
Thamer Khale ist 32 Jahre alt und stammt aus aus Shingal im Nordirak. Am 3. August 2014 wurde die Stadt vom „Islamischen Staat“ (IS) angegriffen. „Als Jeside hatte man dann keine Chance mehr dort zu leben – oder besser gesagt zu überleben“, erzählt Khale. Die Männer wurden gefoltert und erschossen, die Frauen wurden versklavt.
Es war schon kein Leben mehr, bevor der IS anfing Leben zu nehmen
Schon vor dem Angriff war das Leben für Jesiden geprägt von Diskriminierung und Feindseligkeiten im Alltag. „Viele waren der Meinung, dass wir abgeschlachtet werden sollen, nur weil wir keine Muslime sind. Das hat man jeden Tag gespürt – in der Uni, im Taxi, auf der Straße. Wir durften nicht einmal mehr unsere eigene Sprache sprechen.“
Es war schon kein Leben mehr, bevor der IS anfing, Leben zu nehmen. „Durch den IS und ihre Schlacht sind wir wach geworden. Das war der Zeitpunkt an dem wir realisierten, dass wir dort nicht mehr leben konnten.“
Khales Flucht begann in den Bergen vom Irak. Dort traf er die Entscheidung, mit seinen zwei minderjährigen Geschwistern nach Deutschland zu gehen. Der letzte Anstoß für die Flucht nach Deutschland war Merkels Satz: „Wir schaffen das!“ Dieser Satz hat Khale Mut gemacht. Er hörte, dass er und seine Geschwister in Deutschland aufgenommen würden.
Große Verantwortung und große Gefahren
Erst flohen sie in die Türkei und Khale erarbeitete die 15000 Dolar für einen Schleuser nach Bulgarien. Die Summe war auch für seine Geschwister. „Ich war wie Vater und Mutter für beide“, erzählt Khale. Die Einreise in die EU versuchten die Geschwister aber im Jahr 2016, als die EU ihre Grenzen bereits mit Gewalt verteidigte.

Sie mussten mehrmals versuchen, Grenzen zu überqueren, wurden wochenlang festgehalten und Khale berichtet, dass er gefoltert wurde. Die Lage war so katastrophal, dass Weggefährten starben.
Als die Geschwister Deutschland erreichten, fühlten sie sich jedoch noch nicht sicher. „Ich habe mich gefühlt wie ein Mensch der dritten oder vierten Klasse.“ Zwar habe es immer Menschen gegeben, die ihnen freundlich und unterstützend begegneten, „aber ich hatte immer das Gefühl, auf meiner Stirn steht das Wort ,Flüchtling’“, berichtet der heute 32-Jährige.
Ein Neubeginn durch Sprache
Zwei Jahre lang lebte er in einem Flüchtlingsheim, jeden Tag lernte er selbstständig Deutsch. Als er schließlich seinen Aufenthaltstitel erhielt, besuchte er Integrationskurse und machte ein Anerkennungsjahr. Dann musste er den Kampf mit der Bürokratie fortsetzen: Weder sein Führerschein, seine Ausbildung als Gesundheits- und Krankenpfleger, noch sein Studium der Wirtschaftsökonomie wurden anerkannt. „Dann wurde mein Asylantrag auch noch verloren.“

Doch Khale ließ sich nicht unterkriegen. Deutsch spricht er heute wie ein Muttersprachler. Seit zwei Jahren hat er zudem einen deutschen Pass. Seit 2020 wieder in seinem Beruf als Gesundheits- und Krankenpfleger tätig. Seit dem 1. März 2024 arbeitet er in der LWL-Klinik für Forensische Psychiatrie in Aplerbeck. „Das ist nichts für jeden. Ich liebe es aber, Menschen zu helfen, vor allem Menschen, die psychisch krank sind.“
In seiner Freizeit spielt Kahle Fußball, Tennis, Basketball und macht Fahrradtouren. „Durch Sport kann ich abschalten. Eine sehr positive Sache in Deutschland ist, dass man hier immer Sport treiben kann – egal bei welchem Wetter.“
Khaleds Heimat ist Irak, aber zurück kann er nicht
Khale betont, wie wichtig ihm seine Religion und die Stimme seiner Gemeinschaft sind. „Wir Jesiden haben schon 74 Mal Massaker und Vertreibungen erlebt – ungefähr alle hundert Jahre.“ Daher ist der Nordiraker auch nicht überzeugt davon, in seine Heimat zurückzukehren: „Ich möchte nicht, dass meine Kinder das auch durchmachen müssen.“ Außerdem ist seine ganze Familie nach Deutschland nachgekommen, im Irak ist das Leben von Jesiden weiter gefährdet.
Manche Erfahrungen lassen sich nicht teilen
Über seinen Weg nach Deutschland schrieb Khale in der Zeitschrift „Neu in Deutschland, über Flucht, Liebe und das Leben“. Er kommt zu dem Schluss, dass Deutsche nicht verstehen können, was die Jesiden durchgemacht haben. „Nicht einmal in unserer eigenen Sprache könnten wir unsere Wunden beschreiben“, so Khale.
Bei Ankommen kann Khale aber an seinen Erfahrungen teilhaben lassen: „Man muss Geduld haben, aber darf trotzdem nicht nur darauf warten, dass erst etwas passiert. Ich habe auf meinen Aufenthaltstitel nicht gewartet, sondern jeden Tag selbstständig Deutsch gelernt. Außerdem muss man sich auf die positiven Sachen fokussieren und sich von Rassisten nicht unterkriegen lassen.“
Jeder werde immer wieder Menschen treffen, die rassistisch sind – denn leider gebe es nirgendwo ein Leben ohne Rassismus. Außerdem sollte man auf sich selbst stolz sein, und sehen, was man erreicht hat. „Und sich nicht vorhalten,was man nicht was man nicht erreicht hat“, betont der der 32-Jährige.
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