Viele queere Jugendliche erleben die Schule oft als unsicheren Ort voller Diskriminierungen

Sind religiös-geprägte Haushalte im Vergleich häufiger homophob?

Flagge auf der CSD-Neonazidemo.
Rein statistisch sind in jeder Klasse einer bis zwei queere Menschen. Archivbild: Alex Völkel für Nordstadtblogger.de

Schule sollte ein sicherer Ort für alle sein, doch für viele queere Jugendliche ist das Gegenteil der Fall. Diskriminierung, Ausgrenzung sowie verbale und körperliche Angriffe prägen den Alltag an manchen Schulen. Schnell stellt sich die Frage, aus welchen Gruppen homophobe und queerfeindliche Einstellungen stammen und welche Faktoren sie begünstigen.

Viele queere Personen berichten von überwiegend negativen Erfahrungen in der Schule 

Für viele Schüler:innen ist die Schule nicht immer ein Ort, den sie mit positiven Erfahrungen assoziieren. Besonders für queere Jugendliche kann das Umfeld eher Unbehagen als ein Gefühl der Sicherheit auslösen. Die aktuelle Studie „Queer durch NRW – Lebenslagen und Erfahrungen von LSBTIQ*“, die im April 2025 veröffentlicht wurde, bestätigt das.

Der CSD ist eine jährlich stattfindende Demonstration und Feier für die Rechte, Sichtbarkeit und Akzeptanz von LGBTQIA+-Menschen. Foto: Karsten Wickern

Von den rund 2.800 befragten Personen, die in den letzten fünf Jahren zur Schule gingen, gaben 41,5 Prozent an, überwiegend negative Erfahrungen im schulischen Umfeld gemacht zu haben.

Neben verbalen Diskriminierungen berichten viele von ungerechtfertigter Behandlung und körperlicher Gewalt im schulischen Kontext. Für Lena Hoffmann von SCHLAU Dortmund, einem Bildungs- und Antidiskriminierungsprojekt, das zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt arbeitet und Workshops für Jugendliche anbietet, ist diese Entwicklung nichts Neues.

Das Team beobachtet im Rahmen seiner Arbeit seit einigen Jahren eine Zunahme queerfeindlicher Einstellungen unter Schüler:innen – insbesondere gegenüber trans* Personen.

„Früher kamen ablehnende Aussagen meist vereinzelt oder im anonymen Feedback vor, heute erleben wir häufiger, dass größere Teile einer Gruppe solche Positionen auch im direkten Austausch vertreten“ so Hoffmann.

Queerfeindlichkeit besonders unter Schülern aus migrantisch-muslimischen Haushalten vertreten?

Einhergehend mit dem Anstieg queerfeindlicher Einstellungen stellt sich häufig die Frage, von welchen Gruppierungen diese meist ausgehen. Oft geraten dabei muslimische Schüler mit Migrationshintergrund ins Visier.

Ob religiöse Menschen homophobe Einstellungen haben, hängt nicht von der Religion selbst ab, sondern davon, wie stark und in welcher Form sie ihren Glauben ausleben. Foto: Depositphotos.com

Nicht zuletzt hat beispielsweise im Frühsommer dieses Jahres ein Vorfall an einer Berliner Schule bundesweit erneut eine Debatte ausgelöst.

Ein homosexueller Lehrer soll dabei monatelang beschimpft, beleidigt und gemobbt worden sein. Muslimische Schüler sollen ihm gesagt haben, er sei eine „Familienschande“ und werde „in der Hölle landen“.

Doch sind es vor allem männliche Schüler aus migrantisch-muslimischen Haushalten, die queerfeindlich auftreten? Zumindest zeigte eine Studie von Dirk Baier und Maria Kamenowski aus dem Jahr 2020, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund in Deutschland und der Schweiz „signifikant“ höhere Werte zu „Homophobie“ aufweisen.

Es ist jedoch ein Irrglaube, dass es sich bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund primär um arabischstämmige Muslim:innen handle. So fallen in der Studie auch Jugendliche darunter, die aus einem christlichen Haushalt stammen, beispielsweise christliche Jugendliche aus Ex-Sowjetstaaten.

Zudem zeigt die Studie, dass freikirchliche Teilnehmende die höchsten Werte an Homophobie aufwiesen. Damit wird deutlich, dass Religiosität mit homophoben Einstellungen zusammenhängt, ohne auf eine bestimmte Religion beschränkt zu sein. Vielmehr hängt sie vom Grad und der ausgelebten Form des Glaubens ab.

Weitere Faktoren wie Integration, Bildung und Männlichkeitsbilder von zentraler Rolle

Religiosität erweist sich damit als ein wesentlicher Einflussfaktor. Reicht jedoch auch allein der Faktor „Migrationshintergrund“ aus, um eine höhere Tendenz zur Queerfeindlichkeit zu erklären? In einer weiteren Studie der Ruhr-Universität Bochum von Karim Fereidooni und Nora Pösl aus dem Jahr 2023 wurden etwa 440 Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund an Berufskollegs im Ruhrgebiet befragt.

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Die Migrationsgeschichte allein erklärt noch nicht viel. Nordstadtblogger-Redaktion | Nordstadtblogger

Dabei lehnten rund 30 Prozent der jungen geflüchteten Migranten Homosexualität ab, wobei Religion bei etwa 70 Prozent eine größere Rolle als der Staat spielte.

Je älter die Studien, desto größer sind die Unterschiede. Eine nicht repräsentative Befragung aus dem Jahr 2007 unter mehr als 900 Jugendlichen in Berlin, besonders unter türkeistämmigen Jugendlichen, zeigte, dass rund 80 Prozent von ihnen es als „abstoßend“ bewerteten, wenn sich zwei Männer auf der Straße küssen. Unter den Jugendlichen ohne Migrationshintergrund waren es hingegen etwa 50 Prozent.

Für den Migrationsexperten Carsten Wolf ist klar: Die Migrationsgeschichte allein erklärt noch nicht viel. Vielmehr spielen – neben der bereits in der vorherigen Studie angesprochenen Religiosität – weitere Faktoren wie Integration, Bildung und Männlichkeitsbilder eine zentrale Rolle, wie er im Rahmen eines Correctiv-Berichts erklärt.

Die Akzeptanz ist an Gymnasien tendenziell höher

Der Aspekt der Integration ist insofern bedeutsam, als unter den Befragten sowohl Geflüchtete der vergangenen Jahre als auch in Deutschland geborene Personen vertreten waren. Je integrierter die jeweiligen Personen waren, desto geringer fiel die Zustimmung zu homophoben Äußerungen aus.

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Bildung ist ein zentraler Faktor. Nordstadtblogger-Redaktion | Nordstadtblogger

Wichtig in der Einordnung ist zudem die Frage nach der Bildung. Laut Wolf akzeptieren Jugendliche an Gymnasien Homosexualität eher, unabhängig davon, ob ein Migrationshintergrund besteht oder nicht.

Ebenso ist das Bildungsniveau der Eltern von größerer Bedeutung als der Migrationshintergrund selbst. Bezüglich männlicher Jugendlicher kommt noch der Faktor Männlichkeit bzw. Ängste vor einer „bedrohten Männlichkeit“ hinzu.

Dies sei laut Professorin Magdalena Nowicka vom DeZim-Institut ein Bindeglied zwischen autoritären, teils homophoben Einstellungen und der Suche nach einer eigenen Identität, was besonders auch unter rechten Gesinnungen bestehe.

Verbreitete Unsicherheit mit dem Thema statt gefestigte Queerfeindlichkeit

Die Annahme, dass homophobe oder queerfeindliche Einstellungen primär von muslimisch-migrantischen Jugendlichen kämen, begegnet das Team von SCHLAU Dortmund häufig, was sie jedoch ebenfalls nicht pauschal bestätigen können, wie Hoffmann erklärt.

Menschen unterschiedlicher Herkunft, Hautfarbe, Geschlechtsidentität gehen nebeneinander, eine steht entgegengesetzt im Schatten
Personen können auch von Mehrfachdiskriminierungen betroffen sein. Symbolbild: NSB-Redaktion mit KI-Unterstützung

„Was wir vielmehr beobachten, ist, dass queerfeindliche Einstellungen besonders dann betont oder problematisiert werden, wenn sie von vermeintlich muslimischen oder migrantisierten Jugendlichen geäußert werden – während ähnliche Haltungen aus anderen gesellschaftlichen Gruppen, etwa aus rechten oder christlich-fundamentalistischen Kontexten, deutlich weniger Aufmerksamkeit erhalten“, so Hoffmann.

Zwar trifft das Team von SCHLAU Dortmund in seiner Arbeit auch auf Jugendliche mit Migrationsgeschichte oder religiösem Hintergrund, die konservative Einstellungen vertreten. Jedoch handelt es sich dabei häufig weniger um gefestigte queerfeindliche Überzeugungen als vielmehr um Unsicherheit im Umgang mit dem Thema oder um von anderen übernommene Haltungen, die bei den Personen selbst so noch nicht gefestigt sind, führt Hoffmann weiter aus.

Queerfeindlichkeit als ein gesamtgesellschaftliches Phänomen

„Wichtig ist uns: Queerfeindlichkeit ist kein Problem einzelner kultureller oder religiöser Gruppen – sie ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Außerdem müssen wir immer mitdenken, dass Jugendliche mehrere Identitätsmerkmale in sich vereinen“, so Hoffmann.

Demonstrationsschild Aktion von SLADO zur Bundestagswahl.
Queerfeindlichkeit ist kein Problem einzelner kultureller oder religiöser Gruppen, sondern ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Foto: Alex Völkel für Nordstadtblogger.de

„Eine Person kann zum Beispiel sowohl von Rassismus als auch von Queerfeindlichkeit betroffen sein. Diese Mehrfachdiskriminierungen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden“, so Hoffmann.

„Was wir oft beobachten: Jugendliche, die selbst schon Diskriminierung erfahren haben – sei es wegen Herkunft, Religion oder sozialem Status – zeigen häufig im Verlaufe des Workshops eine größere Sensibilität und Solidarität gegenüber anderen Formen von Diskriminierung, wie Queer- und Transfeindlichkeit. Natürlich gibt es auch dort Vorbehalte, aber wir erleben oft eine Haltung nach dem Prinzip: „Ich will fair behandelt werden, also verhalte ich mich auch anderen gegenüber respektvoll.“

Rechte Einstellungen zeigen sich vermehrt in den Klassen

Unterschätzt werde zudem der Zusammenhang zwischen rechter Gesinnung und queerfeindlichen Einstellungen. „Aus unserer Sicht steht der zunehmend feindliche Umgang mit queeren Themen in direktem Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Rechtsruck.

SLADO-Aktion zur Bundestagswahl.
Anfeindungen aus dem rechten Spektrum gegenüber queeren Menschen nimmt stetig zu. Foto: Alex Völkel für Nordstadtblogger.de

„Dieser macht vor Schulen nicht Halt“, erläutert Hoffmann. Zugleich berichtet sie von einer bemerkbaren Zunahme rechter Einstellungen unter den Jugendlichen – damit einhergehend das Gesprächsklima. „Queerfeindliche, aber auch rassistische und anderweitig menschenfeindliche Aussagen werden heute häufiger, direkter und teils auch gewaltvoller geäußert“, so Hoffmann.

„Während früher vielleicht noch gesagt wurde: ‘Ich akzeptiere das nicht’, hören wir heute Aussagen, die in Richtung Bedrohung oder kompletter Ablehnung queerer Identitäten gehen. Häufig wird sogar die Existenz queerer Menschen und ihrer Rechte grundsätzlich infrage gestellt.“

Zum Hintergrund: Aktuelle Studien zeigen, dass rund 8 Prozent der jungen Menschen rechtsextreme Weltbilder vertreten, was deutlich über dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung liegt. In dieser Gruppe treten queerfeindliche Gewalt und Hass häufiger auf als in anderen jugendlichen Milieus.

Dies wird durch die steigende Zahl rechtsextremer Straftaten gegen queere Menschen deutlich, die zuletzt um 18 bis 35 Prozent zugenommen haben. Dazu gehören unter anderem Beleidigungen, Bedrohungen und Gewalttaten gegen queere Menschen, zum Beispiel bei Demonstrationen gegen CSDs oder im Alltag, wie Angriffe, Bedrohungen und Verbalattacken zeigen.

Trotz ansteigender Anfeindungen: Jugendliche weisen hohe Toleranz auf

Auch wenn die Anfeindungen und ablehnenden Haltungen gegenüber queeren Personen sich immer mehr offenkundig zeigen und zunehmen, ist auf der anderen Seite eine positive Entwicklung zu erkennen: Die Toleranz gegenüber unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und Lebensformen ist bei jungen Menschen insgesamt sehr hoch. Laut aktueller Shell Jugendstudie äußern insgesamt etwa 14 Prozent der Jugendlichen homophobe Einstellungen.

Neonschild mit "Live is Love".
Die Mehrheit der Jugendlichen zeigt sich dennoch tolerant. Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Zugleich nimmt auch SCHLAU Dortmund wahr, dass es im Kontrast zu den steigenden Anfeindungen Schüler:innen gibt, die sich klar solidarisch und unterstützend gegenüber queeren Menschen zeigen.

„Es entsteht also ein Spannungsfeld zwischen Offenheit auf der einen Seite und einer zunehmenden Ablehnung auf der anderen“, erklärt Hoffmann. Ebenso zeigt ein erneuter Blick auf die Studie „Queer durch NRW – Lebenslagen und Erfahrungen von LSBTIQ*“, dass queere Jugendliche in NRW sich zu 52,9 Prozent von anderen Mitschüler:innen unterstützt fühlen, während es bei Lehrkräften nur 28,4 Prozent sind.

Dennoch wächst das Bewusstsein für die Relevanz von queerer Bildungsarbeit. „Während früher meist einzelne engagierte Lehrkräfte Workshops für ihre Klasse gebucht haben, erreichen uns inzwischen häufiger Anfragen für ganze Jahrgänge.“

Gleichzeitig hängt die Umsetzung oft noch stark vom Engagement einzelner Lehrkräfte ab. Sie sind häufig die treibenden Kräfte, die queere Themen an ihrer Schule sichtbar machen und Räume für Austausch schaffen – sowohl für Schüler:innen als auch im Kollegium“, so Hoffmann.

Queere Menschen brauchen weiterhin Unterstützung – besonders an Schulen

Auch wenn aus Hoffmanns Sicht Dortmund in vielen Bereichen hinsichtlich der Aufklärungsarbeit bereits gut aufgestellt ist, braucht es dennoch weiterhin Ausbau, denn das Team erlebt auch an Dortmunder Schulen immer wieder queerfeindliche Vorfälle – nur werden sie nicht immer öffentlich thematisiert.

Zuordnen von Kärtchen beim Workshop der Initiative "schlau".
SCHLAU-Workshop in einer Schule. Foto: Michael Wallmüller für SLADO

„Es ist unrealistisch zu glauben, dass menschenfeindliche Einstellungen an Schulen nicht vorkommen – das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Entscheidend ist, wie Schulen damit umgehen: ob sie Haltung zeigen, Schutzräume bieten und deutlich machen, dass Diskriminierung Konsequenzen hat“, ergänzt Hoffmann.

Vor allem solle es aus ihrer Sicht an jeder Schule einen klaren Plan geben, bevor etwas passiert. Dazu gehören eine eindeutige Haltung gegen Diskriminierung, transparente Kommunikationswege, Ansprechpersonen und feste Reaktionsstrategien im Falle eines Vorfalls, so Hoffmann.

„Viele queere Jugendliche erleben Schule nicht als sicheren Ort, und es fehlt vielerorts noch an klarer, aktiver Unterstützung. Damit sich das ändert, braucht es sichtbare Ansprechpersonen, verbindliche Schutzkonzepte und eine stärkere Integration queerer Themen in den Schulalltag.“

Quellen und weiterführende Informationen:

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