
Oberbürgermeister Alexander Kalouti (CDU) hat seine erste dicke Niederlage einstecken müssen – und diese auch noch selbst verschuldet. Im Hauruck-Verfahren wollte er die lang-diskutierte und fachlich auch befürwortete Entfristung des Vertrags mit der Aidshilfe für die Trägerschaft des Drogenkonsumraums in einen Jahresvertrag umwandeln. Sein Kalkül: „Die Befristung des Vertrages auf ein Jahr soll die Suche nach einem neuen Standort für den Drogenkonsumraum positiv befördern“, heißt es in der Vorlage. Die Empörung im Sozialausschuss war groß – ebenso wie die Mehrheit gegen den Vorstoß des Neu-Oberbürgermeisters, der dies im Sozialausschuss mit einer Tischvorlage auf den Weg bringen wollte. SPD, Grüne und Linke, die die Mehrheit im Ausschuss bilden, liefen Sturm und ließen Kalouti vor die Wand rennen. Sie blieben bei dem Vorschlag für die Entfristung. Darüber entscheiden wird der Rat.
„Der OB fährt die Drogenhilfe sehenden Auges an die Wand“
Mit scharfer Kritik reagierten die Fraktionen von SPD, Grünen und Volt sowie Die Linke und Tierschutzpartei auf den kurzfristig per Tischvorlage eingegangenen Beschlusstext von Oberbürgermeister Kalouti, den städtischen Zuschuss für den Drogenkonsumraum am Grafenhof künftig nur noch jährlich statt wie bisher über fünf Jahre zu bewilligen.

Diese kurzsichtige Änderung hätte eine unverzichtbare Säule der Dortmunder Drogenhilfe gefährdet und ausgerechnet die Menschen getroffen, die ohnehin am härtesten kämpfen müssen. Denn mit dieser einschneidenden Änderung hätte die Aidshilfe ihr Personal vorsorglich entlassen müssen – die Arbeit wäre gefährdet gewesen.
„Der Oberbürgermeister fährt die Drogenhilfe sehenden Auges an die Wand. Für die Fachkräfte in der Drogenhilfe bedeutet dies maximale Unsicherheit. Für die Menschen, die Hilfe brauchen: weniger Schutz. Und für unsere Innenstadt: mehr Probleme, nicht weniger“, erklärt Jenny Brunner, Grünen-Ratsmitglied im Sozialausschuss.
Scharfe Kritik an Plänen von Kalouti: Planlosigkeit statt Prävention
„Mit dem versuchten Entzug langfristiger Planungssicherheit legt Kalouti die Axt an die Arbeitsverträge von Fachkräften, die tagtäglich Menschenleben retten. Wer die Aidshilfe e. V. und ihren Konsumraum derart unter Druck setzt, ignoriert nicht nur sämtliche Erfahrungen aus der Suchthilfe, er handelt schlicht verantwortungslos. Gut, dass der Sozialausschuss dieses Vorgehen mehrheitlich abgelehnt hat“, so Brunner.

„Der Ausschuss für Soziales, Arbeit und Gesundheit hat stattdessen erneut bestätigt, was der Rat der Stadt bereits beschlossen hat und OB Kalouti verhindern wollte: Der Drogenkonsumraum am Grafenhof bleibt, indem auch weiterhin ein Fünf-Jahres-Vertrag gewährt wird“, freut sich Fatma Karacakurtoğlu, Linken-Ratsmitglied im Sozialausschuss.
Der OB müsse verstehen, dass politische Entscheidungen durch Mehrheiten und nicht durch Druck von oben zustande kommen, so Karacakurtoglu. „Dennoch konterkariert der Oberbürgermeister den demokratischen Beschluss, indem er der einzigen Einrichtung dieser Art in Dortmund und damit einem der wirksamsten Werkzeuge gegen Drogentod, Sucht und Beschaffungskriminalität die langfristige Finanzierung entzieht“, so die Co-Fraktionsvorsitzende von „Die Linke und Tierschutzpartei“.
Unterstelltes Kalkül: Menschen auf die Straße treiben – und dann bestrafen?
Besonders perfide ist für die Kritiker:innen die Logik hinter dieser Entscheidung: Sollte der Grafenhof schließen müssen, gibt es derzeit keinen von der Verwaltung eingerichteten Alternativstandort. Das Ergebnis wäre ein massiver Rückfall in öffentliche Konsumszenen. Drogenkranke Menschen würden zurück auf die Straße gedrängt – genau dorthin, wo Polizei und Kommunaler Ordnungsdienst bereits mit repressiven Maßnahmen warten.

„Statt Hilfe gibt es dann Repression. Statt Prävention gibt es Verdrängung. Und statt Verantwortung übernimmt dieser Oberbürgermeister den politischen Weg des Wegsehens“, stellt Daniela Worth, SPD-Ratsmitglied im Sozialausschuss, fest. „Der Drogenkonsumraum ist Teil der Lösung, nicht des Problems.“
An der Notwendigkeit des Drogenkonsumraums hat auch die CDU keine Zweifel gelassen – nur am Standort. „Der Drogenkonsumraum verhindert, dass die Toten in den Hauseingängen liegen“, brachte es der sozialpolitische Sprecher der CDU, Thomas Bahr, im Ausschuss auf den Punkt.
Im Nachgang versuchte die CDU, das Vorgehen ihres Neu-OB zu rechtfertigen. Obwohl es bei dieser Vertragsverlängerung nicht um die Standortfrage ging, versuchte die CDU, das nun positiv zu verkaufen und die Schuld bei den anderen Parteien zu suchen.
Abkehr vom „Dortmunder Weg“ und Verunsicherung bei Beschäftigten
Doch die Zukunft der Arbeit würde nicht nur erschwert, sondern mutmaßlich ganz zum Erliegen kommen, macht Gunther Niermann, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, im Gespräch mit Nordstadtblogger deutlich – auch im Ausschuss hatte er klar gegen die Pläne Position bezogen. „Dieser Vorschlag verunsichert die Aidshilfe und die Mitarbeitenden“, sagt er. Er wisse nicht, ob der Oberbürgermeister die Folgen bedacht habe.

Normalerweise würden mit der Fachverwaltung solche Vorgänge abgestimmt. Diese kläre fachliche Fragen mit der Aidshilfe und übersetze politische Beschlüsse in praktikable Lösungen. „Mit der überraschenden Änderung, die nur als Tischvorlage kam, hat er diesen Weg verlassen“, sagt Niermann. Das sei schade und schwierig, weil die Parteien keine Möglichkeit gehabt hätten, darauf zu reagieren.
Offenbar knirschte es auch innerhalb des Verwaltungsvorstands: Die neue Sozialdezernentin Frauke Füsers hatte es aus fachlicher Perspektive abgelehnt, der Lokalpolitik die nicht mit dem Träger abgestimmte Tischvorlage vorzulegen. Doch der Oberbürgermeister setzte sich durch und unterzeichnete seinen Vorschlag selbst. Auch im Ausschuss machte Füsers keinen Hehl daraus, dass sie den neuen Vorschlag nicht teilte. Eine Stellungnahme von Frauke Füsers konnte Nordstadtblogger nicht bekommen – eine Antwort von Alexander Kalouti steht noch aus.
Niermann: „Der Vorschlag ist nicht zu Ende gedacht“
Die ursprüngliche Vorlage habe eine Entfristung des Vertrages vorgesehen, was Gunther Niermann ausdrücklich unterstützt. Eine dauerhafte kommunale Leistung brauche dauerhafte Strukturen. „Daher begrüße ich die Entfristung. Sie schafft Planungssicherheit für ein Instrument, von dem alle wissen, dass es wirkt.“

Einen Ein-Jahres-Vertrag hält Niermann hingegen für untragbar. Aus seiner Sicht wäre das „Harakiri“, weil der Geschäftsführer der Aidshilfe dann parallel Kündigungen aussprechen müsste, um insolvenzrechtliche Pflichten einzuhalten. Die Aidshilfe beschäftigt rund 50 Mitarbeiter:innen allein im Drogenkonsumraum.
Doch der Verein habe auch weitere Einrichtungen – einseitig „nur“ den Beschäftigten im Drogenkonsum zu kündigen, ginge nicht. Er müsse aufwändige Sozialplan- und Abfindungsverhandlungen starten, die die Existenz der gesamten Aidshilfe gefährden.
Für Niermann sei der Vorschlag von Kalouti daher absurd: „In Zeiten des Fachkräftemangels wäre der Schaden enorm. Sollte die Stadt später doch weitermachen wollen, stünde sie ohne Personal da. Zudem glaubt der Chef des Paritätischen nicht, dass die Stadt den Drogenkonsumraum unter solchen Bedingungen selbst betreiben könne.
Die Kosten würden steigen, und der Aufbau eines städtischen Betriebs sei weder kurzfristig umsetzbar noch wirtschaftlich sinnvoll. Insgesamt seien die Überlegungen aus seiner Sicht ‚nicht zu Ende gedacht‘. Er findet das Vorgehen ungewöhnlich und ärgerlich und meint, es schade dem Vertrauen in die Zusammenarbeit.
Denn Dortmund sorgte bisher bundesweit mit seinen konzertierten und abgestimmten Aktionen im Sozialbereich – seit vielen Jahren werden hier Fünf-Jahres-Verträge mit der Wohlfahrtspflege verhandelt – für ein vorbildliches Echo. Der „Dortmunder Weg“ gilt als Musterbeispiel für soziale Lösungen. Dieser Weg werde durch das Vorgehen von Kalouti gefährdet, bedauert Niermann.
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Die Suche geht weiter: Eine endgültige Lösung für den Drogenkonsumraum ist noch nicht in Sicht


Reaktionen
Drogenhilfe für 2026 sichergestellt, doch Westphal-Vorlage zementiert falschen Standort: Entscheidung über neuen Standort für Drogenkonsumraum in 2026 zwingend notwendig! (PM CDU)
SPD, Grüne und Linke setzen sich erneut über die kritische Stimmung in der Bürgerschaft hinweg und halten unbeirrt am heutigen Standort des Drogenkonsumraums am Grafenhof mitten in der Dortmunder City fest. Rot-Rot-Grün ist dabei, den Betrieb des Drogenkonsumraums am vielkritisierten Standort Grafenhof unbefristet auf Dauer mit jährlich mehr als 3,5 Mio. Euro abzusichern. CDU-Oberbürgermeister Alexander Kalouti hatte noch versucht, die diesbezügliche Verwaltungsvorlage aus den letzten Tagen der Amtszeit des abgewählten SPD-Oberbürgermeisters Westphal zu korrigieren.
Weil die Verwaltung nach wie vor dabei ist, Alternativstandorte für den Drogenkonsumraum zu prüfen, hatte Oberbürgermeister Kalouti zur Sitzung des Sozialausschusses eine Ergänzungsvorlage eingebracht und darum gebeten, den Vertrag mit der aidshilfe dortmund e. V. als Betreiberin des Drogenkonsumraums am Grafenhof zunächst nur für ein weiteres Jahr zu verlängern.
Rot-Rot-Grün hat dies im Sozialausschuss abgelehnt. Damit zementieren SPD, Grüne und Linke die unveränderte Drogenproblematik und all ihre negativen Begleiterscheinungen in der Dortmunder City. SPD, Grüne und Linke weigern sich weiterhin die Wahrnehmungen, Empfindungen und Sorgen der Menschen in der Mitte der Gesellschaft ernst zu nehmen. Ziel muss es sein, den Drogenkonsumraum im Jahr 2026 weg vom Grafenhof an einen neuen Standort außerhalb es engsten Citybereichs zu verlegen. Die CDU wird weiter darauf drängen.
„Wir erleben hier erneut eine Verwaltungsvorlage, die in den letzten Amtstagen des ehemaligen Oberbürgermeisters Westphal noch auf den Weg gebracht wurde“, betont Dr. Jendrik Suck, Vorsitzender der CDU-Fraktion. „Inhaltlich ist sie nur halb gelungen: Einerseits will sie langfristig Sicherheit für die Aidshilfe schaffen. Andererseits zementiert sie aber einen Standort mitten in der City, der sich nachweisbar nicht bewährt hat und den Rot-Rot-Grün trotzdem auf Jahre festschreiben will. Oberbürgermeister Kalouti hätte die Vorlage aus der Amtszeit seines Vorgängers zurückziehen können. Dies hat er ganz bewusst nicht getan, sondern verantwortungsvoll den Weg einer ergänzenden, korrigierenden Vorlage gesucht. “
„Dass OB Kalouti den Vorgang nicht gestoppt hat, obwohl er es gekonnt hätte, stellt zumindest sicher, dass es ab dem 1. Januar 2026 keine Versorgungslücke gibt und die Aidshilfe ausreichend finanziert ist“, erklärt Thomas Bahr, sozialpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion. „Und das ist entscheidend, denn die Aidshilfe leistet eine unverzichtbare Arbeit im Drogenkonsumraum, an dem die CDU auch festhält, nur nicht am Standort Grafenhof mitten in der City.“
Eine zentrale Kritik bleibt: Die Vorlage bindet den Betrieb weiterhin an den Standort Grafenhof – und das, obwohl dieser seit Jahren als räumlich und in Bezug auf die Sicherheit im Umfeld problematisch gilt. „Rot-Rot-Grün manifestiert mit dieser Entscheidung einen nicht geeigneten Standort mitten in der City“, so Dr. Suck weiter. „Das können und werden wir nicht mittragen. Es muss das erklärte Ziel der Politik sein, dass wir im Jahr 2026 endlich einen neuen, geeigneten Standort jenseits des Grafenhofs finden.“
„Wir stehen zur Aidshilfe und zur Drogenhilfe – aber wir brauchen einen Standort, der sozial, städtebaulich und sicherheitspolitisch tragfähig ist“, stellt Bahr klar.