
Eine bundesweite Umfrage von ver.di zeigt: Vielen Beschäftigten im Handel geht es schlecht. Die Gewerkschaft macht dafür vor allem niedrige Löhne, unregelmäßige Arbeitszeiten und mangelhafte Personalplanung verantwortlich. Deshalb fordert sie eine stärkere Tarifbindung und Entlastung des Personals. Auch in Dortmund sind die Belastungen hoch.
Löhne und Renten sind zu niedrig
Den Beschäftigten im Handel geht es schlecht. Das zeigt eine bundesweite Online-Umfrage von ver.di, die zwischen Ende April und Ende Juni 2025 lief. Daran beteiligt waren über 11.000 Beschäftigte aus dem Einzel-, Groß- und Außenhandel – darunter 3.321 aus Nordrhein-Westfalen. Die Befragung entstand in Kooperation mit der Gesellschaft für empirische Sozialforschung und Evaluation (uzbonn) sowie dem Beratungsinstitut TBS NRW.

Ein zentrales Problem ist die Bezahlung. In NRW halten 78 Prozent der Beschäftigten ihren Lohn für zu niedrig und nicht angemessen zur geleisteten Arbeit. Mehr als die Hälfte (53 Prozent) sagt, sie komme damit nur „gerade so“ über die Runden. Für bis zu 17 Prozent reicht das Einkommen nicht einmal, um den Lebensunterhalt eigenständig zu bestreiten.
Der Blick auf die Rente fällt entsprechend düster aus. Zwei Drittel der Befragten (66 Prozent) befürchten, im Alter nicht genug zum Leben zu haben. Eine alarmierende Zahl, gerade vor dem Hintergrund der alternden Gesellschaft.
Die Belastung nimmt zu – trotz Digitalisierung
Auch der Gesundheitszustand der Beschäftigten gibt Anlass zur Sorge. 68 Prozent der Befragten fühlen sich durch ihre Arbeit stark oder sogar sehr stark belastet. Das bleibt nicht ohne Folgen: Eine große Mehrheit (79 Prozent) glaubt nicht, den Beruf bis zum Renteneintritt ausüben zu können.
Dabei verändert sich die Arbeitswelt rasant. 61 Prozent der Befragten sagen, dass die Digitalisierung inzwischen eine große oder sehr große Rolle in ihrem Beruf spielt. Doch nicht alle erleben das als Fortschritt: Fast die Hälfte (49 Prozent) empfindet die digitale Belastung heute als höher als früher.
Tarifbindung muss gestärkt werden
„Die NRW-Ergebnisse sind ein erschreckendes Abbild der bundesweiten Situation“, erklärt Henrike Eickholt, Landesfachbereichsleiterin Handel bei ver.di NRW. „Der Handel ist ein zentraler Pfeiler unserer Wirtschaft und hat direkten Einfluss auf unser tägliches Leben. Es ist für uns nicht hinnehmbar, dass Beschäftigte dieser Schlüsselbranche ihre Einkommenssituation und ihre Rentenperspektive so dramatisch einschätzen. Das ist ein lautes Alarmsignal in Richtung Arbeitgeber“, macht sie deutlich.

Ein zentrales Problem sieht Eickholt in der rückläufigen Tarifbindung: Nur rund ein Drittel der Beschäftigten im nordrhein-westfälischen Handel ist tarifgebunden. „Die Tarifbindung muss dringend gestärkt werden. Nur so können faire Arbeitsbedingungen, angemessene Bezahlung und planbare Arbeitszeiten sichergestellt werden“, macht sie deutlich.
Öffentliche Aufträge sollten daher nur noch an tarifgebundene Unternehmen vergeben werden. Das gelte besonders für die Ansiedlung neuer Betriebe. Darüber hinaus müsse das Tariftreuegesetz gestärkt werden.
„Gute und gesunde Arbeit ist kein Luxusgut. Sie ist Grundvoraussetzung, um die Motivation und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten zu sichern“ ergänzt Eickholt. Die Ergebnisse der Befragten seien eine Motivation für ver.di um Weiter für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu kämpfen.
Flexibilität vor sozialer Verantwortung
Philip Keens, Gewerkschaftssekretär für den Handel von ver.di Westfalen, sieht die Umfrageergebnisse auch im Kontext der Beschäftigungsstruktur. 65 Prozent der Befragten arbeiten in Teilzeit – vor allem Frauen. Besonders sie seien von Altersarmut betroffen.

„Viele dieser Beschäftigten würden gerne länger arbeiten, gerade um den gestiegenen Kosten bei Lebensmitteln und Wohnen entgegenzutreten. Dies wollen die Arbeitgeber jedoch nicht. Flexibilität vor sozialer Verantwortung lautet die Devise“, macht er deutlich.
Um die Gesundheit des Personals zu verbessern, müssen Arbeitgeber:innen ihre Personalplanung überdenken. Mehr Vollzeitstellen und zusätzliche Mitarbeitende in den Filialen seien dringend nötig. Teilweise bearbeiten Verkäufer:innen bis zu 400 m² Verkaufsfläche allein – ein Zustand, der sich negativ auf die Gesundheit auswirkt, so Keens.
Auch in Dortmund bestehen Probleme
„Die Welt sieht in Dortmund nicht besser aus als anderswo“, ergänzt Keens. Standortdiskussionen bei Saturn und die Aussicht auf Werkverträge im Kaufland-Lager in Eving verunsichern die Beschäftigten. Viele sorgen sich um ihren Job. Darüber hinaus weigern sich einige große Unternehmen, darunter Amazon, weiterhin kategorisch, Tarifbindung einzugehen – und dass trotz hoher Krankheitsstände.
Darüber hinaus haben viele Geschäfte in der Dortmunder City noch immer keinen eigenen Betriebsrat. Die Folge: Willkür und Druck für die Beschäftigten. „Die Menschen im Handel machen einen unglaublichen Job. Es wird höchste Zeit, dass die Arbeitgeber nicht nur Obstkörbe in die Betriebe stellen, sondern die Sorgen und Probleme ihrer Beschäftigten ernst nehmen“, macht Keens klar.
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