Nach 14 Jahren steht die Kirdorf-Stele in Eving und wirft erinnerungspolitische Fragen auf

Infotafel erinnert an den umstrittenen Großindustriellen Emil Kirdorf

Die Kolonie Kirdorf ist eine Bergarbeitersiedlung im Stadtteil Eving
Die Kolonie Kirdorf in Dortmund-Eving: Die Erinnerungsstele wurde nach 14 Jahren aufgestellt. Klaus Hartmann für nordstadtblogger.de

Was lange währt, wird endlich gut? 2011 beschloss die Bezirksvertretung Eving, in der sogenannten Kirdorf-Kolonie eine Stele aufzustellen, die an den umstrittenen Großindustriellen Emil Kirdorf (1847-1938) erinnern sollte. Lange passierte nichts, bis am 21. Juli 2025 auf einmal die Stele aufgestellt war – also 14 Jahre nach dem getroffenen Beschluss. Über dieses Vorgehen wundern sich Interessenvertreter wie Parteien gleichermaßen.

Hitler-Unterstützer und Großindustrieller: Emill Kirdorf

Wer war Emil Kirdorf? Emil Kirdorf war Generaldirektor der Gelsenkirchener Bergwerks-AG (GBAG) unnd damit einer der tonangebenden Ruhrindustriellen in der späten Kaiserzeit und der Weimarer Republik. ___STEADY_PAYWALL___

Historische Ansicht aus der Kirdorfer Siedlung Archiv: Evinger Geschichtsverein

Politisch zeichnete er sich dadurch aus, dass er der Weimarer Republik feindselig gegenüberstand. Relativ früh, 1927, trat er der NSDAP bei, verließ diese Partei aber wieder, da er mit ihrer propagierten Wirtschaftspolitik nicht übereinstimmte. Nach der Machtergreifung trat er wieder in die NSDAP ein.

Die Hitler-Diktatur bemühte sich um Kirdorf und wollte ihn als Repräsentanten ihres sogenannten Dritten Reichs gewinnen. Nach Kirdorfs Tod 1937 wurde dieser von den Nazis mit einem Staatsbegräbnis gewürdigt.

Spuren und Kontroversen in Dortmund

Im Dortmunder Volksmund überlebte der Name Kirdorf in der Bezeichnung Kirdorf-Kolonie. Dies ist eine von der GBAG im Jahre 1912/1913 errichteten Bergbausiedlung.

Die Kirdorf-Kolonie ist 1912/1913 für Bergarbeiter der Zeche Minister Stein erbaut worden. Archiv: Evinger Geschichtsverein

Im Rahmen der Aufarbeitung des Nationalsozialismus kam es 2009 zu einer Debatte, ob die Kirdorf-Kolonie weiter als solche bezeichnet oder nicht lieber umbenannt werden sollte.

Das Vorhaben wurde letztlich fallengelassen, da sich der Name schon so weit festgesetzt hatte, dass eine Umbenennung nur noch wenig ausgerichtet hätte.

Beschluss zur Errichtung einer Stele

Trotzdem sollte in dieser Arbeitersiedlung zumindest etwas an den umstrittenen Namensgeber erinnern. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten beantragte deswegen in der Bezirksvertretung Eving, eine Stele mit erläuterndem Text aufzustellen. Dieser Beschluss wurde 2011 einstimmig gefasst, 2012 wurden die Gelder bereitgestellt.

Die Kolonie Kirdorf ist eine Bergarbeitersiedlung im Stadtteil Eving
Die Kolonie Kirdorf in Eving. Klaus Hartmann für nordstadtblogger.de

Dann passiert lange: nichts. Ulrich Sander von der VVN-BdA erkundigte sich im Laufe der Jahre zwar mehrmals nach dem Verbleib der Stele, doch eine für ihn zufriedenstellende Antwort bekam er nie, erklärt er gegenüber dem Nordstadtblogger.

Am 21. Juli 2025 bekamen dann die Bezirkvertreter:innen eine Mail, in der sie von Bezirksbürgermeister Oliver Stens (SPD) darüber informiert wurden, dass „der Beschluss der Bezirksvertretung Eving zur Aufstellung der Kirdorf-Stele“ umgesetzt „und die Stele aufgestellt“ wurde.

„Partizipative Herangehensweise“ Grund für spätes Aufstellen

Was sind die offiziellen Gründe für das späte Aufstellen der Stele gewesen? Auf Anfrage des Nordstadtbloggers erklärt die Stadt Dortmund, dass es hier mehrmals zu Terminverschiebungen kam.

Die Kolonie Kirdorf ist eine Bergarbeitersiedlung im Stadtteil Eving
Kolonie Kirdorf in Dortmund-Eving Klaus Hartmann für nordstadtblogger.de

Pressesprecher Christian Stein betont in seiner Antwort, dass der Stadt eine „eine partizipative Herangehensweise“ in diesem Prozess sehr wichtig gewesen sei. Man wolllte möglichst viele Perspektiven von Bürger:innen und historische Aspekte einbeziehen.

Dann machte Corona dem Ganzen einen Strich durch die Rechnung: „Die pandemiebedingten Einschränkungen haben die Abstimmungs- und Umsetzungsprozesse zeitlich deutlich verzögert.“ Dass sich die Aufstellung bis 2025 hinzog, ergibt sich also weniger durch konkrete Ereignisse, „sondern vielmehr durch den Abschluss aller offenen Punkte, einschließlich finaler Freigaben.“

Bezirks-Fraktionen über Vorgehen irritiert

Auf Anfrage des Nordstadtbloggers erklärt der CDU-Fraktionsvorsitzende in der Bezirksvertretung Eving Alexander Scheiper das Vorgehen als „völlig inakzeptabel“. Aus seiner Sicht sei dieser Vorgang nur ein weiterer Beweis für die „Ineffizienz und einem Mangel an Prioritätensetzung für die Arbeit der Bezirksvertretungen vor Ort seitens der Stadtverwaltung Dortmund.“

Die Kolonie Kirdorf ist eine Bergarbeitersiedlung im Stadtteil Eving
Kolonie Kirdorf in Dortmund-Eving Klaus Hartmann für nordstadtblogger.de

Außerdem, betont Scheipers, habe man als CDU-Fraktion den Eindruck gewonnen, dass diese Stele von der Mehrheit der Bevölkerung in der Kirdorf-Siedlung nicht erwünscht sei. „Erinnerungspolitik kann und darf nicht über die Köpfe der Menschen hinweg gestaltet werden, die tagtäglich am Ort des Gedenkens leben“, macht Scheipers deutlich.

Scheipers stört sich darüber hinaus an dem Ort, an dem die Stele platziert worden ist: Ein einfacher Bürgersteig. „Eine Gedenkstele sollte an einem zentralen, gut sichtbaren und kontextuell passenden Ort aufgestellt werden, um ihre aufklärerische Funktion zu erfüllen.“

Grüne: Erinnerungskultur ist ein schwieriges Thema

Edgar Freund, Fraktionsvorsitzender der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen in der Evinger Bezirksvertretung, weist darauf hin, dass seine Fraktion mehrmals bei der Verwaltung nach dem Verbleib der Stele gefragt habe. „Nachdem wir damit nicht weiterkamen, haben wir uns direkt an den Oberbürgermeister gewandt“, schreibt Freund auf Anfrage des Nordstadtbloggers.

Die Kolonie Kirdorf ist eine Bergarbeitersiedlung im Stadtteil Eving
Kolonie Kirdorf in Dortmund-Eving. Klaus Hartmann für nordstadtblogger.de

Auch Freund vermutet, dass das späte Aufstellen mit dem Widerstand der Bevölkerung vor Ort zusammenhängt. Hier habe man versucht, möglichst viele Menschen zu beteiligen: „Der Standort der Stele ist ein Kompromiss aller Beteiligten.“

Schließlich fordert Freund, den gesamten Prozess „kritisch“ zu hinterfragen. Beim nächsten Mal will Freund auf mehr Beteiligung und Mitwirkung „aller Beteiligten“ hinarbeiten. Bezirksbürgermeister Oliver Stens (SPD) wurde vom Nordstadtblogger ebenfalls angefragt. Bisher ohne Antwort.


KOMMENTAR

Aktives Erinnern in Dortmund bleibt essentiell

Dass ein solcher Prozess viel Fingerspitzengefühl erfordert, leuchtet ein. Viele Akteur:innen einzubeziehen, wie es die Stadt in ihrer Antwort auch betont hat, ist in solchen sensiblen Fragen ebenso notwendig. Doch vierzehn Jahre für die Aufstellung einer Gedenk-Stele zu brauchen, wirft zurecht Fragen auf.

Außerdem zeigt der Fall um die Kirdorf-Stele, dass es weiterhin wichtig bleibt, an das Unrecht des Nationalsozialismus und seiner Wegbereiter zu gedenken. Kirdorf mag auch seine Probleme mit den Nazis gehabt haben, siehe sein Parteiaustritt 1928. Doch als es dann Richtung Machtergreifung ging, organisierte er Treffen zwischen der Ruhr-Großindustrie und Hitler mit.

Daran muss erinnert werden, auch wenn das unangenehm ist. Ob der Weg über eine Stele oder über andere Wege der modernen Erinnerungskultur führt, ist zweitrangig. Dass wir uns als Gesellschaft an solche Ereignisse und Vorgänge erinnern und daraus lernen müssen, erscheint in der heutigen Zeit allerdings essentiell.     Lukas Pazzini


Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!

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