Über kontroverse Einsatzmittel, die Dortmunder Nordstadt und die polizeiliche Lagebewältigung

Der Polizeiwissenschaftler Prof. Dr. Andreas Ruch im Interview:

Prof. Dr. Andreas Ruch forscht unter anderem zu polizeilichen Einsatzmitteln und zu racial profiling. Foto: Paulina Bermúdez

Polizeiliches Handeln steht immer wieder im Fokus medialer Berichterstattungen – oft wird es kritisiert. Prof. Dr. Andreas Ruch forscht unter anderem zu polizeilichen Einsatzmitteln und zu racial profiling. Im Interview spricht er über die Dortmunder Nordstadt, den „Taser“ und erklärt, warum klare Ansagen eine Lage nicht immer verbessern.

Prof. Dr. Andreas Ruch ist Jurist und hat an der Ruhr-Uni-Bochum bei Prof. Dr. Thomas Feltes promoviert. Heute lehrt er an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung in Gelsenkirchen die Fächer Strafrecht und Eingriffsrecht. 

Herr Prof. Dr. Ruch, wissenschaftlich beschäftigen Sie sich mit der Polizeiforschung. Was interessiert sie daran und was ist da Ihr Schwerpunkt?

Was mich an Polizei so fasziniert, ist diese enorme Verdichtung von Macht, wie es sie nur bei ganz wenigen Institutionen gibt. Wissenschaftlich interessiert mich, wie die Polizei das Recht anwendet, das heißt welche Unterschiede zwischen dem geschrieben Recht und der Art und Weise, wie die Polizei das Recht gewissermaßen auf die Straße und gegenüber Bürger:innen zur Anwendung bringt, auftreten können.

Das ist ein klassisches Thema der Polizeiforschung und klingt vielleicht erst einmal sperrig, betrifft aber auch die Diskussionen, die wir hier in Dortmund sehen. Zum Beispiel die Frage danach, ob Personenkontrollen fair und gerecht ablaufen oder in der Praxis zu einer Benachteiligung bestimmter Bevölkerungsgruppen führen.

Da wären wir dann beim Stichwort der verdachtsunabhängigen Kontrollen.

In Teilen der Dortmunder City darf die Polizei verdachtsunabhängig kontrollieren. Foto: Leopold Achilles für Nordstadtblogger.de

Das ist ein Aspekt. Erstmal zur Erklärung: Der Regelfall ist, dass die Polizei auf Grund einer konkreten Verdachtslage die Personalien einer Person feststellt.

Wenn sie bei ruhestörenden Personen im öffentlichen Raum oder beim Verdächtigen einer Trunkenheitsfahrt die Personalien feststellt, dann stand am Anfang die Gefahr oder der Tatverdacht und erst dann kommt die Personenkontrolle.

Davon zu unterscheiden sind anlasslose, also verdachtsunabhängige Personenkontrollen. Diese erfolgen unabhängig von einem konkreten Verdacht.

Eine Personenkontrolle hört sich ja erst einmal harmlos an. Was ist denn daran problematisch?

Personenkontrolle bedeutet zunächst die Feststellung der Personalien. Das klingt in der Tat harmlos, man muss hier aber sehen, dass diese in der Öffentlichkeit stattfindet. Deshalb hat diese Maßnahme eine beachtliche Wirkung, die vor allem dann stigmatisierend ist, wenn die Polizei bestimmte Bevölkerungsgruppen immer wieder kontrolliert. So können Vorurteile verfestigt werden.

Die meisten Menschen beobachten das auch bei sich selbst. Wer sieht, dass jemand polizeilich kontrolliert wird, denkt meist: „Oh, der hat bestimmt irgendetwas falsch gemacht!“. Und das stimmt bei verdachtsunabhängigen Kontrollen ja gerade nicht. Die herkömmliche Regel, wonach die Person zunächst eine Gefahr verursacht und dann kontrolliert wird, wird hier gewissermaßen auf den Kopf gestellt. Bei anlasslosen Personenkontrollen kommt erst die Kontrolle und dann möglicherweise die Gefahr.

Nach welchen Kriterien bestimmt sich denn, ob die Polizei anlasslos kontrollieren darf?

Im Zuge der Kontrolle werden die Menschen abgetastet. Foto: Leopold Achilles für Nordstadtblogger.de

Das Gesetz ist hier sehr offen formuliert und gestattet eine Kontrolle dann, wenn sich eine Person an einem Ort aufhält, von dem „Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dort Personen Straftaten von erheblicher Bedeutung verabreden, vorbereiten oder verüben“.

Nicht die kontrollierte Person muss also verdächtig sein, es genügt, dass sie sich an einem verdächtigen Ort aufhält, in einem sogenannten Gefahrengebiet. Weite Teile der Dortmunder Nordstadt werden von der Polizei als Gefahrengebiet eingestuft. Anlasslos kontrolliert werden darf also praktisch jede*r, die*der hier wohnt, zur Arbeit oder Schule gehen, einkauft oder Freund*innen in der Nordstadt besucht.

Gerichte haben den uferlosen Gesetzestext zwar immer wieder eingehegt und erklären Kontrollen rein nach dem Bauchgefühl für unzulässig. Aber das ändert nichts daran, dass den Beamt*innen auf der Straße ein in der Praxis kaum zu kontrollierender Ermessensspielraum eingeräumt ist. Sie entscheiden in der konkreten Situation, ob sie eine Person kontrollieren und entscheiden auch darüber, wie die Kontrolle abläuft, ob sie also nur die Ausweispapiere kontrollieren oder die Person zusätzlich durchsuchen. Wer anlasslos kontrolliert wird, der*dem bleibt nichts anders übrig, als die Maßnahme zu dulden. Ein Widerspruch ist rechtlich wirkungslos und wer nicht kooperiert, muss damit rechnen, nach Ausweispapieren durchsucht zu werden.

Halten Sie diese verdachtsunabhängigen Kontrollen in Gefahrengebieten für sinnvoll?

Ich kann das Bedürfnis der Polizei nachvollziehen, auf niedrigschwellige Eingriffsmaßnahmen zurückzugreifen. Zugleich muss aber auch gesehen werden, dass die Erfolgsquote der verdachtsunabhängigen Kontrollen eher gering ist. Schwerwiegende Straftaten werden damit in der Regel nicht aufgedeckt.

Es handelt sich letztlich um symbolische Sicherheitspolitik, mit der die Politik vor allem in bürgerliche Milieus hinein das Signal senden möchte, hart durchzugreifen. Diese Symbolpolitik hat aber einen hohen Preis. Wir wissen aus der Polizeiforschung, dass die Befugnis zu anlasslosen Kontrollen zu racial profiling führen kann.

Migrantisch gelesene Menschen werden in Deutschland doppelt so häufig kontrolliert wie nicht-migrantisch wahrgenommene Personen. Noch deutlicher ist das Bild bei schwarzen Menschen, die in erheblichen Maße von Personenkontrollen betroffen sind.

Welche strukturellen Faktoren begünstigen aus Ihrer Sicht das Entstehen von Racial Profiling?

Mir ist es wichtig, hier zu unterscheiden. Racial Profiling sagt zunächst einmal nichts über die Verbreitung rassistischer Einstellungen innerhalb der Polizei aus. Ich erlebe die allermeisten Polizist*innen als sehr grundrechtssensibel und insbesondere unter den jüngeren Beamt*innen kenne ich etliche mit einer ausdrücklich antirassistischen Haltung.

Wir dürfen ja auch nicht vergessen, dass gerade hier im Ruhrgebiet ein großer Teil der jungen Polizist*innen aus einer Familie mit Zuwanderungsgeschichte stammt und häufig selbst von rassistischer Diskriminierung betroffen ist.

Bei Kontrollen wie dieser auf dem Nordmarkt ist schnell von „Racial Profiling“ die Rede.
Archivfoto aus 2020: Bei Kontrollen auf dem Nordmarkt ist oft von „racial profiling“ die Rede. Nordstadtblogger-Redaktion | Nordstadtblogger

Wenn es nun um die Gründe für racial profiling geht, ist zunächst das Gesetz selbst zu nennen. Das Gesetz teilt den Beamt*innen bei der Befugnis zu anlasslosen Kontrollen überhaupt nicht mit, an welchen Kriterien sie sich auszurichten haben. Das ist ein Manko, weil auch die Polizei einen Anspruch darauf hat, einen Handlungsmaßstab im Gesetz vorzufinden, nach denen sie ihre Arbeit ausrichten kann.

Auch die Bevölkerungsstruktur in der Nordstadt spielt eine Rolle. Hier wohnen viele junge Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. Angesichts oftmals beengter Wohnverhältnisse, fehlenden Balkonen oder Gärten spielt sich deren Leben häufig im öffentlichen Raum, auf Straßen, Parks und Sportplätzen ab. Das Risiko, polizeilich kontrolliert zu werden, ist daher für einen jungen Menschen in der Nordstadt deutlich höher als für eine gleichaltrige Person in eher bürgerlich geprägten Stadtteilen. Racial Profiling ist dann oft zwangsläufig das Ergebnis einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.

Die Polizei kontrolliert in Gefahrengebieten wie z.B. der Dortmunder Nordstadt gehäuft Personen, die in ein bestimmtes Raster fallen, erzielt dabei naturgemäß auch immer mal wieder einen Treffer, was die Kontrollkriterien scheinbar bestätigt und sich in weiteren Kontrollen gegenüber der Personengruppe fortsetzt.

Das sind einzelne Erklärungsansätze. Insgesamt wissen wir leider nur wenig darüber, anhand welcher Kriterien die Polizei bei anlasslosen Kontrollen vorgeht. Ein erster Schritt wäre sicherlich, das Handeln der Polizei transparenter zu machen und überhaupt erst einmal festzustellen, aus welchen Gründen die Polizei eine Personenkontrolle durchführt.

Wie könnte die Polizei diese Eingriffsmaßnahmen transparenter machen?

Eine Möglichkeit sind sogenannte Kontrollquittungen. Wer kontrolliert wird, erhält von der Polizei eine Bescheinigung über die Maßnahme und den Grund dafür. In Bremen gibt es dies bereits in eingeschränkter Form, allerdings ist es dort so, dass Bürger*innen die Quittung von der Polizei aktiv einfordern müssen. Das halte ich für unglücklich, weil viele Menschen von diesem Recht gar nichts wissen werden und selbst wenn sie ihre Rechte kennen, sich oft nicht trauen, diese einzufordern. Sinnvoll wäre daher, wenn die Polizei von Amts wegen, also automatisch, eine Bescheinigung ausstellt.

Polizeikette vor der Dortmunder Wache Nord steht entsetzten Nachbar:innen gegenüber
Das Vertrauen in die Polizei ist im Dortmunder Norden erschüttert. Foto: Paulina Bermudez für Nordstadtblogger.de

Das ist sicher kein Allheilmittel, weil kaum ein*e Beamt*in rassifizierte Kriterien notieren dürfte. Aber ich halte es für eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit, dass jede*r Einzelne weiß, wie weit ihre*seine Freiheitsrechte reichen und wann man damit rechnen muss, von der Polizei kontrolliert zu werden. Dazu muss ich aber auch die Gründe kennen, die zu einer Personenkontrolle geführt haben.

Häufig höre ich hier den Einwand, dass dies ein Misstrauen gegen die Polizei fördert. Ich meine, hier lohnt sich ein Wechsel der Perspektive: Transparenz kann das Vertrauen in die Polizei stärken, gerade von marginalisierten Personengruppen. Denn wenn für Menschen der Grund einer Kontrolle nicht ersichtlich ist, können sie schnell das Gefühl bekommen, dass sie eben nicht nach dem Grundsatz der Gleichheit behandelt werden.

Sie setzen sich auch mit den polizeilichen Einsatzmitteln auseinander. Den sogenannten „Taser“ – den die Polizei übrigens in der Nordstadt „testen“ durfte – kritisieren Sie. Warum?

Vielleicht zunächst zum Begriff: In der Fachsprache wird der Taser als Distanzelektroimpulsgerät, kurz DEIG, bezeichnet. Damit ist die klassische Einsatzmöglichkeit benannt. Hierbei werden über eine Distanz von wenigen Metern zwei Pfeilelektroden abgeschossen, über die Stromimpulse auf die getroffene Person übertragen werden. Hierdurch soll die getroffene Person bewegungsunfähig gemacht werden.

2020 gab es in der Nordstadt eine Kundgebung gegen den Einsatz von Tasern. Foto: Leopold Achilles

Daneben kann der Taser noch als Elektroschocker unmittelbar gegen den Körper eingesetzt werden. In der Praxis wird dies immer wieder dazu genutzt, um Widerstand von Personen zu brechen oder um sich von vornherein Respekt zu verschaffen, indem der Taser-Einsatz durch Erzeugung eines knisternden Lichtbogens am Gerät angedroht wird.

Ein Kritikpunkt ist die Elektroschock-Funktion. Der Taser sorgt hier nicht für eine Lähmung der Person, sondern fügt ausschließlich Schmerzen zu. Das ist rechtlich nicht unproblematisch, weil hier der Wille der Person allein durch Zufügung von Schmerzen gebeugt werden soll. Davon abgesehen vermittelt das ein martialisches Bild von Polizeiarbeit, wenn Personen nicht mittels herkömmlicher Eingriffstechniken, sondern durch Elektroschocks zu einer bestimmten Handlung gebracht werden sollen.

Auch das Bedürfnis für den klassische Distanzmodus, bei dem die Polizei eine Person mit dem Taser lähmt, ist von der Politik wenig schlüssig begründet worden. Mit dem „Taser“ geben wir den Polizeibeamt*innen neben Schusswaffe, Reizgas und Einsatz-Mehrzweck-Stock noch ein viertes Einsatzmittel an die Hand. Warum dies erforderlich sein soll, ist angesichts weniger denkbarer Einsatzszenarien nicht ersichtlich.

Kann der Taser denn ein milderes Mittel im Vergleich zur Schusswaffe sein?

In der Theorie mag es überzeugend klingen, dass der „Taser“ die Person trifft und lähmt und die Polizei der Person dann Handfesseln anlegen oder gefährliche Gegenstände abnehmen kann. In der Praxis ist dies aber nicht so einfach. Erst einmal müssen beide Pfeilelektroden treffen und das mit einem Mindestabstand. Erst dann kann der Taser wirken – muss er aber nicht, vor allem wenn die Personen unter Drogen stehen oder einen hohen Adrenalinspiegel haben.

Wohnungslose Menschen sind den Kontrollen der Polizei häufig ausgesetzt – denn sie müssen sich im öffentlichen Raum aufhalten. Klaus Hartmann für nordstadtblogger.de

Und wenn die Person sich bewegt, ist das Risiko von Fehltreffern noch einmal höher. Wenn der Taser dann nicht die gewünschte Wirkung erzieht und sich die Person auf die Beamt*innen zubewegt, kann es auch für sie gefährlich werden und ihnen gehen wertvolle Sekunden verloren – da bleibt dann oft nur die Schusswaffe.

Zudem sehen wir, dass der Taser immer wieder als Mittel im Umgang mit psychisch kranken Personen eingesetzt wird. Eine Auswertung von Taser-Einsätzen in England und Wales ergab, dass der Taser auffallend häufig gegen Menschen mit einer psychischen Erkrankung gerichtet wurde.

Eine kleinere Untersuchung der rheinland-pfälzischen Polizei zeigt, dass der Taser bei der Hälfte der Einsätze gegen suizidale oder unter Drogen- oder erheblichem Alkoholeinfluss stehenden Personen eingesetzt wurde.

Wie gut funktioniert so eine Lagebewältigung denn bei psychisch auffälligen Personen oder Menschen in psychischen Ausnahmesituationen?

Menschen in psychischen Ausnahmesituationen, ebenso wie Menschen, die unter Drogeneinfluss stehen, können oft rational nicht nachvollziehen, was gerade passiert. Sie verstehen die Handlungsanweisungen der Polizei schlicht nicht oder sind nicht in der Lage, sie umzusetzen. Für den Taser sind das keine optimalen Bedingungen, weil der darauf angewiesen ist, dass die Person möglichst ruhig steht, damit es zur Lähmung kommt.

Wenn die Person aber die Handlungsanweisung gar nicht versteht oder extrem aufgeregt ist und sich dann bewegt, kommt es zu Fehltreffern. Häufig sind auch sogenannte Sekundärverletzungen, das heißt die Person wird vom Taser getroffen, stürzt und schlägt sich den Kopf an Treppenstufen oder Gegenständen auf.

In anderen Ländern hat man schon viele Jahre Erfahrungen mit dem Taser gemacht. Dort zeigt sich eine Häufung von Todesfällen bei Personen mit psychischen Erkrankungen oder Menschen unter dem Einfluss von Drogen. Auch in Deutschland wissen wir, dass es sich überwiegend um psychisch auffällige Personen handelt, die im Zusammenhang mit dem Taser-Einsatz versterben oder bei denen der Taser die Situation eskalieren lässt und die Person erschossen wird. Das sollte uns als Gesellschaft nachdenklich stimmen, weil es sich bei psychisch kranken Menschen um eine sehr verletzliche Gruppe handelt, auf deren Schutzbedürftigkeit wir besondere Rücksicht nehmen müssen.

Welche Alternativen gäbe es denn Ihrer Meinung nach?

Wir wissen, dass ein großer Teil der polizeilichen Kontakte mit psychisch kranken Menschen gewaltfrei gestaltet werden kann – in aller Regel gelingt dies auch, weil viele Beamt*innen sehr empathisch vorgehen und Druck aus der Situation rausnehmen. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass die Polizei nur begrenzt dazu in der Lage ist, medizinische oder soziale Notfälle zu regeln. Das ist auch gar nicht ihre Aufgabe.

Ein Polizeiauto im Einsatz an der Rheinischen Straße. Foto: Leopold Achilles für Nordstadtblogger.de

Ihr Auftrag ist es, Gefahren abzuwehren und Straftaten zu verfolgen. Ihr Handwerkszeug sind Eingriffsmaßnahmen, die sie zum Einsatz von Zwangsmitteln berechtigen und in bestimmten Situationen auch verpflichten.

Dass die Polizei dennoch immer wieder zu medizinischen oder sozialen Notfällen gerufen wird, hat nicht damit zu tun, dass sie dafür vorrangig zuständig oder besonders ausgebildet ist. Sie wird schlicht gerufen, weil sozialpsychiatrische Dienste oder Notfallpsychiatrien nicht vorhanden oder erreichbar sind.

Und viele Menschen sind es auch nicht anders gewohnt und rufen die „110“, anstatt den Rettungsdienst zu verständigen, wenn sich zum Beispiel ein*e Nachbar*in oder eine Personen in der Öffentlichkeit psychisch auffällig verhält. In der Polizeiforschung wird daher zunehmend ein eigentlich sehr alter Gedanke aus dem Polizeigesetz aktualisiert: Die Polizei ist nur dann zuständig, wenn die Situation nicht von anderen Einrichtungen ebenso gut oder besser gelöst werden kann. Diese Instanzen müsste man auch nicht neu erfinden, es gibt ja beispielsweise sozialpsychiatrische Dienste oder die Notfallpsychiatrie. Nur müssen diese eben auch so ausgestattet werden, dass sie rund um die Uhr ansprechbar sind und eigenständig oder in Begleitung der Polizei zu Einsätzen ausrücken können.

Letztlich ist das eine gesellschaftliche und politische Frage, welche Instanz wir wie ausrüsten und ausstatten wollen. Derzeit liegt der Fokus vor allem auf einer Stärkung der polizeilichen Sicherheit. Dabei vergessen wir oft, dass medizinische und soziale Instanzen ebenfalls für soziale und öffentliche Sicherheit sorgen, aber finanziell und personell oftmals leider nicht angemessen ausgestattet sind.


Dieser Beitrag ist in Kooperation mit dem Institut für Journalistik der TU Dortmund entstanden.

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