Wenn Zuhören Leben stabilisiert: Ein Blick hinter die Leitungen der TelefonSeelsorge

Seit rund 60 Jahren ein offenes Ohr in Dortmund

[/media-credit] Der Ehrenamtliche Kay Bohlen an „seinem“ Arbeitsplatz. Mitarbeitende der TelefonSeelsorge chatten und telefonieren hier.

Die TelefonSeelsorge Dortmund feiert ihr 60-Jähriges Jubiläum und leistet somit seit sechs Jahrzehnten verlässliche Hilfe für Menschen in Krisen. Getragen wird die Institution von der Katholischen Kirche. Rund um die Uhr erreichbar, stellt sich ein großes ehrenamtliches Team zur verfügung, welches klassisch am Telefon, per Chat oder E-Mail mit Menschen in Krisen kommuniziert und ihnen beisteht. Zum Jubiläum – gefeiert wird am Donnerstag – geben Leitung und Ehrenamtlicher Einblick in ihre Arbeit, ihre Herausforderungen und ihre Motivation.

Ein Ehrenamt, was rund um die Uhr zur Verfügung steht

Die TelefonSeelsorge Dortmund funktioniert nur, weil sich zahlreiche Menschen freiwillig engagieren. Insgesamt 80 Ehrenamtliche sorgen dafür, dass das Angebot ganze 24 Stunden am Tag laufen kann, an allen 365 Tagen im Jahr.

Sie besetzen die Telefone, übernehmen Chat- und Maildienste und halten damit einen Dienstplan intakt, der ohne Verlässlichkeit nicht funktionieren könnte.

Dabei geht es Zwar oft um kurze Begleitungen in akuten Belastungen, doch die Gespräche folgen keinem festen Rahmen. Wer also in einer Krise anruft, erhält die Zeit, die nötig ist um Beistand zu bekommen.

Ausbildung zwischen Selbsterfahrung, Theorie und Praxis

Bevor Ehrenamtliche überhaupt Gespräche mit Ratsuchenden führen dürfen, durchlaufen sie eine intensive Ausbildung. Diese dauert fast anderthalb Jahre und beginnt mit ausführlichen Gesprächen, einem Auswahlverfahren und dem Bewusstwerden darüber, was Seelsorge überhaupt bedeutet.

In den wöchentlichen Treffen geht es zunächst um Selbstreflexion. Denn wer anderen zuhören will, muss sich auch mit den eigenen persönlichen Themen, Grenzen und Reaktionen auseinandersetzen. Danach folgen Kommunikationstheorien, praktische Übungen sowohl das Zuschauen und Mithören bei erfahrenen Kräften.

Erst Schritt für Schritt übernehmen die neuen Ehrenamtlichen eigene Gespräche, begleitet von Mentorinnen und Mentoren, die sie sicher an die Arbeit heranführen und darauf achten, dass diese auch professionell getätigt werden.

Gespräche, die ohne Vorwissen und anonym beginnen

Jedes Gespräch startet bei null. Die Ehrenamtlichen wissen vorher nicht, wer anruft oder welches Thema sie erwartet und das ist bewusst so gewollt. Die Anrufenden kommen aus allen Altersgruppen: von Jugendlichen ab etwa 15 Jahren bis zu Senior:innen um die 85, wobei die meisten zwischen 40 und 60 Jahre alt sind.

Es gibt keine Akten, keine Vorgeschichten, keinen Blick auf den Namen oder Vergangengheit der nach Hilfe suchenden Person. Entscheidend ist nur der Moment, in dem jemand sich dazu entscheidet ein Gespräch zu suchen.

Manche Anrufenden suchen Orientierung in persönlichen Krisen, andere sprechen zum ersten Mal offen über Gefühle, die sie lange verdrängt haben. Die Ehrenamtlichen hören zu, sortieren, und geben Halt, ohne zu bewerten oder Lösungen aufzudrängen.

Für viele Menschen ist dieser geschützte Raum ein erster Schritt, um neue Perspektiven zu entdecken und Wege aus ihrer schwierigen Situation zu finden.

Digitale Wege – Chat und Mail werden zur großer Bedeutung

Neben dem Telefonkontakt nehmen Chat sowie E-Mail-Angebote eine immer größere Rolle ein. Besonders junge Menschen wählen diese Optionen, da sie schneller, informeller und oft einfacher zugänglich sind.

Die Erfahrungen zeigen: Über Chat und Mail sprechen die Anrufenden häufiger über hoch sensible Themen wie Suizidgedanken oder sexualisierte Gewalt.

Auch die Tiefe der Gespräche kann hier oft größer sein, da die Menschen beim Schreiben bereits beginnen, ihre Gedanken selbst zu sortieren und reflektieren. Die TelefonSeelsorge reagiert damit auf den gesellschaftlichen Wandel und passt ihre Angebote an die digitalen Bedürfnisse der Ratsuchenden an.

Helfen, zuhören, verstehen. Was Ehrenamtliche antreibt

Viele Ehrenamtliche berichten, dass die Arbeit bei der TelefonSeelsorge sie persönlich bereichert, auch wenn sie emotional herausfordernd ist. Kay Bohlen erzählt: „Die Gespräche sind so unterschiedlich – es gibt immer mindestens ein Gespräch im Dienst, bei dem ich das Gefühl habe, es hat sich wirklich gelohnt.“

[/media-credit] Kay Bohlen, Ehrenamtlicher Mitarbeiter und Regina Reiffenberg, Leitung der TelefonSeelsorge Dortmund

Für ihn ist es besonders eindrucksvoll, Einblicke in Lebenssituationen zu bekommen, die man sonst nie erlebt hätte. „Man lernt Lebenswelten kennen, die sehr unterschiedlich sind. Von Menschen mit Einsamkeit im Alter bis zu jungen Menschen, die gerade psychische Krisen durchleben“, sagt Bohlen.

Die TelefonSeelsorge reagiert damit auch auf gesellschaftliche Entwicklungen: Einsamkeit, psychische Erkrankungen und Unterversorgung im Gesundheitssystem nehmen zu.

Reiffenberg betont: „Je mehr man mit diesen Menschen spricht, desto klarer wird, wie dringend Unterstützung nötig ist.“ Gleichzeitig motiviert die Dankbarkeit der Anrufenden die Ehrenamtlichen: Es geht nicht immer darum, Lösungen zu bieten, sondern einfach präsent zu sein und Halt zu geben – ein Moment, der für die Ratsuchenden viel Halt gibt.

Belastende Gespräche und Rückhalt im Team

Die Arbeit bei der TelefonSeelsorge ist trotz der Professionalität emotional anspruchsvoll. „Alle Ehrenamtlichen sind einer Supervisionsgruppe zugeordnet, die sich alle drei Wochen trifft“, erzählt Reiffenberg. „In diesen Treffen können schwierige Gespräche reflektiert und belastende Themen verarbeitet werden. So lernen unsere Ehrenamtlichen, die Sorgen der Anrufenden nicht zu ihren eigenen zu machen.“

Darüber hinaus stehen die hauptamtlichen Sozialpädagoginnen und systemischen Beraterinnen, wie Regina Reiffenberg, jederzeit als Ansprechpartner:innen bereit. Für die Ehrenamtlichen selbst ist das ein entscheidender Rückhalt.

Auch zwischen den Schichten gibt es Unterstützung. Zwischen den Diensten überlappen die Schichten 15 Minuten, in denen Ehrenamtliche belastende Gespräche besprechen können. Dabei ist das Teamgefühl zentral. „Wir sind ein Team, auf das man sich verlassen kann, genau wie die Anrufenden auf uns“, betont Bohlen.

Zukunft gestalten: Nachwuchs, digitale Angebote und Vernetzung

Die digitale Seelsorge steht auch vor neuen Herausforderungen. Nachwuchs für das Ehrenamt zu gewinnen, bleibt eins der Haupt-Ziele, insbesondere jüngere Menschen sollen sich engagieren. „Wir haben flexible Dienstpläne, aber es ist wichtig, dass wir die Angebote so gestalten, dass auch jüngere Ehrenamtliche teilnehmen können“, erklärt Reiffenberg.

[/media-credit] Regina Reiffenberg ist die Leitung der Telefonseelsorge Dortmund.

Gleichzeitig sollen Chat- und Mailangebote weiter ausgebaut werden, um den Bedürfnissen der Ratsuchenden mehr gerecht zu werden. Die Leitung achtet zudem auf eine enge Vernetzung mit anderen psychosozialen Diensten in Dortmund.

Damit bleibt sichergestellt, dass Menschen in Krisen nicht nur einen Ansprechpartner am Telefon finden, sondern auch auf weiterführende Hilfen hingewiesen werden können.

Für die Ehrenamtlichen selbst bedeutet die Arbeit nicht nur Verantwortung, sondern auch persönliche Weiterentwicklung. „Es lohnt sich, dabei zu sein, nicht nur für die Anrufenden, sondern auch für sich selbst“, sagt Bohlen. Die TelefonSeelsorge bleibt damit ein unverzichtbarer Bestandteil der psychosozialen Versorgung in Dortmund.

INFO: Wer sich für eine ehrenamtliche Mitarbeit interessiert, kann sich hier melden:


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