsitze, quasi haltungslos schreiben zu können, erhöht sich das Risiko, diesem beruflichen Ethos zu widerstreiten. Dass „Wertungen“ in der journalistischen Arbeit unvermeidlich sind, erhellt sich an einer einfachen Überlegung.

Allein die spezifische wie notwendige Auswahl des Stoffes, der medial verarbeitet werden soll, aus einem unübersehbaren Faktenpool nach einer Reihe von bestimmten, aber nicht immer bewussten Kriterien impliziert eben – Wertungen. Unter anderem auch die, dass die beabsichtigte Publikation einer Meldung, ein Bericht, eine Reportage etc. überhaupt im öffentlichen Interesse liegt. All dies geschieht unter dem Einfluss von individuellen Haltungen und Einstellungssystemen.

Gleiches gilt für den zweiten Schritt journalistischer Tätigkeit: der Aufbereitung der ausgewählten Fakten; danach etwa, wie sie interpretiert, zueinander in Beziehung gesetzt, erklärt werden und ihr Bedeutungskern in einem größeren Zusammenhang verortet wird.

JournalistInnen sollten ihre Hintergrundhaltungen (angemessen) offen legen

All diese Faktoren spielen in der Tätigkeit der schreibenden (oder fotografierenden) Zunft eine Rolle; ihre Effektstärke ist jeweils abhängig vom konkreten Gegenstand, der medial vermittelt werden soll. Wiebke Möhring spricht davon, dass handelnde Subjekte ihre Meinungen beim Interpretieren nicht außen vor lassen könnten und macht Intransparenz für den Fall als Folgeproblem aus, dass JournalistInnen sie nicht offenlegen – wie immer das auch aussehen mag.

Jonas Hüster und Lena Feuser moderierten die Diskussion.

Wenn dem so ist, ließe sich im Sinne der Medienwissenschaftlerin behaupten: ein Höchstmaß an Objektivität (aber nie vollständige) gewinne ich gerade dadurch, dass ich meine relative Subjektivität darin, den Horizont, in dem ich schreibe, performativ vermittele. Statt zu versuchen, ihn zu kaschieren, weil ich vielleicht mit den besten Absichten der doch naiven – und in der Wissenschaftstheorie nur vom (Neo-)Positivismus geteilten – Annahme folge, es gäbe so etwas wie „Wertfreiheit“.

Doch es gibt unter bestimmten Voraussetzungen Handlungsspielräume, sich „Objektivität“ stärker zu nähern. Der lokale Fernsehredakteur Mathias Tauche, um normative Komponenten wenigstens bei der Darstellungsform von Medieninhalten möglichst zu umgehen, hat für seine Interviewbeiträge im lokalen Fernsehen eine Lösung gefunden: nicht mehr nur (nach professionellen Kriterien) zu schneiden, sondern dem Publikum zusätzlich anzubieten, die Beiträge in voller Länge zu sehen.

Zwang zum Wirtschaften und einen anspruchsvollen Journalismus verbindet keine innige Freundschaft

Ein letzter Aspekt, der in der unterhaltsamen Diskussion auf dem Podium zur Sprache kam: der Zwang für Medien, Umsatz zu machen. Dies ist in einer Marktwirtschaft, soll journalistische Arbeit nicht zum ideologisierten Dienst als Staatspresse verkommen, nahezu unumgänglich.

Mathias Tauche kann sich daraus ergebende Komplikationen zwar gut verstehen; sei aber froh, wie er sagt, dass sein Bürgerfernsehen nicht daran denken müsse. „Ich kann ehrlich sein“, beschreibt er etwas provozierend sein Privileg.

Wo die Reichweite der Medienprodukte hingegen eine Rolle spielt, entsteht häufig ein Druck zur Verflachung – wo es keine anspruchsvollere Stammkundschaft als Publikum gibt. Dies bezieht sich auf Priorisierungen bei der Themenwahl (etwa stärker gewichtete Blau- oder Rotlicht-Berichterstattung) wie professionalisierte Darstellungsweisen.

„Fast-Food-Journalismus“ und „Schwarzbrot“: Geschwindigkeit vs. Qualität bei Berichterstattung?

Dies könnte im Extremfall bedeuten, für gewöhnlich „hochprofessionelle“ Pressearbeit mit dem Ziel zu machen, irgendwelche fragwürdigen Gefühle zwischen den Koordinaten „Sex – Macht (Ausgrenzung) – Reichtum“ bei dafür anfälligen Zielgruppen zur Auflagensicherung hervorzulocken. Auch deren Kaufentscheidung repräsentierte eine Form von „öffentlichem Interesse“, allerdings nur durch seine Faktizität: es interessiert eben.

Mathias Tauche hat sich hierfür den Ausdruck „Fast-Food-Journalismus“ reserviert, den er dem „Schwarzbrot“ à la Arte gegenüberstellt. Sein Punkt: das Schwarzbrot müsse staatlich finanziert werden. – Natürlich nicht, um eine Staatspresse zu generieren, sondern zur Qualitätssicherung jenseits von „sex sells“.

Die Geschwindigkeit, mit der Medien auf wichtige Ereignisse in ihrem Einzugsgebiet reagieren, ist aber nicht alles. Auch hier zeige sich die Bedeutung des Publikums, so Katherine Engelke. Was bei den einen Vertrauen schafft: möglichst schnell berichten zu können – erzeugt dort Misstrauen.

Der Schlüssel liegt für die Wissenschaftlerin vor allem in mehr Medienkompetenz: in deren Verbesserung liegt gleichsam die „Neuwahl“ des Publikums. Denn dann rückt Schnelligkeit bei der Aufbereitung von Informationen in vielen Fällen (in Abhängigkeit vom Gegenstand der vermittelten Inhalte) zugunsten von Qualität, auch durch stärker gesicherte Wahrung ethisch begründeter Regeln der Zunft, in den Hintergrund. – Wäre da nicht die Quote. Auch Engelke konzediert: das Loslösen vom System sei schwierig.

Weitere Informationen:

  • Langzeitstudie: Standard Eurobarometer 88 (2017), hier:
  • Langzeitstudie: „Medienvertrauen in Deutschland 2017“ an der Universität Mainz, hier:
  • Spiegelbericht zum Stand der Verifikation aller Relotius-Texte (24. Januar 2019), hier:

 

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