Prominente „Gastarbeiterkinder“ diskutierten auf dem Nordmarkt persönliche Geschichten

Open-Air-Ausgabe von Pentagon zu Denkmälern für Gastarbeiter:innen

Blick auf das Publikum und die Diskussionsrunde auf dem Nordmarkt
Erste Open-Air-Ausgabe des Diskussionsformat „Pentagon“: am Abend auf dem Nordmarkt. Foto: Helmut Sommer für Nordstadtblogger.de

Moderiert von Aladin El-Mafaalani fand jetzt eine besondere Ausgabe des „Pentagon“ statt: Aus Leipzig, Berlin, München und Wien kamen Gäste nach Dortmund auf den Nordmarkt, um über ein Denkmal für Gastarbeiter:innen zu diskutieren. „Für mich ist der Nordmarkt neben dem Westfalenstadion der schönste Platz in unserer Stadt“, verriet der Moderator bei der Begrüßung. Das Publikum erlebte unter freiem Himmel einen Abend voll persönlicher Geschichten.

Lebensleistung der Gastarbeiter:innen-Generation im Mittelpunkt

In seiner Begrüßung verkündete El-Mafaalani die Entscheidung nach dem Wettbewerb: Es sollen zwei Vorschläge für das Denkmal umgesetzt werden. Der Dortmunder Stadtrat folgte dem Juryvorschlag, die Werke „Arbayt“ von Esra Oezen und „Mosaik der Identitäten“ von Raimund Schucht an der Katharinenstraße zu realisieren, um die Lebensleistung der Gastarbeiter:innen-Generation öffentlich zu würdigen (Mehr dazu siehe unten).

Bild zeigt El Mafaalani mit Haticia Sarikaya, die sich für das Gastarbeiterdenkmal eingesetzt hat.
Aladin El Mafaalani, Professor für Migrations- und Bildungssoziologie mit Hatica Sarikaya, die sich für das Gastarbeiterdenkmal eingesetzt hat. Foto: Helmut Sommer für Nordstadtblogger.de

„Wir bekommen zwei Denkmäler hier in Dortmund. Das ist bemerkenswert“, staunte El-Madaalani. Er nannte den geplanten Standort hinter den Katharinentreppen „echt außergewöhnlich“, einen besseren Ort könne man nicht finden.

Deutschland diskutiere aktuell über Migration und wie schwierig alles sei – „Und was machen wir? Ein Denkmal, ein Festival und feiern bis der Arzt kommt. Das ist Dortmund, oder?“ Die Umsetzung erwartet er „in naher oder mittelferner Zukunft“ und plant direkt die nächste Spezialausgabe am Standort der Denkmäler: „Zur Einweihung machen wir wieder ein Open Air Pentagon“. ___STEADY_PAYWALL___

Kritische Betrachtung des Begriffs ‚Gastarbeiter‘

Mit einer kritischen Betrachtung leitete der Professor der TU Dortmund dann über zum „groben Rahmenthema“ der Gesprächsrunde und zu seinen Gästen: der Euphemismus „Gastarbeiter“ sei damals unter anderem gewählt worden, um einen Ausdruck aus der Nazizeit, „Fremdarbeiter“, zu vermeiden. Er kenne keine Kultur, die ihre Gäste arbeiten ließe. Deutschland habe damit verdeutlichen wollen, dass diese Menschen wieder gingen. „Die Arbeitgeber waren sehr zufrieden mit diesen fleißigen, genügsamen, bescheidenen Menschen.“ Man fand auch wenig deutsche Arbeiter, die die harte Arbeit machen wollten.

Bild zeigt Aladin El-Mafaalani bei dem Format Pentagon
Aladin El Mafaalani, Professor für Migrations- und Bildungssoziologie, moderierte den Abend Foto: Helmut Sommer für Nordstadtblogger.de

In der Diskussion ging es im Folgenden um sehr persönliche (Familien-)Geschichten der Anwesenden, die sich als Kinder von „Gastarbeiter:innen“ bezeichneten – beispielsweise die Schuhkäufe von Ferda Atamans Mutter, Streit in Carlo Masalas Familie über unterschiedliche Sichtweisen auf Italien oder Alexandra Stanićs Wut auf die Mehrheitsgesellschaft.

Die vier prominenten Besucher:innen liefen zu „Eye of the tiger“ und Applaus von den eng besetzten Bänken in die temporäre Arena auf dem Nordmarkt ein: Ferda Ataman, Carlo Masala, Juan Moreno und Alexandra Stanić. Eine „spektakuläre Runde“ laut El-Mafaalani. Jede:r legte einen eigenen Schwerpunkt, aber es gab viel Austausch und Ergänzungen zu den Beiträgen im Laufe des Abends.

Streitpunkt war beispielsweise, ob es eher Vor- oder Nachteile bringe, unterschätzt zu werden und die Bewertung der Aktion Steinmeiers, der beim letzten Staatsbesuch einen Döner als Gastgeschenk in die Türkei mitbrachte.

Ferda Ataman: „Unser Haus war voll mit Schuhen“

Ferda Ataman beschrieb, dass ihre Mutter wie viele andere Frauen angeworben wurden, weil man ihnen noch weniger zahlen konnte und sie somit billiger waren als die männlichen „Gastarbeiter“. „Meine Mutter ist nach Deutschland gekommen, weil sie sich Schuhe kaufen wollte und weil jemand in ihr Dorf gekommen ist mit ganz tollen Schuhen und ihre Haare rochen unglaublich toll nach Shampoo.“

Bild zeigt die Bundesbeauftragt für Antidiskriminierung, Ferda Ataman bei der Veranstaltung Pentagon auf dem Nordmarkt
Ferda Ataman, unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung und Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes Foto: Helmut Sommer für Nordstadtblogger.de

Deswegen wollte sie auch nach Deutschland. „Unser Haus war voll mit Schuhen“. Sie sei mal bei Deutschen zuhause gewesen und habe sich gefragt: „Wo sind all die Schuhe?“

Alexandra Stanić dagegen fiel besonders das eigene Zimmer einer österreichischen Freundin auf. Für sie selbst „war normal, dass mir nichts gehört“. Sie habe kapiert: „So leben nicht alle, so leben nur die armen Ausländer.“

Viele Kartons wurden laut Ferda Ataman bei ihr zuhause gelagert und ein Teil davon dann im Urlaub transportiert: „Ich glaube Nivea wäre nicht da, wo Nivea ist, wenn nicht wir Gastarbeiter:innen mit unseren Autos so viel Nivea in die Türkei exportiert hätten zu Zeiten als es da noch keine Metro gab.“

Verkehrte Welt: Sparsam in Deutschland, Prunk in der alten Heimat

Auch die Automarke sei dabei sehr wichtig gewesen: es musste ein Mercedes sein. Familien hätten zu acht in einer Zwei-Zimmer-Wohnung gewohnt, aber es ging mit dem Mercedes in den Sommerurlaub, so Ataman.

Bild zeigt Prof. Dr. Carlo Antonio Masala von der Universität der Bundeswehr bei der Diskussion im Format Pentagon zur Einführung des Gastarbeiterdenkmals
Prof. Dr. Carlo Antonio Masala von der Universität der Bundeswehr Foto: Helmut Sommer für Nordstadtblogger.de

Auch Carlo Masala, geboren 1968, sei als Kind „mit dicken Schichten Nivea eingecremt“ und in den Kindergarten geschickt worden. Auf dem Auto habe seine Familie mehrere Meter Gepäck gestapelt, wenn es in den Sommerurlaub ging. Das Bild habe sich eingeprägt.

Viele Familien hätten in Deutschland zu viert oder zu fünft in Zwei-Zimmer-Wohnungen gewohnt „und die haben ihr ganzes Leben lang Luxusvillen in den Dörfern gebaut, wo sie herkamen. Also wenn man bei denen zu Besuch war, hatte man eine 250 Quadratmeter Villa auf drei Stockwerken, mit Swimmingpool, während die hier zu viert auf zwei Zimmern mit Klo aufm Gang wohnten.“

Über die Gesellschaft schimpfen können als Fortschritt

„Das Leben fand im Juli oder August statt“, so Juan Moreno, oder wann auch immer es Sommerferien gegeben habe. Er sieht im Materialismus den Versuch, zu „beweisen, dass es richtig war, was man gemacht hat“, also aus der eigenen Heimat wegzugehen. Die Debatten über den Sinn des Lebens, die seine und jüngere Generationen führten, müsse man sich leisten können.

Bild zeigt den spanischen Journalisten Juan Moreno beim Format Pentagon auf dem Nordmarkt in Dortmund
Juan Moreno, spanischer Schriftsteller und Journalist, zu Gast in Dortmund Foto: Helmut Sommer für Nordstadtblogger.de

„Ich finde es gut, dass wir jetzt schimpfen und sagen: Ihr verbockt es. Ich halte das schon für Fortschritt tatsächlich. Artikulieren zu können, was einem auf den Sack geht, ist echt ein Fortschritt.“

Es sei gut, dass sie Probleme haben dürften. Seine Eltern, die erste Generation, hätten die nicht: natürlich sind sie keine Deutschen. Ihre Sichtweise sei: „Wir sind den Deutschen sehr dankbar, die haben dich studieren lassen“. Diese Haltung sei interessant, wie man auf ein Land gucken könne. Inzwischen seien sie nach Spanien zurückgegangen, aber es sei keine leichte Entscheidung gewesen, ob sie nicht doch näher an einem deutschen Krankenhaus wohnen wollten.

Er richtete anerkennende Worte an Carlo Masala, nachdem Masala über zahlreiche Polizeikontrollen berichtet hatte: „Ihr haltet mich vier mal an, ich sitz trotzdem in ein paar Jahren fünfzehnmal bei Lanz in der Woche. Mir gefällt, dass du aus dieser Ablehnung Energie ableitest“. Masala entgegnete: „Das gelingt aber nur den wenigsten. Viele wollen dann mit der Gesellschaft nichts mehr zu tun haben“. Und Stanić stimmte zu: „Wut muss man sich erlauben können“. Sie habe sich gewünscht, ihren Weg „gehen zu können ohne so viel Widerstand“.

Frage nach Zugehörigkeit: „Ich habe mich hundert Prozent über meine Herkunft definiert“

Bild zeigt Alexandra Stanic, eine Journalistin aus Wien beim Format Pentagon am Nordmarkt
Alexandra Stanić, Journalistin und Fotografin aus Wien, hatte die weiteste Anreise zur Veranstaltung Foto: Helmut Sommer für Nordstadtblogger.de

„Ich bin so aufgewachsen, als zweite Generation von Gastarbeitern, dass ich mich hundert Prozent über meine Herkunft definiert habe. Ich hatte gar keine andere Idee, was ich sonst sein könnte außer dieser eine „Jugo“. Sie beschrieb ihre Haltung als „trotzig“: „Bin ich halt diese Ausländerin. Ich war halt zuhause bei meinen albanischen, bei meinen türkischen, meinen Jugo-friends, das war klar.“

Erst mit der Erfahrung in der Redaktion von Bibber, einem „Magazin von Ausländern für Ausländer, musste ich mich nicht zu sehr über diese Jugo-Identität definieren“. Sie zog das Fazit: Erst wenn man anerkennt, dass Herkunft nicht alles ist, kann man in Wahrheit zu sich selbst finden“.

Bild zeigt den runden Tisch beim Format Pentagon am Nordmarkt in Dortmund
Runder Tisch beim Format Pentagon am Nordmarkt aus Anlass des geplanten Gastarbeiterdenkmals Foto: Helmut Sommer für Nordstadtblogger.de

Für Masala sei klar: „Wir prägen diese Gesellschaft genauso mit wie jeder, der hier mit deutschen Eltern geboren wurde. Solange dieses Land seinen Frieden damit nicht findet wird es ein Problem geben mit „Fremdheit‘ in diesem Land“.

Als er und ein Kollege mit griechischem Namen auf einer Konferenz der NATO von einem älteren, deutschen Diplomat angesprochen wurden mit den Worten: „Das ist aber witzig, dass Sie hier Deutschland repräsentieren“, habe er darauf reagiert mit der Aussage: „Wir sind Deutschland.“

 Wer die „Zugehörigkeit“ in Frage stellt, argumentiert rassistisch

Bild zeigt El Mafaalani links, dahinter Ferda Atamann, Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung
Ferda Ataman mit dem Moderator, Aladin El-Mafaalani Foto: Helmut Sommer für Nordstadtblogger.de

Ataman erzählte von der letzten Islam-Konferenz, es habe Blutwurst gegeben, die sie ja liebe. Aber für den Faux-pas hatte sich der Staatssekretär natürlich entschuldigt. Sie argumentierte: „Viele stellen die Zugehörigkeit gar nicht in Frage. Die, die es tun, da ist nicht das Problem Zugehörigkeit, sondern Rassismus. Wir haben es lange nicht so genannt.“

Sie sieht „Zugehörigkeit“ vorwiegend als Thema der zweiten Generation: „Ich möchte nicht gefragt werden, wo ich herkomme. Die Jugendlichen heute, also die dritte Generation, machen sich keine Illusionen. Sie sagen: ich bin Araber, ich in Türke, bin Kreuzberger, was auch immer, Dortmunder, aus der Nordstadt. Keiner von denen sagt: Ich bin Deutscher. Das war unser Thema“.


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