Dokumentarfilm „ANKOMMEN DORTMUND“ feierte seine Premiere in der St.-Reinoldi-Kirche

Vor dem Weltflüchtlingstag ging es um Heimat, Identität und Neuanfang

Nach der Filmvorführung diskutierten Vertreter:innen verschiedener Bereiche der Dortmunder Flüchtlingshilfe über die Bedeutung von Gemeinschaft, Engagement und Sport für das Ankommen in Dortmund. Foto: Darya Moalim für Nordstadtblogger.de

Der Weltflüchtlingstag rückt näher und damit auch der Blick auf die Lebensrealitäten derer, die ihre Heimat verlassen mussten. Mit den Fragen der persönlichen Identität und des Ankommens in Dortmund, abseits von reißerischen Schlagzeilen, beschäftigte sich der Dokumentarfilm „ANKUNFT DORTMUND“, der erstmals in der St.-Reinoldi-Kirche präsentiert wurde. Im Anschluss diskutierten Vertreter:innen aus verschiedenen Bereichen der Dortmunder Flüchtlingshilfe über ihre Erfahrungen und Perspektiven aus der Arbeit.

Drei Menschen erzählen von ihren Erfahrungen und Perspektiven

Es sind etwa dreißig Minuten auf der Leinwand, in denen Marius Neumann und Sveda Gettys drei Menschen porträtieren. Drei Personen, Jamal, Smokey und Leyla, erzählen ihre Geschichten und geben persönliche Einblicke in ihre Lebenssituation als ehemals Geflüchtete, die in Dortmund eine neue Heimat gefunden haben.

Der Dokumentarfilm ist von Sveda Gettys (siehe Foto) und Marius Neumann. Foto: Darya Moalim für Nordstadtblogger.de

Sei es der Verlust von Identität, die Flucht mit einem Fischerboot oder die Unentschlossenheit bei der Frage, ob der hohe Preis, den sie für das Verlassen der Heimat bezahlt haben, um in Dortmund neu Fuß zu fassen, es wert war. „Die Idee des Projektes ist es, gemeinsam zukunftsfähig zu werden, besonders in einer interkulturellen Gesellschaft“, erklärt Sveda Gettys, Filmemacher und Dozent.

Ein wichtiger Anknüpfungspunkt dafür ist unter anderem der Fußball. „Gerade in einer Stadt wie Dortmund ist Fußball ein Ereignis, das die Menschen zusammenbringt“, sagt Gettys. Dieses Bild wollte der Filmemacher auch in seinem Film zum Ausdruck bringen: Sei es durch die Unterstützung der Nordstadtliga oder durch das gemeinsame Spielen im Verein der Protagonisten. So entsteht ein Gefühl von Zugehörigkeit, das Brücken zwischen Kulturen baut und den Integrationsprozess unterstützt.

Ähnliche Geschichten und doch gleicht keine der anderen

Geschichten, die auch Aida Demirović-Krebs, Pädagogin und PR-Referentin am PR-Referentin Dietrich Keuninghaus, in ihrer Arbeit wiedererkennt. „Viele Momente im Film erkennt man wieder, vor allem in der Arbeit mit Menschen, die geflüchtet und in Dortmund angekommen sind. Wir haben viel mit minderjährigen Geflüchteten gearbeitet, und trotzdem wird oft vergessen, dass hinter den Zahlen individuelle Geschichten stehen, von einzelnen Menschen.“

Filmon Hagos von der Diakonie Flüchtlingshilfe Dortmund. Foto: Darya Moalim für Nordstadtblogger.de

Doch auch wenn die Biografien bei den Vertreter:innen der Flüchtlingshilfe nicht neu schienen, gibt es keine Geschichte, die sich auf alle Menschen anwenden lasse, erklärt Filmon Hagos von der Diakonie Flüchtlingshilfe Dortmund: „Man kann nicht sagen, dass es typische Geschichten gibt, die auf alle Menschen mit Fluchterfahrung zutreffen“, so Hagos.

„Jeder bringt unterschiedliche Erfahrungen mit, je nachdem, was er oder sie auf der Flucht erlebt hat. Manche Momente im Film habe ich selbst erlebt, aber trotzdem ist es keine Geschichte, die sich verallgemeinern lässt. Menschen kommen mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen hier an, je nachdem, woher sie kommen und unter welchen Bedingungen sie gelebt haben.“

Dass die Fluchthintergründe sehr individuell sind und nicht, wie oft angenommen, immer politisch bedingt, stellt auch Alwina Bilmann von der Diakonie Flüchtlingshilfe Dortmund fest. Sie berichtet, dass viele Menschen aus ganz unterschiedlichen Gründen fliehen. So gebe es zum Beispiel Fälle, in denen Eltern mit ihrem schwerkranken Kind hierherkommen, weil sie Hoffnung auf medizinische Hilfe sehen und alles tun, damit es dem Kind besser geht.

Sicherheit und verlässliche Ansprechpartner als Grundbedürfnisse

Trotz der individuellen Fluchterfahrungen zeigen sich in der praktischen Arbeit immer wieder ähnliche Grundbedürfnisse, wie Jörg Loose von der AWO Dortmund erklärt. Menschen, die ankommen, sehnen sich vor allem nach Sicherheit und einer verlässlichen Ansprechperson. Doch die Strukturen des Hilfesystems bringen Herausforderungen mit sich, die den Integrationsprozess häufig erschweren.

Jörg Loose von der AWO Dortmund (li.) Foto: Darya Moalim für Nordstadtblogger.de

„Einige sind schwer traumatisiert und erleben dann hier das klassische System der Jugendhilfe, das ihnen schnell sagt: Ab morgen musst du funktionieren. Und das ist etwas, worauf ich immer hinweise: Menschen brauchen Zeit zum Ankommen, sie brauchen eine vernünftige Begleitung.“

Besonders ab dem 18. Lebensjahr werde nicht mehr die persönliche Integrationsleistung des Einzelnen bewertet, sondern vielmehr die Herkunft der Person, so Loose. Leistungen würden dann reduziert und Zugänge erschwert. Großer Kritikpunkt sei dabei, dass Deutschland bislang keine aktive Zuwanderungspolitik verfolge, sondern eher ausgrenze. Langfristig könne das Land dadurch nur verlieren. Deshalb sei es wichtig, den Prozess konstruktiv anzugehen.

Kultur als offener Prozess statt festes Konstrukt

Die Rolle der Kultur wird im Diskurs über Integration nicht selten thematisiert. Besonders häufig wird kritisiert, dass Geflüchtete ihre eigene Kultur vollständig aufgeben und sich ausschließlich an die deutsche Kultur anpassen müssten. Einen kritischen Blick darauf wirft besonders Demirović-Krebs: „Kultur ist ein Teil des Menschseins.“

Alwina Bilmann (li.) und Aida Demirović-Krebs (re.) auf dem Podium. Foto: Darya Moalim für Nordstadtblogger.de

Gerade wenn Menschen neu ankommen und sich unsicher fühlen, suchen sie den Austausch mit Menschen, die ähnliche Interessen haben, so die Referentin, die dabei auch persönliche Erfahrungen aus ihrer eigenen Ankunft in Deutschland vor 30 Jahren einfließen lässt.

Kultur wird dabei als Prozess verstanden, in dem verschiedene Hintergründe zusammenkommen und gemeinsam neu gestaltet werden. „Ich glaube, wir müssen uns von dem Begriff ‚der Kultur‘ lösen und stattdessen gemeinsam mit Menschen aus den verschiedensten Ecken Kultur gestalten.“

„Fußball bildet für viele Menschen eine Familie“

Besonders da Fußball die Stadt Dortmund stark prägt, war es für Gettys wichtig, diesen lokalen Bezug auch im Dokumentarfilm herzustellen. Sport und insbesondere Fußball schafft bei Kindern und Jugendlichen häufig Verbundenheit, etwas, das sich auch in der Nordstadtliga widerspiegelt.

Zum Gedenken an die auf der Flucht verstorbenen Menschen wurden Zettel mit ihren Namen ausgelegt. Foto: Darya Moalim für Nordstadtblogger.de

Loose, der selbst bei der Nordstadtliga als Bereichsleiter der AWO Dortmund tätig ist, bringt es deutlich auf den Punkt:

„Fußball bildet für viele eine Familie, und das ist auch das, was wir den Teams vermitteln wollen, besonders auch den Kindern. Es ist egal, woher du kommst und welche Geschichte du mitbringst, weil sie einfach nur Spaß haben wollen. Die Regeln beim Sport helfen auch, gemeinsam im Wesentlichen Respekt zu haben, das ist eine wichtige Regel.“

Außerdem gibt es in der Nordstadtliga den Fairness-Pokal, eine besondere Auszeichnung, die am Ende jeder Saison an das Team vergeben wird, das sich durch besonders faires und respektvolles Verhalten auf und neben dem Platz auszeichnet, betont Loose. Für ihn ist Fußball vor allem ein verbindendes Mittel zum Zweck, damit die Kinder wissen, dass sie Ansprechpartner haben, wenn sie ein Anliegen haben.

Heimat entsteht durch die Zugehörigkeit der Personen

Die Nordstadtliga schaffe dabei für viele Kinder eine besondere Möglichkeit, die sie unter normalen Umständen nicht gehabt hätten, erläutert Demirović-Krebs:

Eine Fotoausstellung über Kinder in Flüchtlingscamps war ebenfalls Teil der Veranstaltung. Foto: Darya Moalim für Nordstadtblogger.de

„Viele Kinder aus der Nordstadt kommen kaum aus ihrem Stadtteil heraus. Dass die Nordstadtliga sie zu Spielen ins Stadion mitnimmt, eröffnet ihnen ganz neue Zugänge und Teilhabe“, so Demirović-Krebs.

„Egal wie uninteressant Fußball für manche sein mag, wenn man dieses Zusammengehörigkeitsgefühl schafft, würden viele von sich sagen, dass sie Dortmunder:innen sind – eher noch als zu sagen, ich bin Deutsche:r. Das dauert wahrscheinlich länger, bis sie sich als Deutsche:r fühlen, als wenn sie sich in den Strukturen der Stadt wiederfinden und von sich aus sagen: Ich bin Dortmunder:in.“


 

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