
Mit dem Tod von Jutta Reiter im Januar 2025 hat die Gewerkschaftsbewegung in Dortmund eine prägende Stimme verloren. Nun steht fest, wer ihre Nachfolge antritt: Seit dem 1. August 2025 ist Bärbel Sumagang neue Geschäftsführerin der DGB-Region Dortmund-Hellweg. Die 53-Jährige bringt mehr als ein Jahrzehnt Erfahrung als Gewerkschaftssekretärin bei ver.di mit – zuletzt im Bezirk Westfalen für den Bereich Bund & Länder sowie Sozialversicherungen.
Aufgewachsen in einer Arbeiterfamilie mit Fluchtgeschichte
„Ich hatte die Stelle gar nicht auf dem Schirm“, gesteht Sumagang. Erst auf Nachfrage von Kolleg:innen habe sie sich mit der Aufgabe befasst. „Jutta Reiter hat sehr viel gegen Rechts gemacht. Da habe ich mich schon gefragt: Tue ich mir das an? Aber dann dachte ich: Wenn nicht wir, wer dann?“

Bärbel Sumagang ist gebürtige Dortmunderin, aufgewachsen in einer Arbeiterfamilie mit ostpreußischen Wurzeln. Ihre Eltern kamen nach dem Zweiten Weltkrieg ins Lager Unna-Massen. „Willkommenskultur gab es damals nicht“, sagt sie rückblickend. Die Kriegstraumata ihrer Eltern wurden nie offen angesprochen – prägten aber das Familienleben.
Nach dem Abitur 1991 machte sie zunächst eine Ausbildung als Tischlerin und arbeitete am Theater Dortmund – „vom Herzen bin ich Handwerkerin“, sagt sie mit einem Lächeln. Später absolvierte sie die Akademie der Arbeit in Frankfurt, was den Grundstein für ihre gewerkschaftliche Laufbahn legte.
Gewerkschaftsarbeit in einer sich rapide verändernden Arbeitswelt
Seit 2013 war Bärbel Sumagang als Gewerkschaftssekretärin bei ver.di tätig – zunächst im Fachbereich Medien, Kunst und Industrie, später im Bereich Bund & Länder sowie Sozialversicherungen. Sie betreute dabei ein breites Spektrum von Betrieben: von großen Verlagshäusern über Verwaltungsstellen bis hin zu Krankenkassen.

In dieser Zeit erlebte sie den tiefgreifenden Wandel der Arbeitswelt hautnah. „Ich habe gesehen, wie ganze Redaktionen dichtgemacht wurden, wie Druckereien und Papierwerke verschwanden. Betriebe, in denen man Jahrzehnte gearbeitet hatte, waren plötzlich Geschichte“, erinnert sie sich. Das sei nicht nur wirtschaftlich einschneidend gewesen, sondern habe auch die gewerkschaftliche Arbeit verändert.
Mit der Digitalisierung seien viele klassische Arbeitsplätze weggefallen, während neue Formen des Arbeitens entstanden. „Die klassische Betriebsstruktur, wie wir sie kannten – ein fester Ort, feste Belegschaft, klarer Betriebsrat – gibt es oft nicht mehr“, sagt Sumagang. Heute arbeiteten viele Beschäftigte mobil, teils weit entfernt vom Firmensitz, und kämen nur selten oder gar nicht ins Büro. „Das erschwert es, Menschen zu erreichen und gewerkschaftlich zu organisieren.“
Digitalisiert bietet Chancen, erschwert aber auch den Zusammenhalt im Betrieb
Statt über Tarifrunden oder Arbeitszeitmodelle ins Gespräch zu kommen, funktioniere die Ansprache heute oft über ganz andere, niedrigschwellige Themen. „Das Essensangebot in der Kantine kann ein Mitsprache-Highlight sein, genauso wie Fragen der ergonomischen Ausstattung im Homeoffice oder die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.“

Diese „alltäglichen“ Anliegen seien oft der Türöffner, um über weitergehende Rechte und Arbeitsbedingungen zu sprechen.
Corona habe diesen Trend beschleunigt: „Die Pandemie war ein Katalysator – mobiles Arbeiten wurde plötzlich möglich, Digitalisierung kam in vielen Bereichen mit einem Riesenschub. Das hat Chancen eröffnet, aber auch neue Herausforderungen geschaffen, zum Beispiel beim Zusammenhalt im Betrieb.“
Für die Gewerkschaften bedeute das, ihre Strategien ständig anzupassen und sich auf die veränderten Realitäten einzustellen.
Bildung ist eine soziale Aufgabe und ein Beitrag zur Demokratie
Ein zentrales Thema der neuen DGB-Chefin ist Bildung. „Wir können uns an den Rechten zu Tode arbeiten, aber wir müssen die Menschen immun machen gegen rechte Rattenfänger – und das geht nur über Bildung“, betont sie. Frühkindliche Förderung, Sprachkenntnisse und interkulturelle Erfahrungen müssten deutlich gestärkt werden.

Für Sumagang gehören dazu auch ganz praktische Projekte: Hausaufgabenhilfen, offene Kinder- und Jugendtreffs, Kooperationen mit Schulen. „Ja, das ist Gewerkschaftsarbeit – mit zwei Ausrufezeichen! Wir müssen verhindern, dass Kinder aus Arbeiterfamilien oder bildungsfernen Milieus abgehängt werden.“
Sie sieht darin nicht nur eine soziale Aufgabe, sondern auch einen Beitrag zur Demokratie. „Wer früh lernt, kritisch zu denken, Vielfalt zu akzeptieren und eigene Interessen zu vertreten, ist weniger anfällig für einfache Parolen.“ Bildung sei damit nicht nur ein individuelles Sprungbrett, sondern ein wirksamer Schutzschild für die Gesellschaft.
Gleichstellung kann für Sumagang zum „Gamechanger“ werden
Ein weiteres Herzensthema ist die Gleichstellung. Sumagang träumt davon, dass reduzierte Vollzeit (z. B. 30 Stunden pro Woche) zum Normalmodell wird – für Männer und Frauen gleichermaßen. „Das würde Frauen aus der Teilzeitfalle holen und Care-Arbeit gerechter verteilen. Gleichzeitig hätten alle mehr Zeit für Ehrenamt und gesellschaftliches Engagement.“

Aus ihrer Sicht würde ein solches Modell nicht nur Geschlechtergerechtigkeit fördern, sondern auch das gesellschaftliche Miteinander stärken. „Wenn alle etwas weniger arbeiten, entsteht mehr Raum für Familie, Nachbarschaft, Vereinsarbeit. Das ist kein Luxus, sondern eine Investition in den sozialen Zusammenhalt.“
Sie verweist dabei auch auf ihre Zeit bei ver.di: Dort seien zwar 52 Prozent der Mitglieder Frauen, viele davon in Teilzeit – doch als Maßstab gelte noch immer der vollzeitbeschäftigte, männliche Arbeitnehmer. „Wir müssen gezielter auf Zielgruppen schauen und Solidarität praktisch leben. Nur so können wir Strukturen verändern, die seit Jahrzehnten bestehen.“
„2025 haben wir die Themen von 1970. Das ist wie früher, nur krasser.“
Gemeinsam mit Kolleg:innen wie Ulrike Hölter (IG Metall) und Klaus Waschulewski (DGB Dortmund) warnt Sumagang vor massiven Veränderungen: Personalabbau, Deindustrialisierung, internationale Konkurrenz, KI-gestützte Rationalisierung. „2025 haben wir die Themen von 1970 – nur unter ganz anderen Bedingungen. Das ist wie früher, nur krasser“, bringt es Bärbel Sumagang auf den Punkt.

Hölter verweist besonders auf den Verlust industrieller Arbeitsplätze im Ruhrgebiet: „Insbesondere die Industriearbeitsplätze sind am gefährdetsten. Wir haben in Dortmund schon viel erlebt, was den Verlust von Arbeitsplätzen angeht. Aber jetzt sehen wir auch bei kleineren Betrieben große Einschnitte.“
Die IG Metall habe aktuell eine „Landkarte“ erstellt, die zeigt, wo und in welcher Zahl Arbeitsplätze verloren gehen oder entstehen. „Im Ruhrgebiet Mitte sind es über 2.000 Arbeitsplätze, die uns in den nächsten Monaten verloren gehen – und wir sind noch nicht an einem Punkt, wo nicht noch weitere hinzukommen.“
Hölter: „Unternehmen viel gehen heute viel aggressiver vor, als wir das früher kannten“
Die Gründe seien vielfältig: „Politische Rahmenbedingungen, hohe Energiekosten, zu viel Bürokratie und fehlende Innovationen. Früher konnten wir immer etwas teurer sein, weil wir innovativer waren – das geht heute nicht mehr.“

Betroffen seien nicht nur die Automobilindustrie, sondern auch der Maschinen- und Anlagenbau. Hölter hört „immer häufiger bei Sozialplan- oder Sanierungsgesprächen, dass Unternehmen viel aggressiver vorgehen als wir das früher kannten“.
Früher habe man gemeinsam mit der Politik versucht, Betriebe weiterzuführen und Schritte sozialverträglich zu gestalten. „Heute wird viel schneller der Rotstift angesetzt.“ Solidarität und Zusammenhalt seien nicht mehr selbstverständlich „die Nummer eins“. Stattdessen erlebe man häufiger Ellbogenmentalität. „Solidarität und Zusammenhalt müssen wieder die Lösung sein – nicht das Problem.“
Der DGB als wichtiger gesellschaftlicher Akteur
Für Sumagang ist klar: Der DGB muss nicht nur Dachverband der Einzelgewerkschaften sein, sondern gesellschaftlicher Akteur und Netzwerker. „Wir müssen eigene Animositäten zurückstellen und gemeinsam auftreten. Auch die großen Gewerkschaften merken inzwischen, dass sie den DGB brauchen.“
Das bedeutet für sie, neue Plattformen und Bündnisse zu schaffen – gerade in Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung. „Jutta Reiter hatte ein starkes Netzwerk in die Stadtgesellschaft. Daran will ich anknüpfen – und Menschen mit ihren Themen abholen.“

„Mit Projekten wie dem Netzwerk Rente, dem Bündnis „arm in Arm“ oder Bildungsreihen gemeinsam mit Attac bringen wir Menschen zusammen“, ergänzt DGB-Organisationssekretär Klaus Waschulewski.
„Da entstehen Diskussionen, die auch mal über den gewohnten Rahmen hinausgehen. Als wir zum Beispiel die leitende Staatsanwältin zum Cum-Ex-Skandal eingeladen haben, war der Saal mit über hundert Menschen voll.“
Mit Bärbel Sumagang bekommt der DGB Dortmund-Hellweg eine Geschäftsführerin, die Erfahrung, klare inhaltliche Schwerpunkte und den Willen zur Vernetzung mitbringt. Ihr Ziel: Bildung stärken, Gleichstellung voranbringen, Solidarität leben – und den DGB in der Stadtgesellschaft sichtbar halten. „Das ist ein politischer Job. Aber genau das macht ihn spannend.“
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