Wie Dortmund mit Crack, Verwahrlosung und Unsicherheit umgeht – und was sich verändert hat

Zwischenbilanz des „Sonderstabs Ordnung und Stadtleben“:

Schwerpunkteinsatz der Polizei
Die Polizei, das Ordnungsamt und die Bundespolizei Dortmund bei einem der Schwerpunkteinsätze.cht, Foto: Polizei Dortmund

Seit dem Sommer 2023 arbeiten Stadtverwaltung und Polizei Dortmund im gemeinsamen Sonderstab „Ordnung und Stadtleben“ an einer Herausforderung, die viele deutsche Großstädte betrifft: Die Ausbreitung harter Drogen wie Crack, zunehmende Verwahrlosung, aggressive Bettelei, wildes Campieren – und der Verlust an gefühlter Sicherheit in zentralen Stadtlagen. Zwei Jahre später zieht Dortmund Bilanz – und präsentiert eine Strategie, die offenbar Wirkung zeigt: kontrollierend, unterstützend, dialogorientiert. Zahlen belegen: Die Kriminalität sinkt, das Sicherheitsgefühl steigt. Dortmunds Modell wird inzwischen auch in anderen Städten aufmerksam beobachtet.

„Repression allein bringt gar nichts – genauso wenig wie reine Sozialarbeit“

„Wir hatten 2022 und 2023 eine dramatische Entwicklung beim Crack-Konsum“, erinnert sich Oberbürgermeister Thomas Westphal. „In kürzester Zeit hat sich das auf die gesamte City ausgewirkt – mit Verwahrlosung, aggressivem Verhalten und einem steigenden Unsicherheitsgefühl.“ 

Thomas Westphal
OB Thomas Westphal Foto: Anja Cord für Nordstadtblogger.de

Die Reaktion: Ein interdisziplinärer Sonderstab, zusammengesetzt aus Gesundheitsamt, Ordnungsamt, Polizei, Sozialverwaltung und weiteren Fachstellen. Sein Auftrag: eine Innenstadt, die sowohl sicher als auch sozial ist.

Mit klaren Zielen: Sucht vermeiden, Suchthilfe weiterentwickeln, Campieren reduzieren, Belästigung bekämpfen, Stadtraum verschönern, Präsenz verstärken.

Westphal betont: „Uns war klar: Repression allein bringt gar nichts – genauso wenig wie reine Sozialarbeit. Wir brauchen beides. Und das abgestimmt, konsequent, aber auch differenziert.“

Ordnungsdezernent: „Wir setzen neue Maßstäbe bei der Rechtsdurchsetzung“

Der Dortmunder Ordnungsdezernent Norbert Dahmen berichtet über einen Paradigmenwechsel: „Früher haben wir auf aggressive Bettelei oder wiederholte Belästigung mit Verwarnungen oder Platzverweisen reagiert. Jetzt ziehen wir eine klare Grenze – mit Verfügung, Zwangsgeld und in Einzelfällen sogar Ersatzhaft. Denn wir wollen, dass diese Form der Belästigung unterbleibt.“ 

Norbert Dahmen
Ordnungsdezernent Norbert Dahmen Foto: Anja Cord für Nordstadtblogger.de

Das Besondere: Es geht offenbar nur um eine zahlenmäßig kleine Zahl von Personen, die sehr massiv auffällig werden, aber das Klima und die die öffentliche Wahrnehmung in der City vergiften. 20 Personen hat das Ordnungsamt ausgemacht und gegen zwölf von ihnen schon Verfügungen erlassen. Drei haben sich nicht daran gehalten und wurden nun mit Zwangsgeldern belegt. Neun haben sich bisher dran gehalten. 

Ein Fall aus dem Sommer 2025 zeigt die neue Konsequenz: Ein Mann fiel über 100 (!) Mal mit aggressivem Betteln bzw. Belästigen auf. Jetzt hat er eine Verfügung und ein Zwangsgeld von mehreren hundert Euro. Wenn er nicht zahlt, droht ihm Ersatzhaft. Dieses Vorgehen sei rechtlich fundiert – aber vor allem ein Signal: „Die Stadtgesellschaft hat ein Recht auf Schutz – auch vor Übergriffen, Einschüchterung und unzumutbarer Belästigung.“

Dabei gehe es nicht darum, die Personen „hinter Gitter“ zu bringen, verdeutlicht Dahmen: „Wir müssen diese Menschen in psychische Betreuung bekommen – die meisten von ihnen gehören meist nicht auf die Straße. Eine Inhaftierung ist nur eine Zwischenmaßnahmen. Ziel muss die klinische Betreuung sein.“

Hoher Kontrolldruck auf den Verkauf von Lachgas an Minderjährige

Ein zweiter Schwerpunkt des Ordnungsamtes: Lachgas als neue Szene-Droge. Dortmund war 2024 bundesweit Vorreiter beim Verkaufsverbot an Minderjährige – flankiert durch Aufklärung in Schulen und Treffpunkten. Die Stadt hatte als erste in NRW eine entsprechende Verbotsverfügung erlassen, die den Verkauf an Minderjährige erlassen. 

Lachgas-Kartuschen sind kein seltener Anblick auf Spielplätzen. Nach dem Konsum landen sie oft im Gebüsch. Foto: Matilda Buchmann für Nordstadtblogger.de

Die Stadt verhängte zudem Bußgelder von bis zu 500 Euro für entsprechende Verkäufer:innen – und setzte sich erfolgreich dafür ein, dass der Umgang mit Lachgas im Koalitionsvertrag des Bundes aufgegriffen wurde. 

Zudem wurden auf Spielplätzen gezielt kontrolliert. „Wir haben nur zwölf Vorfälle auf Spielplätzen dokumentiert – das zeigt, dass unsere Maßnahmen wirken“, so Dahmen.

Neue Hilfs- und Enlastungsangebote zeigen Wirkung

Blick auf die Fläche
Die Entlastungsfläche am bestehenden Drogenkonsrumraum. Foto: Stadt Dortmund

Neben repressiven Maßnahmen setzt die Stadt auf differenzierte Hilfeangebote, die sichtbar und nutzbar sind – mit wachsendem Erfolg. So etwa die Entlastungsfläche am Grafenhof, betrieben vom Gesundheitsamt.

Seit Februar 2025 halten sich dort regelmäßig 20 bis 40 suchtkranke Menschen auf – mit weniger Konflikten, weniger Müll, mehr sozialer Betreuung. Michael Schneider vom Gesundheitsamt betont: „Wir sehen deutlich weniger Beschwerden, weniger Polizeieinsätze, dafür mehr Stabilität.“ Zwei Sicherheitskräfte sorgen für Ordnung, Streetworker stehen bereit, Sozialarbeit kann hier ansetzen.

Das ehemalige Rheinische Eck soll den Grafenhof entlasten, ist aber nicht als neuer Standort des Drogenkonsumraums gedacht. Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

Weil der bestehende Drogenkonsumraum an seine Grenzen stößt, plant die Stadt einen sogenannten „Entlastungsstandort“ an der Rheinischen Straße 111. Er soll ausdrücklich nicht der zweite Drogenkonsumraum sein, über den noch in der Kommunalpolitik zu diskutieren sein wird.

Der Start ist für Dezember 2025 vorgesehen – zunächst als temporäre Lösung, mit aufsuchender Sozialarbeit und baulichen Schutzmaßnahmen. 

Blick in den Saal
Es gab zwei Nachbarschaftsdialoge zum neuen Standort an der Rheinischen Straße. Foto: Stadt Dortmund

Jan Bohrke vom Kommunalen Lagezentrum betont, wie wichtig die frühzeitige Bürgerbeteiligung war: Zwei Dialogveranstaltungen, Quartiersrundgänge, Hinweise zu Angsträumen und Konfliktpunkten wurden aufgenommen – und fließen nun in die Planungen ein. So sollen mögliche Probleme noch vor dem Start der neuen Einrichtung beseitigt bzw. vermieden werden.

Das Nachtcafé am Schwanenwall ist gestartet

In Betrieb ist auch das neue „Nachtcafé“. Das Café am Schwanenwall 42 schließt eine Lücke zwischen Sucht- und Drogenhilfe sowie Wohnungs- und Obdachlosenhilfe. Volljährige Drogenabhängige ohne Wohnung oder Zugang zu einer Notschlafstelle werden hier während der Nacht mit kostenlosen Speisen und Getränken in geschützter Umgebung versorgt. Es bietet Platz für etwa 30 Personen. 

Blick in den Eingangsbereich
Das Nachtcafé am Schwanenwall. Foto: Stadt Dortmund

Die Gäste können Toiletten und andere Hygieneangebote nutzen, sich im Winter wärmen und Bedarf weitere Hilfen erhalten. Das Nachtcafé möchte Menschen mit einer zunehmenden Verelendung Schutz, Stabilität und Hilfsperspektiven bieten. Gleichzeitig entlastet es den öffentlichen Raum. 

In der Einrichtung ist kein Drogenkonsum gestattet. Es gibt jedoch eine Raucherkabine für Tabakkonsum, um eine höhere Geräuschkulisse für die Anwohnerschaft zu verhindern. „Das Nachtcafé schließt eine Versorgungslücke für Menschen, die aus jedem Raster gefallen sind“, so Schneider. Der Zugang erfolgt über das Hilfesystem. Die Öffnungstage werden sukzessive ausgebaut – dafür wird aktuell Personal eingestellt. 

Im August hat es zunächst mittwochs und donnerstags von 22 bis 6 Uhr geöffnet, ab September auch dienstags. Sobald weiteres Personal eingestellt wurde, wird das Café täglich öffnen. Ziel ist eine Öffnung an 365 Tagen im Jahr.

Das Containerdorf hinter dem Hauptbahnhof soll in Kürze starten

Ein drittes neues Angebot ist das Containerdorf an der Treibstraße, oberhalb des Hauptbahnhofs. Im September 2025 wird die rund 300 Quadratmeter große Fläche oberhalb des Hauptbahnhofs dafür hergerichtet. Dort entsteht eine bewachte Unterkunft für bis zu 30 obdachlose Menschen, die andere Einrichtungen – aus welchen Gründen auch immer – ablehnen. 

Treibstraße in Dortmund
Ein neues Übernachtungsangebot für Obdachlose soll an der Treibstraße entstehen. Foto: Anja Cord für Nordstadtblogger.de

Es werden in Kürze zehn Wohncontainer aufgestellt. Dazu noch Sanitäranlagen sowie einen Container für einen Wachdienst. Das Gelände wird eingezäunt und auch beleuchtet. Den Menschen soll im Container Privatsphäre geboten werden. Auf dem Gelände selbst wird aber kontrolliert, so dass sich dort kein neuer Drogenumschlagsort etabliert.

Jens Adden vom Ordnungsamt sagt: „Wir bieten eine Alternative zum Campieren – und zeigen gleichzeitig klare Kante: Wer die Angebote nicht nutzt, muss mit Platzverweisen rechnen.“ Denn der Kontrolldruck in der Innenstadt sei hoch. Der Kommunale Ordnungsdienst sei täglich im Einsatz, mit klarer Ansage: „Wer campiert, belästigt oder gegen Auflagen verstößt, muss mit Konsequenzen rechnen“, so Dezernent Dahmen. Wichtig sei jedoch auch: „Wir differenzieren. Nicht jede Armut ist strafbar. Aber nicht jede Situation ist zu tolerieren“, so Adden.

Die Polizei meldet messbare Fortschritte bei Sicherheit und Präsenz

Auch auf Seiten der Polizei Dortmund ist der Wandel deutlich spürbar. Seit Juli 2023 setzt das Polizeipräsidium zusätzliche Kräfte im Rahmen der Präsenzkonzeption Fokus ein. Bis Juli 2025 wurden 622 Schwerpunkteinsätze mit über 47.000 Personalstunden durchgeführt, allein im ersten Halbjahr 2025 über 12.800 Stunden, berichtet Christoph Dünwald, Leiter der Polizeiinspektion Mitte. 

Christoph Dünwald
Christoph Dünwald ist Leiter der Polizeiinspektion Mitte. Foto: Anja Cord für Nordstadtblogger.de

Das Ergebnis: 709 freiheitsentziehende Maßnahmen – darunter 160 Ingewahrsamnahmen, 269 vorläufige Festnahmen und 280 vollstreckte Haftbefehle – zeigen, dass die Präsenz spürbare Wirkung entfaltet.

Über 7.900 Platzverweise wurden ausgesprochen, über 2.100 Strafverfahren eingeleitet und über 2.100 Ordnungswidrigkeiten registriert. Die Polizei stellte rund 1.600 Gegenstände sicher – darunter Messer, Schusswaffen, Drogen und über 170.000 Euro Bargeld.

Die Entwicklung bei Drogendelikten ist ebenso beachtlich: Während 2024 im Wachbereich Mitte noch 605 Fälle registriert wurden, waren es bis Juli 2025 nur 444 – ein Rückgang um rund 27 Prozent. 

Die Gesamtkriminalität im innerstädtischen Bereich ist um 13,2 Prozent gesunken

Auch bei anderen Delikten zeigt sich eine positive Tendenz: Die Zahl der Raubdelikte sank im Vergleichszeitraum um 13 Prozent, Ladendiebstähle um über 28 Prozent, Taschendiebstähle um 13,7 Prozent und Sachbeschädigungen um 26,5 Prozent. Insgesamt verzeichnete die Polizei einen Rückgang der Straßenkriminalität um 17,4 Prozent und der Gesamtkriminalität um 13,2 Prozent im innerstädtischen Bereich.

Gregor Lange
Polizeipräsident Gregor Lange mit Michael Schneider und Jan Bohrke im Hintergrund. Foto: Anja Cord für Nordstadtblogger.de

Polizeipräsident Gregor Lange sagt: „Diese Zahlen sind Ausdruck unserer gemeinsamen Strategie. Wir sehen, dass unsere Maßnahmen wirken – sowohl objektiv als auch im Sicherheitsgefühl der Bevölkerung. Dortmund ist heute eine sicherere Stadt als noch vor zwei Jahren.“ 

Auch das 2024 eingeführte Konzept individueller Messertrageverbote zeigt Wirkung. Von 179 ausgesprochenen Verboten führten nur 44 zu Verstößen. In 138 Fällen hielten sich die Betroffenen an das Verbot.

 „Es geht nicht um Aktionismus, sondern um Nachhaltigkeit“

Zwei Jahre nach der Gründung hat sich der Sonderstab „Ordnung und Stadtleben“ zu einem zentralen Instrument der Stadtentwicklung entwickelt. Er kombiniert Kontrolle, Hilfe, Beteiligung und Prävention. Oberbürgermeister Thomas Westphal ist überzeugt: „Wir haben heute eine sicherere Innenstadt, eine aktivere Sozialarbeit, mehr Sauberkeit und Ordnung – und einen Fahrplan, wie es weitergeht.“

Der Kommunale Ordnungsdienst bei einem Kontrollgang in der Dortmunder City. Foto: Stadt Dortmund

Ein zusätzliches Gewaltkommissariat soll zum 1. Oktober 2025 eingerichtet werden. Die Reinigungsintervalle der EDG wurden bereits verstärkt, insbesondere in der Nordstadt und an neuralgischen Plätzen.

Auch das Abfallkonzept wird überarbeitet. Die Zusammenarbeit mit Eigentümern, etwa bei Rattenbekämpfung und illegaler Müllentsorgung, wurde und werde intensiviert. Die Botschaft der Stadt ist klar: Sauberkeit, Sicherheit und soziale Verantwortung gehören zusammen.

Polizei und Stadt planen, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen. „Es geht nicht um Aktionismus, sondern um Nachhaltigkeit“, sagt Polizeipräsident Gregor Lange. „Wir wollen, dass sich die Menschen in Dortmund sicher und wohl fühlen – und alles dafür tun, dass das so bleibt.“


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Reaktionen

  1. Kauch zu „Gefängnis für Bettler“: Stohfeuer vor der Kommunalwahl? (PM)

    Zur Ankündigung der Stadtverwaltung, ggf. mit Ersatzhaft gegen aggressive Bettler vorzugehen und im Weiteren Maßnahmen gegen das rechtswidrige Campieren zu ergreifen, erklärt der Spitzenkandidat der FDP für OB und Rat, Michael Kauch:

    „Kurz vor der Kommunalwahl merken Oberbürgermeister Thomas Westphal (SPD) und Ordnungsdezernent Norbert Dahmen (CDU), dass die Bürger die zunehmende Verwahrlosung und Regellosigkeit in der Innenstadt leid sind. Als FDP begrüßen wir, dass endlich konsequenter gegen aggressives Betteln vorgegangen wird und rechtswidriges Campieren am Hauptbahnhof zurückgedrängt werden soll. Wir begrüßen auch, dass Repression mit Hilfe verbunden werden soll. Allerdings befürchten wir, dass es sich hier um ein Strohfeuer kurz vor der Wahl handelt.

    Seit dem Jahr 2022 hat die Fraktion FDP/Bürgerliste Druck gemacht, das rechtswidrige Campieren am Hauptbahnhof und in der Fußgängerzone zu unterbinden. Kurzzeitig gab es dann Schwerpunktkontrollen. Der Effekt ließ nach, sobald sich von linker Seite Empörung über den Umgang mit Obdachlosen regte. Allen voran Grüne und Linke, aber auch die SPD haben sich im Rat dafür entschieden, die Interessen der Drogenabhängigen und Obdachlosen über die der Bewohner und Besucher der Innenstadt zu stellen. Wenn also Westphal und Dahmen nun eine härtere Linie ankündigen, wird das nur Erfolg haben, wenn SPD, Grüne und Linke diese Linie im Rat nicht wieder einsammeln können. Dazu dürfen diese Parteien keine Mehrheit im nächsten Stadtrat bekommen.“

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