Wohnen als Daseinsvorsorge – nicht als Ware: „Diese Entwicklung macht die Stadt kaputt“

Der Mieterverein, die Wohnungslosenhilfe und Verdi stehen zusammen

Unterstützer: innen und Anwohner: innen vor einem der gefährdeten Gebäude. Foto: Ava Nalin Hussein für Nordstadtblogger

von Sina Sakrzewa und Ava Nalin

Überall in Deutschland wird der Wohnraum knapper und die Mieten steigen, Dortmund macht da keine Ausnahme. Laut einer Forsa-Umfrage will jede:r Dritte aus Dortmund wegziehen. Die Tagesschau berichtet über eine zu hohe Wohnkostenbelastung bei Studis und Azubis. Aktivisten sagen nun: Der soziale Wohnungsbau in Dortmund muss angepackt werden. Ihr Aktionsbündnis setzte ein Zeichen für den Bau von mehr bezahlbaren Wohnungen und dem Erhalt von bisher günstigen Wohnungen beim Aktionstag des Bündnis „Wir wollen Wohnen!“ am 29. August.

Abrisspläne in Dortmund sorgen für Streit

Der Aktionstag konzentrierte sich auf eine Häuserzeile in der Innenstadt: Der Dortmunder Versicherer Volkswohlbund will die Nachkriegshäuser  an der Chemnitzer Straße/Ecke Hakenstraße abreißen und neu bauen. Betroffen sind 36 Mietparteien sowie mehrere Gewerbemieter. Der Volkswohlbund begründet die Maßnahmen mit „wirtschaftlicher Umzumutbarkeit“ für eine Sanierung. Die Gebäude seien zu sehr veraltet.

Chemnitzerstraße Plakat vor der Haustür
Eine klare Nachricht: Mieter, die vom Abriss betroffen sind, hängen Plakate vor die Haustür. Foto: Ava Nalin Hussein für Nordstadtblogger

Das Aktionsbündnis hält dagegen: Die angeführten Probleme wie alte Elektroinstallationen oder fehlende Glasfaseranschlüsse seine kein Grund die Häuser abzureißen, sondern die Gebäude zu sanieren. Der Volkswohlbund plant 52 Neubauwohnungen als Ersatz, in denen absehbar die Miete deutlich teurer wird.

Einige Anwohner vermuten daher wirtschaftliche Motive: „Die Wohnungen sind vermietbar, wir leben seit Jahren hier. Der Abriss hat nichts mit Baumängeln zu tun, sondern mit Renditinteressen“, sagte eine Mieterin.

Viele Bewohner:innen leben seit Jahrzehnten in den Häusern und sprechen von einer „gewachsenen Nachbarschaft“, die zerstört werde. „Wir Mieter haben alle eine identische Kündigung bekommen. Die Größen der Wohnung stimmen zum Teil gar nicht“, berichtet einer der betroffenen Bewohner.

Die Anwohner erhalten aus der Stadtgesellschaft Unterstüzung: „Wenn jetzt Glasfaser oder alte Leitungen als Abrissgründe genannt werden, dann haben wir demnächst zehntausende Baustellen in Dortmund“, sagt Klaus Waschulewski, Organisationssekretär des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Dortmund.

Politik diskutiert Alternativen

Die SPD-Fraktionsvorsitzende im Stadtrat, Carla Neumann-Lieven, forderte, Gebäude genauer zu prüfen und bestehende Quartiere zu erhalten: „Es wird immer wieder Häuser geben, die abgerissen werden müssen. Aber das muss erstmal klar bewiesen werden“, so Neumann-Lieven.

Teilnehmer an dem Aktionstag in Dortmund an der Chemnitzerstraße
Aktionstag an der Chemnitzerstraße (v.l.) Carla Neumann-Lieven (SPD), Utz Kowalewski (DieLinke), Thomas Eltner (Grüne), Markus Roeser (Mietverein Dortmund) Foto: Ava Nalin Hussein für Nordstadtblogger

Von der Linken kam scharfe Kritik an den Plänen des Volkswohlbunds. Ratsfraktionsvorsitzender Utz Kowalewski betonte: „Wir brauchen mehr kommunalen Wohnraum – wie in Wien.“ Er verwies darauf, dass die Mieten in Dortmund zwischen 2010 und 2025 um rund 70 Prozent gestiegen seien. „Diese Entwicklung macht die Stadt kaputt.“

Auch die Grünen forderten ein Eingreifen der Stadt: „Wir müssen über Veränderungen nachdenken und mit dem Wohnungsamt sprechen, damit sowas nicht passiert“, sagt Thomas Eltner, sachkundiger Bürger in der Grünen-Ratsfraktion. Die Stadt müsse stärker in den Kauf von Grundstücken und Wohnungen investieren „Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen muss gestärkt werden, damit Wohnen dem Gemeinwohl dient.“

Der Konflikt um die Häuser in der Dortmunder Innenstadt steht exemplarisch für die zunehmenden Spannungen auf dem Dortmunder Wohnungsmarkt: „Wir finden trotz Vollverdienereinkommen kaum noch bezahlbare Wohnungen“, berichtet eine Familie aus der Nachbarschaft.

Dortmund hat Spielraum, darf dennoch kritisiert werden

Bund und Länder sind hauptverantwortlich für das Mietrecht und die Finanzierung der sozialen Wohnraumförderung, doch auch Dortmund als Kommune kann die eigene Wohnungspolitik beeinflussen und Wohnraum fördern.

Plakat hängt vor einem Parkplatz an der Chemnitzerstraße neben einem gefährdeten Gebäude
Ein klares Zeichen: Das Plakat hängt an einem Zaun vor einem Parkplatz. Früher stand hier ein Haus, was zuvor schon abgerissen wurde. Foto: Ava Nalin Hussein für Nordstadtblogger

Besonders scharf kritisierte Robert Punge, Vorstandsvorsitzender des DMB Mieterbund Dortmund e.V,, das Vorgehen des Eigentümers in einem offenen Brief an den Aufsichtsrat des Volkswohlbunds. Er bezeichnete den Plan als „Reputationsdesaster“ für das Versicherungsunternehmen.

Punge warf dem Versicherungsunternehmen vor, sich „wie die finanzgesteuerte Wohnungswirtschaft“ zu verhalten und dabei rechtliche Grundlagen zu missachten. Zudem bewertete er die angesetzten Sanierungskosten von 5.500 Euro pro Quadratmeter und Mieterhöhung von bis zu 31 Euro als überzogen: „Das sind Zahlen ohne Grundlage.“

Die Gewerkschaft ver.di fordert Groß-Ausbau und 35 Milliarden Fördermittel

Die Gewerkschaft Verdi in Nordrhein-Westfalen forderte, den Fokus mehr auf den öffentlichen Wohnungsbau zu lenken und diesen sichtbar zu machen. Die Erfolge der öffentlichen Wohnraumförderung für faire und niedrige Mietpreise müssten betont werden.

In drei Demonstrationszügen ziehen die Streikenden Richtung Friedensplatz zur Abschlusskundgebung. Klaus Hartmann | Nordstadtblogger

Der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum steige von Jahr zu Jahr immer weiter. Momentan seien 122.170 Menschen in NRW wohnungslos, teilte Verdi mit. Ein jährlicher Zuwachs von 25.000 Wohneinheiten im sozialen Wohnungsbau in NRW sei laut einer Studie im Auftrag des Deutschen Gewerkschaftsbundes NRW erforderlich. Das entspreche einem Finanzierungsbedarf von rund 35 Milliarden Euro, so Verdi.

Vor diesem Hintergrund seien 3.208 neu geschaffene mietpreisgebundene Wohnungen im Jahr 2024 und die bereitgestellten 2,3 Milliarden Euro Fördermittel für 2025 ein Anfang. Sie reichten jedoch nicht aus, um den Bedarf vollständig zu decken.

„Wohnen ist Daseinsvorsorge und keine Ware“ betont Gabriele Schmidt, Landesbezirksleiterin von Verdi NRW. Verdi forderte daher eine großflächige Ausweitung der Förderungen in den kommenden Jahren und die Gründung einer zusätzlich Landeswohnungsbaugesellschaft.

Dauerhaft bezahlbarer Wohnraum soll geschaffen werden, welcher nicht dem Markt entzogen werden kann. Mit verlässlichen Strukturen, öffentlicher Verantwortung und einer klaren Ausrichtung am Gemeinwohl sei es möglich, gutes Wohnen in NRW für alle zu gestalten.

BAG-Wohnungslosenhilfe setzt Fokus auf prekäre Lage von Migrant:innen

Wie notwendig öffentlich gefördertes Bauen ist, zeigen aktuelle Zahlen der Bundesarbeitsgemeinschaft  Wohnungslosenhilfe (BAG W). Demnach sind 13 Prozent der Klient:innen der Wohnungslosenhilfe entweder von Wohnungslosigkeit bedroht oder bereits obdachlos, obwohl sie erwerbstätig sind. Elf Prozent der Klient:innen leben mit mindestens einem Kind im Haushalt.

Etwa 38 Prozent der Wohnungslosen waren im vergangenen Jahr Personen ohne deutsche Staatsbürgerschaft, was einen neuen Höchststand bedeutet. Von den Klienten mit ausländischer Staatsbürgerschaft sind sogar 20 Prozent erwerbstätig. 18 Prozent der Klienten sind Familien. Betrachtet man die Gruppe der nicht-deutschen Frauen, sieht man, dass hier 25 Prozent von ihnen allein mit Kindern lebt. Rund die Hälfte der betreuten Frauen hat keine deutsche Staatsbürgerschaft.

Ungewohnt ruhig sind die Nächte für die Obdachlosen in der Innenstadt. Foto: Alex Völkel
Obdachlose Menschen sind auf Hilfe angewiesen – in Dortmund sind die Schlafstellen überfüllt. Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

Die fehlende Anerkennung ausländischer Abschlüsse, Sprachbarrieren und der eingeschränkte Zugang zu Sozialleistungen verschlimmern die ohnehin prekäre Lage und führen häufig zu ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen, teilte die BAG W mit. Migration werde zunehmend ein eigenständiger Risikofaktor für Wohnungsnot.

Viele Wohnungslose versuchen erst selbst, eine Lösung zu finden und bleiben häufig bei Familie, Partner:in oder Bekannten, so die Organisation weiter. Dennoch verschärfe sich die Situation weiter: Die absolute Armut steigt weiterhin an. 45 Prozent der unter 25-Jährigen verfügen über kein eigenes Einkommen.

Die BAG W forderte mehr Wohnungsbau und präventive Maßnahmen, um die Not frühzeitig zu verhindern. Es müsse uneingeschränkten Zugang zu Hilfen geben unabhängig vom Aufenthaltsstatus der Betroffenen. Es brauche gezielte, migrationssensible Angebote in der Wohnungslosenhilfe und einen diskriminierungsfreien Zugang zum regulären Wohnungsmarkt.

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