„Es muss noch viel getan werden“ – Im Gespräch mit Kevin Matuke und Aysun Tekin über Rassismus in Deutschland

Am 6. Juni fand auch in Dortmund eine „Silent Demo“ mit 5.000 Teilnehmenden  statt. Fotos (3): Karsten Wickern

Von Anna Lena Samborski

Vor einer Woche fanden in zahlreichen deutschen Städten antirassistische „Silent Demos“ statt. Auch in Dortmund gingen 5.000 Menschen gegen Rassismus und Diskriminierung auf die Straße. Über die Hintergründe, Rassismus in Deutschland und die Forderungen der Demonstrierenden sprach Nordstadtblogger nun mit Kevin Ndeme Matuke, Vorsitzender des The African Network of Germany (TANG) NRW und Mitglied des Dortmunder Integrationsrats, sowie mit Aysun Tekin, die dort Vorsitzende ist.

Eine Zusammenschluss afrikanischer Vereine hat die Demo in Dortmund organisiert

Kevin Ndeme Matuke, Vorsitzender des The African Network of Germany (TANG) NRW und Mitglied des Dortmunder Integrationsrats
Kevin Ndeme Matuke, Vorsitzender des The African Network of Germany (TANG) NRW und Mitglied des Dortmunder Integrationsrats.

Matuke hatte die Demonstration in Dortmund in Kooperation mit dem kürzlich gebildeten Dortmunder Ableger der „Silent Demos“ angemeldet.

An der Planung und Durchführung waren außerdem die (afrikanischen) Dortmunder Vereine COHEDO e. V., KAHEF e. V., AfricanTide Union e. V., Club Santé e. V., Frau Lose e. V. und VKII Ruhrbezirk e. V. und der Congress of Imo State Indigenes Essen e.V. beteiligt. Weitere Vereine, Initiativen und Einzelpersonen der afrikanischen Community in Dortmund schlossen sich nach und nach an.___STEADY_PAYWALL___

„Wir wollten unserer Position teilen“, berichtet Matuke zu den Hintergründen der Demo. Es ginge den Organisator*innen darum, ein Zeichen gegen Rassismus jeglicher Art sowie gegen jegliche Form der Diskriminierung z. B. auf Grund der sexuellen Orientierung oder der Religionszugehörigkeit zu setzen, so der Dortmunder weiter.

Dass auch in Deutschland demonstriert werde, sei dabei wichtig. Denn auch hier ist rassistische Diskriminierung für viele Menschen allgegenwärtig. Als Beispiel bringt Matuke das „Racial Profiling“ an, bei dem Menschen aufgrund z. B. ihrer Hautfarbe oder Religionszugehörigkeit auch ohne konkreten Tatverdacht von der Polizei und weiteren Behörden verstärkt und überproportional häufig kontrolliert werden.

„Rassismus tut weh“ – Verlust des Selbstbewusstseins oft die Folge

Neben diesem institutionellen Rassismus kommt jedoch auch der rassistisch-strukturellen Diskriminierung eine große Bedeutung zu. So sind nicht-weiße Menschen oft beim Zugang zu Bildung, zum Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie zu finanziellen Mitteln wie Krediten benachteiligt. Hinzu kommen rassistische Beleidigungen und die Konfrontation mit Vorurteilen im Alltag.

Kampf gegen Rassismus: für viele Dortmunder*innen eine „Herzensangelegenheit“.

Matuke betont: „Rassismus tut weh.“ Nur Betroffene selbst könnten das Gefühl, „auf einmal […] aussortiert“ zu sein, wirklich nachempfinden. Bei betroffenen Menschen führe die rassistische Diskriminierung auf verschiedenen Ebenen oft zum Verlust des Selbstbewusstseins.

So freut sich Matuke über den Erfolg der Demo und die große Solidarität auch von Nicht-Betroffenen. Statt der angemeldeten 1.000 Teilnehmenden seien 5.000 Menschen gekommen. Dies zeige, dass der Kampf gegen Rassismus vielen Dortmunder*innen eine „Herzensangelegenheit ist“, so Matuke stolz.

Matuke lobte außerdem das Verhalten der Teilnehmenden bezüglich der Corona-Vorkehrungen bei der Demo. Die Teilnehmenden hielten sich an die Makenpflicht und achteten auf bestmöglichen Abstand zueinander. Matuke bedankte sich außerdem bei den 140 kurzfristig eingesprungenen ehrenamtlichen Ordner*innen und der Polizei für die gute Zusammenarbeit. Auch die Polizei zeigte sich mit dem Verhalten der Demonstrierenden zufrieden.

Demo als klare „Aufforderung an die Mehrheitsgesellschaft, sich gegen Rassismus einzusetzen“

1: 8 Minuten und 46 Sekunden lang knieten die Demonstrant*innen in Gedenken an George Floyd. 2:
Eine klare Botschaft: Foto: Mariana Bittermann

Was können Nicht-Betroffene – also weiße Menschen – außerdem tun, um den Kampf gegen Rassismus zu unterstützen?, wollte nordstadtblogger.de wissen. Matuke gibt zu bedenken, dass es oft an interkultureller Bildung fehle. So werde zum Beispiel an kamerunischen Schulen die europäische Geschichte im Detail gelehrt. An deutschen Schulen hingegen findet die afrikanische Geschichte keinen Platz.

Daher sollten auch Weiße sich mit dem Thema Rassismus und der Kolonialgeschichte beschäftigen, sich sensibilisieren und selbst hinterfragen. Dazu gehöre auch, sich in Empathie gegenüber von Rassismus Betroffenen zu üben und sich in die andere Perspektive hinein zu versetzten – sowie sich über antirassistische Bewegungen und Proteste zu informieren.

Und schlussendlich komme es eben auch darauf an, sich gegen Rassismus, wenn und wann immer er begegnet, auszusprechen. Die Demo könne so auch als klare „Aufforderung an die Mehrheitsgesellschaft, sich gegen Rassismus einzusetzen und auszusprechen“, gesehen werden.

Nur wenige Menschen, seien wirkliche Rassist*innen, der Rest dürfe aber nicht einfach weggucken, betont Matuke – und verweist auf das bekannte Zitat des südafrikanischen Geistlichen und Friedensnobelpreisträgers Desmond Tutu: „Wenn du dich in der Situation von Ungerechtigkeit neutral verhältst, hast du die Seite des Unterdrückers gewählt.“

Forderung nach bundesweiter Melde- und Koordinierungsstelle für rassistische Gewalt

Doch auch an die Politik seien konkrete Forderung zu stellen. So fordert das TANG-Bundesnetzwerk die Bundesregierung zur Einrichtung einer zentralen Melde- und Koordinierungsstelle für rassistische Gewalt gegen schwarze Menschen in Deutschland auf.

Als ersten Erfolg wertet Matuke, dass die Bundesregierung eine Rassismus-Studie bei der Polizei angekündigt hat. Zur weitere Aufklärung über Rassismus in Deutschland trägt das TANG-Netzwerk außerdem mit seiner Kampagne #beiunsauch bei.

Kevin Matuke (re.) und weitere Mitorganisatoren aus der afrikanischen Community in Dortmund und von Silent Protest.
Kevin Matuke (v. r.) mit weiteren Mitorganisator*innen aus der afrikanischen Community in Dortmund und von „Silent Protest“. Foto: Mariana Bittermann

Matuke ist dabei klar, dass „Rassismus eine lange Geschichte hat“ und noch ein langer Weg hinsichtlich dessen Bekämpfung ansteht. Jedoch geben ihm Erfolge wie die des Dorstfelder Vereins COHEDO – Community at Heart Dortmund e.V., bei dem er ebenfalls Vorstandsvorsitzender ist, Hoffnung.

Anlassbezogene Aktionen und Kooperationen geplant

Durch die Stadtteilarbeit des Vereins in Sachen Integration und Teilhabe sei Dorstfeld bunter und sicherer geworden. Zwar sei Dorstfeld aufgrund seiner rechten Szene verrufen, jedoch kämen viele Neonazis auch von außerhalb zu den Demos, betont Matuke. Generell sei Dorstfeld jedoch tolerant und vielfältig.

Wird es demnächst weitere Demos geben, so eine weitere Frage von nordstadtblogger. Das Netzwerk der Organisator*innen sei gefestigt worden, erklärt Matuke. Weitere Aktionen und Demos seien in Planung und fänden anlassbezogen statt.

Wegen der Sichtbarkeit durch die Demonstration seien außerdem weitere interessierte Kooperationspartner, wie zum Beispiel die Gewerkschaft ver.di, auf das Netzwerk zugekommen – eine Zusammenarbeit ist geplant.

Tekin: Zivilgesellschaft muss im Kampf gegen institutionellen Rassismus gestärkt wird

Auch Aysun Tekin unterstützte – als Vorsitzende des Dortmunder Integrationsrates – die Demo mit einem Redebeitrag. Für sie ist es besonders wichtig, dass die Zivilgesellschaft im Kampf gegen institutionellen Rassismus gestärkt wird.

Schließlich seien in den letzten Jahren immer mehr rechte Netzwerke bei der Polizei, der Bundeswehr und dem Verfassungsschutz aufgedeckt worden, erinnert Tekin. Und wie sich institutioneller Rassismus auswirkt, machte nicht zuletzt das Verhalten des Verfassungsschutzes bei der Ermittlung zu den NSU-Morden deutlich.

„Natürlich ist nicht jeder Polizist und jede Polizistin zu verurteilen“, so Tekin weiter. Aber es ginge schließlich um die Institution, die im Einklang mit dem Grundgesetz für „den Schutz der Demokratie, Teilhabe und Vielfalt“ verantwortlich sei. Somit sollte gerade die Polizei zur Sensibilisierung gegen Rassismus beitragen.

Anstieg von rechter und rassistischer Gewalt in den letzten Jahren

Bei Kontrollen wie dieser auf dem Nordmarkt ist schnell von „Racial Profiling“ die Rede.
Bei Kontrollen drängt sich oft schnell der Verdacht von „Racial Profiling“ auf. Foto: Alex Völkel

Für Tekin ist somit klar, dass es hier besondere Mechanismen braucht, um bereits Bewerber*innen mit einer rechten Gesinnung oder rassistischen Ressentiments zu erkennen und vom Dienst auszuschließen.

Des Weiteren fordert Tekin eine massive Ausweitung der rassismuskritischen Sensibilisierung  bei der Polizei sowie bei anderen Institutionen wie Bundeswehr und Verfassungsschutz, aber auch bei weiteren Ämtern und der öffentlichen Verwaltung.

Dass noch nicht genug gegen Rassismus getan worden sei, zeige außerdem der Anstieg von rechter und rassistischer Gewalt auch außerhalb der Institutionen, so Tekin. In diesem Zusammenhang ruft sie die Ermordung des Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und den antisemitischen Anschlag in Halle im letzten Jahr ins Gedächtnis.

Strukturelle Benachteiligung findet oft bereits in der Grundschule statt

Aysun Tekin ist Vorsitzende des Dortmunder Integrationsrates.
Aysun Tekin ist Vorsitzende des Dortmunder Integrationsrates. Foto: Alexander Völkel

Doch auch Tekin geht es nicht nur um die institutionellen Aspekte von rassistischer Diskriminierung.

Als Vorsitzende des Dortmunder Vereins Unternehmen.Bilden.Vielfalt e. V., der Jugendliche mit entsprechendem Bedarf bei der Ausbildungssuche unterstützt, gibt sie zu bedenken: „Hat man den falschen Namen oder den falschen Wohnort, hat das einen großen Einfluss auf die Zukunftsperspektiven.“

Das Problem beginne oft schon in der Grundschule, nicht zuletzt, wenn es um die Verteilung der Schüler*innen auf die weiterführenden Schulformen gehe, so Tekin weiter. Schüler*innen „mit Migrationshintergrund“ seien oft mit Stigmata belegt und gälten als „Problemschüler*innen“.

Studien belegten, dass allein ein Name, der auf einen Migrationshintergrund hindeute, oft zu einer um bis zu einer Note schlechteren Bewertung führe. Auch hier ruft Tekin zu einer stärkeren Sensibilisierungarbeit für Lehrer*innen auf.

Trotz Missstände auch einige Erfolge: Stadt Dortmund um interkulturelle Öffnung bemüht

Doch bei allen Missständen seien auch einige Fortschritte und Erfolge zu verzeichnen. So hätten in der Verwaltung der Stadt Dortmund vor sechs Jahren, als Tekin den Vorsitz des Integrationsrats antrat, unter fünf Prozent der Angestellten einen Migrationshintergrund gehabt.

Ein Unding für Tekin, wenn man bedenke, dass ein Drittel der Dortmunder*innen einen sogenannten Migrationshintergrund haben. „Die öffentliche Verwaltung sollte doch vielmehr die Stadtgesellschaft widerspiegeln“, merkt Tekin an.

Nicht zuletzt durch den unermüdlichen Einsatz des Integrationsrates gehen mittlerweile 27 Prozent der Ausbildungsplätze bei der Dortmunder Stadtverwaltung an junge Menschen mit Migrationshintergrund – ein echter Erfolg! Die Stadt zeige sich allgemein immer stärker an einer interkulturellen Öffnung interessiert, lobt Tekin.

„Wenn man gegen Rassismus ist, muss man sich dagegen äußern, egal welche Hautfarbe man hat“

Außerdem habe die Polizei Dortmund neuerdings eine Sensibilisierungsstelle eingerichtet. Dennoch zeigte nicht zuletzt der statistisch belegte Anstieg von rechter und rassistischer Gewalt, dass im Kampf gegen Rassismus noch ein langer Weg ansteht. „Wir sind im Jahr 2020, da muss einfach mehr getan werden“, resümiert Tekin.

Und auch Tekin ruft nicht von Rassismus betroffene Einzelpersonen dazu auf, sich mehr mit dem Thema Rassismus zu beschäftigen. Vorurteile seien von „vielen Menschen nicht böse gemeint“. Jedoch müsse auch jede*r Einzelne sich stärker selbst sensibilisieren, um Vorurteile zu durchbrechen.

Schlussendlich gehe es darum, „sich zu trauen, den Mund aufzumachen“ – gegen Rassismus, auch wenn man in gewissen Kontexten mit gewissen Dominanzstrukturen zunächst auf Widerstand stößt. Dennoch: „Wenn man gegen Rassismus ist, muss man sich dagegen äußern, egal, welche Hautfarbe man hat“, so Tekins eindeutiges Resümee.

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