SERIE Nordstadt-Geschichte(n): Fabriklärm zerrte an den Nerven der Bewohner*innen der Burgmundastraße

Ein Fußweg durch eine Grünfläche ist heute der letzte Hinweis auf die einstige Burgmundastraße.
Ein Fußweg durch eine Grünfläche ist heute der letzte Hinweis auf die einstige Burgmundastraße.
Verlauf der ehemaligen Burgmundastraße, 1922 (Stadtarchiv Dortmund)
Verlauf der ehemaligen Burgmundastraße, 1922 (Stadtarchiv Dortmund)

Von Klaus Winter

Die heutige Nordstadt wuchs ab der Mitte des 19. Jahrhunderts aus grünen Wiesen zu einem dichtbesiedelten Stadtteil. In wenigen Jahrzehnten entstanden zahlreiche Wohn- und Geschäftshäuser und gewerbliche und industrielle Anlagen aller Art. Sie lagen an Straßen und Plätzen, deren Zahl im Laufe der Zeit ebenfalls ständig zunahm. Die meisten dieser Straßen gibt es heute noch, auch wenn sich bei so mancher Verlauf und Aussehen verändert haben. Einige von ihnen sind aber inzwischen wieder aus dem Stadtbild verschwunden. Zu ihnen gehört die Burgmundastraße.

Der Name der Straße beruht auf einem Irrtum

Die Burgmundastraße wurde 1894/95 angelegt. Sie führte von der heutigen Kreuzung Krim-/Kapellenstraße in nordöstliche Richtung zur Kreuzung Heiligegarten-/Bornstraße und teilte somit das Straßenkarree Krim- /Heiligegarten- / Born- und Kapellenstraße grob in zwei Dreiecke.

Ihren Namen erhielt die neue Straße Ende 1894 nach einer Befestigung vor den Mauern des mittelalterlichen Dortmunds. Eine Burg namens Munda hatte es allerdings nie gegeben. Der Name fußte auf einem Irrtum.

Die Burgmundastraße war zunächst keine Erleichterung für Fußgänger*innen

Burgmundastr. 20, um 1910 (Sammlung Klaus Winter)
Burgmundastr. 20, um 1910 (Sammlung Klaus Winter)

1895 waren die Bauarbeiten an der neuen Straße soweit abgeschlossen, dass die ersten Häuser gebaut werden konnten. Die Fußgänger waren mit dem Zustand der Straße aber nicht glücklich. Nur sichere Turner und gegen Unfälle versicherte Personen wurden als geeignet angesehen, die neue Straße passieren zu können.

Angenommen wurde die Straße aber von zahlreichen Fuhrwerken. Das hatte zur Folge, dass die Zufahrt in die Straße bereits im ersten Jahr ihres Bestehens erweitert werden musste. Das ging zu Lasten des Platzes vor der Krimschule – und einiger Bäume, die ausgerodet werden mussten.

Neue Wohnstraße mit gewerblichen Einschlag

Die Häuser an der Burgmundastraße waren drei- oder vierstöckige Wohnhäuser. Reklameschriftzüge an den Hausfronten verrieten, dass hier Handwerker und Gewerbetreibende ihrem Gewerbe nachgingen. Werkstätten und Lager lagen in den Höfen hinter den Gebäuden.

Im Haus Burgmundastr. 17 wohnte von 1906 bis 1912 u. a. der Schmiedemeister Löhr, von 1912 bis 1918 dann der Schmiedemeister Schäfer. In dem hinter dem Haus liegenden Hof wurden eine Zeit lang auch Dampf-Straßenwalzen untergestellt und repariert.

Die Fa. Walter & Sohn siedelte sich zwischen der Born- und der Burgmundastraße an

1919 siedelte sich hier die Fa. Walter & Sohn an. Es handelte sich bei dem Unternehmen wohl um eine Neugründung der frühen Nachkriegszeit, denn im Adressbuch 1915 wurde sie noch nicht genannt.

Wegen Änderung in der Führungsetage des Unternehmens wurde die Firma 1921 in Walter & Co. geändert. Auf ihrem Briefkopf findet sich als Firmenanschrift die Angabe „Bornstraße 48“. Das Betriebsgelände lag aber zwischen Born- und Burgmundastraße und wurde über letztere erschlossen.

Briefkopf der Fa. Walter & Co., 1921 (Stadtarchiv Dortmund)
Briefkopf der Fa. Walter & Co., 1921 (Stadtarchiv Dortmund)

Lärm der Nietarbeiten nervte die Nachbarschaft

Die Art der Arbeiten der Fa. Walter & Co. konnte der Nachbarschaft nicht verborgen bleiben. Das lag an dem Lärm, den die Arbeiten verursachten: Es wurde genietet und zwar auch an großen Werkstücken.

Um die Lärmbelästigung niedrig zu halten, beantragte Walter & Co. im Oktober 1921 bei der Bauverwaltung die Genehmigung zur Überdachung des Arbeitsplatzes. Dadurch sollte nicht allein der Geräuschpegel gesenkt, sondern auch die Arbeiter vor den Witterungseinflüssen geschützt werden.

Die Überdachung des Fabrikgeländes der Fa. Walter & Co. brachte in Bezug auf die Lärmminderung nicht den gewünschten Erfolg. Teile der näheren wie auch entfernteren Nachbarschaft formierten sich, um gegen den Fabriklärm vorzugehen. Denn wenn bei Walter & Co. genietet wurde, konnten Geschäftsleute nicht telefonieren und Ärzte weder Herz noch Lunge abhören. Außerdem wusste man, dass eine ständige Lärmbelastung die Gesundheit schädigte.

Ein Ortstermin mit der Kommunalpolitik sollte die tatsächlichen Verhältnisse klären

Burgmundastr. 32, um 1910 (Sammlung Klaus Winter)
Burgmundastr. 32, um 1910 (Sammlung Klaus Winter)

Bei Walter & Co. sah man die Beschwerden der Nachbarschaft als überzogen an. Die Angelegenheit kam deshalb zur Entscheidung vor den Stadtausschuss. Der setzte im Februar 1922 einen Ortstermin an, an dem die Verhältnisse geprüft werden sollten.

Mit dem Verlauf des Ortstermins war die vom Lärm genervte Nachbarschaft nicht einverstanden. Man unterstellte, dass bei diesem Anlass weniger Arbeiter als üblich und auch nur an kleinen Werkstücken gearbeitet hatten.

Dagegen wehrte sich Walter & Co., indem sie die Lohnbücher als Beleg dafür vorlegen wollte, wie viele Arbeiter tatsächlich mit Nietarbeiten beschäftigt wurden.

Stadtausschuss entschied zu Gunsten der Nachbarn

Beim Ortstermin hatten sich nur deshalb keine großen Konstruktionen zur Bearbeitung auf dem Gelände befunden, weil die letzten gerade auftragsgemäß ausgeliefert worden waren; die Eisenbahnwaggons zum Abtransport waren lange vor dem Besichtigungstermin bestellt gewesen.

Die Argumente der Fa. Walter & Co. überzeugten den Stadtausschuss nicht. Er gab den Nachbarn Recht, die sich mehr Ruhe wünschten.

Der Streitpunkt war damit nicht zu den Akten gelegt. Denn im April 1922 kündigte Walter & Co. Beschwerde gegen den Beschluss des Stadtausschusses an und legte diese tatsächlich Anfang Mai des Jahres auch ein. Adressat war der Minister für Handel und Gewerbe in Berlin.

Berliner Ministerium widersprach dem Dortmunder Stadtausschuss

Walter & Co. argumentierte, dass schon aus betriebstechnischen Gründen in etwa fünf Jahren eine Verlegung des Betriebes notwendig sein würde. Allein der fehlende Bahnanschluss an das Fabrikgelände und die deshalb hohen Kosten für Frachttransporte zwischen Fabrik und Eisenbahn würden eine Betriebsverlegung erzwingen.

Walter & Co. hoffte deshalb auf die Genehmigung, den Betrieb an der Burgmundastraße noch einige Jahre fortsetzen zu können.

In Berlin entschied man im September 1922 über den Revisionsantrag. Tatsächlich war man im Ministerium der Ansicht, dass aufgrund der Überdachung des Fabrikgeländes, des Einsatzes von Kaltsägen und Azetylenschneidbrennern und anderer Maßnahmen sowie des Umstandes, dass nur im Tagesbetrieb und nur an drei bis vier Tagen pro Woche genietet wurde, eine Betriebsgenehmigung nicht versagt werden könnte.

Bornstraße heute. Hier standen einst die Häuser der vom Fabriklärm-geschädigten Nachbarn.
Bornstraße heute. Hier standen einst die Häuser der vom Fabriklärm-geschädigten Nachbarn.

Der Erfolg von Berlin war nicht nachhaltig

Die Beschwerde der Nachbarschaft, bei denen der Stadtverordnete Berkemeyer wohl eine maßgebliche Rolle spielte, verpuffte also wirkungslos. Die Fa. Walter & Co. konnte sich über ihre erfolgreiche Revision nicht lange freuen. Sie scheint schon bald den Betrieb eingestellt zu haben. Warum dem so war, ist unklar.

Unternehmen, die ihrem Gewerbe in den Höfen hinter den Wohnhausfassaden – nicht nur der Nordstadt – nachgingen, gab es viele. Zweifellos musste sich auch eine Reihe von ihnen aufgrund von Lärm, Verschmutzung oder Geruchsbelästigung mit mehr oder weniger intensiven Klagen der Nachbarschaft auseinandersetzen.

Doch diese Betriebe gehörten ebenso zur Stadt wie große Industrieunternehmen und bekannte Handelshäuser.

Unter der Grünfläche an der Kapellenstraße liegen wohl die Reste ehemaliger Keller.
Unter der Grünfläche an der Kapellenstraße liegen wohl die Reste ehemaliger Keller. Fotos (3): Klaus Hartmann

 

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