Alles was wir Welt nennen – es lebt in einem schmalen Spalt von Zeit: drei Sekunden.

Ausstellung im Künstlerhaus Dortmund sucht das Flüchtige

War nur während der Eröffnung zu erleben: Performance von Moonjoo Kim, die ihren Körper als Malwerkzeug einsetzte. Die Spuren der Aktion sind als Bodenarbeit noch bis zum Ende der Ausstellung am 14. September zu besichtigen. JENS SUNDHEIM

Drei Sekunden – so lautet der Titel einer neuen Ausstellung im Dortmunder Künstlerhaus. Für den Besuch sollte man sich aber auf jeden Fall mehr Zeit nehmen, denn es lohnt sich. Acht Künstler:innen sind auf der Suche nach dem, was das Jetzt bestimmt und allem davor, danach und dazwischen. Zum Hafenspaziergang am 30. August 2025 gibt es Sonderführungen mit den Kuratorinnen.

Kunst zwischen dem, was war, und dem, was schon nicht mehr ist

Drei Sekunden dauert die Spanne, die – das haben Neurowissenschaftler:innen festgestellt – unser Hirn benötigt, um aus Reizen ein Erlebnis zu basteln, das unsere Aufmerksamkeit fesselt. Oder auch nicht. Denn ständig folgen weitere Sinneseindrücke, drängeln sich vor, verflüchtigen sich wieder.

„Raumzeichnung“ von Monika Grzymala JENS SUNDHEIM

Ein Prozess, der die Kuratorinnen der neuen Ausstellung im Dortmunder Künstlerhaus interessiert hat: „Wir begeben uns mit den Künstler:innen dieser Ausstellung in genau diesen Spalt: in die Zeit zwischen dem, was war, und dem, was schon nicht mehr ist“, erklärt Pia Wojyts.

Wojtys ist Geschäftsführerin des Künstlerhaus Dortmund und eigentlich nur „nebenberuflich Kuratorin“, wie sie scherzhaft anmerkt. Es ist ihre zweite Ausstellung für das Künstlerhaus und sie hat sich dafür mit der Schweizer Künstlerin Anna-Maria Bogner zusammengetan.

Starke Positionen präsentieren – aber kein Namedropping

Fast ein Jahr haben Wojtys und Bogner an der Ausstellung gearbeitet. Große Namen etablierter Künstler:innen sind diesmal unter den Ausstellenden und das ist ungewöhnlich für das Künstlerhaus. Wie kam es dazu?

„Anna-Maria und ich haben uns gegenseitig eine Liste mit Künstler:innen vorgelegt, die wir spannend finden. Dabei gab es direkt in der ersten Runde Überschneidungen. So haben wir uns künstlerisch aneinander angenähert und überlegt, was diese Positionen gemein haben“, erklärt Wojtys.

Installation und Malerei von Sabrina Fritsch JENS SUNDHEIM

Darunter waren dann auch einige bekannte Namen wie die Düsseldorfer Kunstprofessorin Sabrina Fritsch oder die Künstler Gregor Schneider und Julius von Bismarck, deren Werke inhaltlich wunderbar zum Thema passten.

„Es war definitiv ein Wunsch starke Positionen zu präsentieren. Aber wir wollten kein Namedropping machen“, so Wojtys. „Jede Position für sich ist stark und alle zusammen ergeben diese Ausstellung.“ ___STEADY_PAYWALL___

Tatsächlich ist das Ergebnis ein spannender Mix. Die Präsentation der Arbeiten erfolgt gleichwertig – wer die Namen nicht kennt, wird kaum feststellen, wer am Kunstmarkt bereits Höchstpreise erzielt und wer (noch) nicht.

Teamwork für „3 Sekunden“ und mehr (v.l.): Maja Siepmann, Monika Grzymala, Sabrina Fritsch, William Engelen, Thomas W. Kuhn, die Kuratorinnen Pia Wojtys und Anna-Maria Bogner sowie Igor Eskinja JENS SUNDHEIM

Flüchtige Werke mit bleibendem Eindruck

Monika Grzymala setzt mit ihrer „Raumzeichung“ gleich den ersten starken Akzent im großen Saal. Was sie Zeichnung nennt, ist ein Netz aus schwarzem Klebeband, das sie durch den Raum verspannt. Seit vielen Jahren macht sie diese Installationen – im Format und Ausdruck immer auf den Ort bezogen.

Besucher:innen mit den „Obsolete Landscapes“ von Troika JENS SUNDHEIM

Über acht Kilometer schwarzes Band kamen in Dortmund zum Einsatz – ziehen sich durch den Raum und Besuchende in den Bann. Am Ende der Ausstellung wird alles zu einer riesigen Kugel geformt. Nur Fotos werden bleiben.

Flüchtig sind auch die Landschaften von Troika, die sich ebenfalls in diesem Saal sowie im Foyerbereich befinden. Große Scherben, an die Wand gelehnt, zeigen Fragmente von Landschaften und Wolken. Es sind hochaufgelöste digitale Bilder, die wir von Bildschirmschonern kennen. Aber nehmen wir sie noch wahr? Was ist das, was unser Bild von Landschaft prägt?

Malerei aus Staub und mit vollem Körpereinsatz

Igor Eškinja nutzt im zweiten Raum den Staub des Ausstellungsortes für seine Wandzeichnungen. Er mischt daraus das Grau für die zarten Schattenfiguren, die er in Gruppen und vereinzelt direkt auf die Wände gemalt hat. Auch diese Arbeiten sind nichts, was man mit nach Hause nehmen kann, aber sie werden in Erinnerung bleiben.

Performance Moonjoo Kim – an den Wänden die Staubbilder von Igor Eškinja JENS SUNDHEIM

Im selben Raum: die Spuren der Performance von Moonjoo Kim. Einige Stunden lang agierte die junge Koreanerin bei der Eröffnung mit vollem Körpereinsatz. Hände, Haare, Füße tauchte sie in Tusche und hinterließ Spuren auf dem am Boden ausgebreiteten Papier.

„Bodyprint“ (Körperabdrücke) heißen diese Arbeiten, in denen man den zarten oder auch kraftvollen Bewegungen und den unterschiedlichen Geschwindigkeiten des Prozesses nachspüren kann. Die Performance ist vergangen, die Malerei bleibt – dazwischen liegt die Kunst in unserer Vorstellung.

Zwischen den Welten: Welche Eindrücke prägen am Ende unser Bild?

Auch Sabrina Fritsch hat für die Ausstellung im Künstlerhaus extra eine neue Arbeit angefertigt. Wojtys hat sie mit einer „gewissen Ehrfurcht“ kontaktiert, aber die Professorin für Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf war begeistert vom Konzept und nutzte den Raum im Künstlerhaus für ein Experiment. Entstanden ist eine Art überdimensionaler Setzkasten. Er bildet eine strenge Struktur, die wir traditionell nutzen, um unsere Erinnerungen und Souvenirs einzusortieren. Fritsch‘ Setzkasten bleibt leer und ihre Malerei außen vor. Sie entzieht sich dem Ordnungssystem.

Zwei Fotos aus der Serie Vitarom (2022) von Gregor Schneider JENS SUNDHEIM

Gregor Schneider ist ebenfalls kein Unbekannter. Er hat bereits 2001 den deutschen Pavillon der Biennale in Venedig gestaltet und wurde dafür mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Im Künstlerhaus sind zwei Fotografien aus seiner Serie „Vitarom“ von 2022 zu sehen. Mit den Handy hat Schneider hier ein Lichtphänomen nahe seiner Heimat Rheydt festgehalten.

Die Landschaften sind in ein pinkes Licht getaucht und erinnern an die „Obsolete Landscapes“ von Troika zu Beginn der Ausstellung. Doch Schneiders Landschaften sind echt, das Phänomen nicht konstruiert, sondern real beobachtet. Es ergibt sich durch das Ablicht der umliegenden Gewächshäuser. Die Menschen vor Ort riefen damals die Polizei, Ufo-Gerüchte schafften es in die Lokalpresse und auch heute noch verunsichern uns die Fotos: Was ist hier noch Natur?

War es schwer solche Arbeiten für die Ausstellung zu bekommen? „Ich habe jahrelang in Galerien und im Kunsthandel gearbeitet und weiß, dass auch die großen Künstler:innen ausstellen müssen und wollen. Da hilft nur anfragen“, erklärt Wojtys, denn „sonst wissen die ja auch nicht, dass hier eine tolle Ausstellung geplant wird.“

Hier lebt die Musik auch von den Zwischentönen

Drei Sekunden – auch viele Songschreiber:innen und Dichter:innen folgen intuitiv diesem Muster. Häufig bildet jede Zeile eine solche Einheit und die Musik lebt von den Zwischentönen. Sehr schön erlebbar wird das im Video „A la Gould“ von William Engelen, Künstler und auch Komponist.

Besucherinnen schauen „A la Gould“, ein Video von William Engelen (18 Min., 2024) JENS SUNDHEIM

In Anspielung an den berühmten Pianisten Glenn Gould, der beim Klavier spielen stets mitsummte, lässt Engelen seine Pianisten am Textilklavier antreten.

Wir sehen ihre Anspannung, hören ein Rascheln und ihr Summen. Sie spielen in Gedanken eine Partitur, aber keine Musik erklingt – in der Vorstellung wird sie dennoch überaus präsent.

Gedehnte Zeit – doch nur was vergeht kann gewesen sein

Bleibt zum Ende noch der Gang in den Künstlerhaus-Keller: Hier versteckt sich eine Videoarbeit von Julius von Bismarck. Sie trägt den irritierenden Titel „Den Himmel muss man sich weg denken“ – doch ohne die Horizontlinie des Himmels wären wir in dieser Bildwelt verloren. Ohnehin dauert es eine ganze Weile bis man merkt, dass es sich hier nicht um ein Standbild handelt, sondern Veränderung stattfindet.

Blick in den Raum mit der Videoarbeit „Den Himmel muss man sich wegdenken“, Julius von Bismarck (2014) JENS SUNDHEIM

Aber was ändert sich? Wo hat sich gerade etwas bewegt? Und was sehen wir überhaupt? Bismarck hat mit einer Hochgeschwindigkeitskamera eine Meereswelle aufgenommen und die Zeit „gedehnt“. Wann und wo ist der Punkt, wo die Welle bricht? Die Erlösung bleibt aus, das Wasser ist erstarrt, es wirkt wie Stein.

Die Arbeit setzt einen wirkungsvollen Schlusspunkt unter die Idee der Ausstellung. Auch wenn wir den Augenblick nicht greifen können, ist es müßig zu trauern. Oder – wie es Wojtys und Bogner in ihrem Statement ein wenig poetisch formulieren: „Hier wird Absenz nicht als Verlust begriffen, sondern als die notwendige Bedingung für das Empfinden von Gegenwart. Denn: Nur was vergeht, kann auch gegenwärtig gewesen sein.“

Weitere Informationen

  • Das Geheimnis der unsichtbaren Dinge, Fotokurs für Kinder und Jugendliche, 18. bis 21. August, 11 bis 15 Uhr, gefördert durch den Kulturrucksack NRW
  • Führungen mit den Kuratorinnen zum Hafenspaziergang am 30. August, um 15.00 und 16.00 Uhr 
  • Finissage mit Präsentation des Katalogs am 14. September 2025
  • Geöffnet immer Donnerstag bis Sonntag, 16 bis 19 Uhr
  • Website zur Ausstellung 

Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!

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