Grünen-Nachwuchstalent ist erste afrodeutsche Landtags-Vizepräsidentin

Politstar Aminata Touré beim „Talk im DKH“

Aminata Touré ist die jüngste und erste afrodeutsche Vizepräsidentin eines deutschen Landtages. Beim „Talk im DKH“ begeisterte sie das Publikum. Foto: Dennis Treu

Von Jean Pierre Samedjeu und Anna Lena Samborski

Das erste Mal seit dem Beginn der Corona-Pandemie fand der „Talk im DKH“ endlich wieder mit Publikum statt. Und das direkt mit einer politischen Hochkaräterin: Veranstalter und Moderator Aladin El-Mafaalani hatte Aminata Touré, die jüngste und erste afrodeutsche Vizepräsidentin eines Landtages (SH), zu Gast. Die deutschlandweit bekannte Jungpolitikerin zog interessierte Zuhörer:innen von Duisburg bis Bielefeld an und machte die Reihen im Dietrich-Keuning-Haus voll. Die 28-Jährige gab persönliche Einblicke in ihren politischen Werdegang und sprach über Schwarzsein in Deutschland, Feminismus und Armutsdiskriminierung. Dazu gab es Kostproben aus ihrem jüngst erschienenen Buch „Wir können mehr sein: Die Macht der Vielfalt“.

Die Jungpolitikerin verpasste den Einzug in den SH-Landtag 2017 zunächst knapp

Gastgeber Aladin Aladin El-Mafaalani erfreut: Endlich wieder Publikum bei der bekannten Dortmunder Veranstaltungsreihe Foto: Dennis Treu

Nach drei Jahren als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der grünen Bundestagsabgeordneten Luise Amtsberg aus Kiel entschließt sich die damals 24-jährige Touré zur Kandidatur für die Landtagswahl 2017 in Schleswig-Holstein. Dabei verpasste sie den Einzug ins Parlament für die Grünen zunächst knapp. Erst drei Wochen später rückt sie für Monika Heinold, die in der neuen Jamaika-Regierung Finanzministerin wird, nach.

2019 gelang Touré dann mit der Wahl zur Vizepräsidentin des Landtages die Sensation. Dabei war ihr nicht sofort klar, welche Wellen dieses Ereignis über die schleswig-holsteinischen Grenzen hinaus schlagen würde – denn es berichteten sogar Medien in den USA und Mali, dem Herkunftsland ihrer Eltern. Vor allem gilt Touré jedoch jungen und Schwarzen Menschen sowie People of Colour (PoC) in ganz Deutschland als Vorbild:

Auf Instagram hat die norddeutsche Politikerin über 100.000 Follower, auf Twitter über 60.000. Zusammen mit ihrem Landtags- und Parteikollegen Lasse Petersdotter betreibt sie den erfolgreichen Politpodcast „Das nehm ich mal mit“ und veröffentlichte kürzlich ihr erstes Buch.

El-Mafaalani: „Eine Politikerin ganz neuen Typs“

Für El-Mafaalani ist das Erfolgsrezept klar: Touré verbinde politische Themen mit Persönlichem und Emotionalem. Sie stelle somit die Auswirkungen von politischen Entscheidungen für die:den Einzelne:n auf individueller Ebene in den Mittelpunkt – auch bei ihren Reden im Landtag. Sie sei damit „eine Politikerin ganz neuen Typs“ attestiert ihr El-Mafaalani.

In ihrer Fraktion im Landtag ist Touré Sprecherin für Migration & Flucht, Antirassismus, Frauen & Gleichstellung, Queer und Religion. Des Weiteren ist sie Fachpolitikerin im Bereich Katastrophenschutz und Rettungsdienst. Dabei begleiten sie die Thema Flucht, Migration und Rassismus schon seit ihrer Kindheit.

Denn geboren wurde Touré – ein Jahr nachdem ihre Eltern von Mali nach Deutschland flohen – in Neumünster und verbrachte die ersten Jahre ihres Lebens in einer dortigen Gemeinschaftsunterkunft. Ihre Kindheit sei glücklich gewesen, berichtet Touré. Doch je älter sie wurde desto mehr bekam sie die Sorgen um den Aufenthalt – die Familie hatte zunächst den Status einer Duldung – sowie rassistische Diskriminierungen zu spüren.

Touré weiß heute: Politische Entscheidungen sind Ursache für Armut

Touré ist Podcasterin und Autorin. Sie schrieb das Buch „Wir können mehr sein: Die Macht der Vielfalt“. Foto: Dennis Treu

Dabei belastete die jugendliche Touré neben rassistischen Diskriminierungen die Armut der Familie, wie sie in dem Kapitel „Armut und Scham“ ihres Buches beschreibt. Ob Kinobesuche oder neue Winterkleidung – was für andere normal schien, blieb Touré und ihrer älteren Schwester oft verwehrt. Bis heute empfinde sie Scham, über die damalige ökonomische Situation der Familie zu reden.

Aber heute weiß Touré: Armut ist nicht selbstverschuldet. Ursächlich sind vielmehr politische Entscheidungen – getroffen von Politiker:innen, die in den meisten Fällen selber nicht betroffen sind. So wurde auch Tourés Eltern aufgrund ihres Aufenthaltstitels verwehrt, in ihrem studierten Beruf zu arbeiten.

Doch die eigenen Kinder sollten es einmal besser haben. Dabei vermittelte die Mutter ihren Töchtern von Anfang an: Ihr müsst euch doppelt anstrengen, um in diesem Land die gleichen Chancen zu haben und das Gleiche zu erreichen. So brachte die Mutter Touré und ihrer Schwester schon vor der Einschulung Lesen, Schreiben und Rechnen bei.

Die Sichtweise der ersten Generation: Tourés Mutter kommt im Buch selbst zu Wort

Während der gesamten Diskussion wurde dabei deutlich, dass Mutter und Tochter unterschiedliche Sichtweisen auf ihr Leben in Deutschland haben. „Ich wusste immer, dass meine Mutter eine andere Sicht hat als ich. Aus diesem Grund habe ich ihr angeboten, einen Beitrag für das Buch zu schreiben und sie hat zu meiner Überraschung sofort akzeptiert,“ erklärt Touré.

Bereits hier wird erkenntlich: Das Buch ist keine Autobiographie! Es gibt zwar autobiographische Elemente, aber Touré war es wichtig, verschiedene Themen aus ihrem politischen Alltag aus der Jetzt-Perspektive anstatt der Retroperspektive zu behandeln. Außerdem gibt es neben den politischen Sachtexten und persönlichen Erfahrungsberichten untermalende lyrische Beiträge des schriftstellerischen Allround-Talentes.

Mit ihrem Buch möchte Touré das Vorbild sein, das ihr in ihrer Kindheit und Jugend als Schwarzes Mädchen und junge Frau gefehlt hat. Und es scheint zu wirken: Bei der Publikumsdiskussion melden sich überwiegend Schwarze Frauen und Frauen of Colour zu Wort, bedanken sich bei Touré und geben an, sich durch sie zu eigenem politischen Engagement inspiriert zu fühlen.

„Wir“ im Buchtitel spricht unterschiedliche Bevölkerungsgruppen an

Viele Zuhörer:innen stellten sich nach der Veranstaltung bis zu einer halbe Stunde für eine persönliche Widmung der Jungpolitikerin an. Foto: Dennis Treu

Bei der Publikumsdiskussion geht Touré außerdem besonders auf eine Frage ein: „Was bedeutet das ‚Wir‘ im Titel ihres Buches?“ Statt ihre politische Laufbahn auf die Schwarze Sache zu reduzieren, möchte sie unterschiedliche Bevölkerungsgruppen ansprechen, so Touré dazu.

Sie macht deutlich, dass das „Wir“ im Titel ihres Buches inklusiv gemeint ist. Das heißt, die junge Abgeordnete denkt an ein „Wir“, das alle Bürger:innen einbezieht. Dabei möchte sie in verschiedenen Kontexten zum Beispiel junge Menschen, Schwarze Menschen, PoC, Frauen oder speziell Schwarze Frauen ansprechen.

Für sie geht es dabei auch darum, ein Verhältnis zwischen Politiker:innen und Bürger:innen zu schaffen, das sich von dem unterscheidet, was sie in ihrer Jugend kennengelernt hat – mit Erfolg: Tourés Nahbarkeit sowie ihre Beliebtheit bei den Zuhörer:innen wird auch am Ende dieser Veranstaltung noch einmal deutlich. Geduldig nimmt sich Touré trotz fortgeschrittenem Abend die Zeit, um allen Interessierten eine persönliche Widmung und ein Autogramm zu geben und steht noch für dutzende Selfies und Fotos bereit.

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