
Dortmund will wachsen – doch worauf bauen neue Betriebe? Diese Frage hat den Rat der Stadt bei der Debatte um die neue Wirtschaftsflächenstrategie gespalten. SPD, Grüne und CDU stritten leidenschaftlich um Verdichtung, Freiraum und wirtschaftliche Chancen.
SPD-Fraktion: „Boden ist ein wertvolles Gut“
Carla Neumann-Lieven (SPD) machte gleich zu Beginn klar: „Dortmund hat sich von einer einstigen Handelsmetropole über einen Industriestandort zu einer Wissenschaftsstadt mit vielfältiger Dienstleistung, Logistik, Startups und produzierendem Gewerbe entwickelt.“

Doch der Platz sei begrenzt: „Wir benötigen ihn für Industrie und Gewerbe, für Wohnungen, Kindergärten, Schulen, Sportplätze, Kultureinrichtungen, Kliniken, Seniorenheime, Schwimmbäder, Grünflächen, Parks, Ackerflächen, für Gewässer, Hafen und irgendwie wollen wir überall auch in. Wir benötigen also Raum für unsere Lebenswirklichkeit von der Wiege bis zur Bahre.“
Mit ihrem Antrag wolle die SPD einen nachhaltigen Weg einschlagen: „Boden ist ein wertvolles Gut und es vervielfältigt sich halt nicht. Also müssen wir sorgsam mit ihm umgehen. Wir wollen mit den Betrieben, Architekten und Investoren neue Ideen entwickeln und auf Dortmund übertragen.“
Die CDU-Fraktion warnt vor „schwarzem Tag“
Uwe Waßmann (CDU) hielt dagegen: „Ein besonderer Tag, ein ganz bedeutender Tag für die wirtschaftliche Ausrichtung dieser Stadt für die nächsten 15 bis 20 Jahre.“

Die CDU fürchtet, dass SPD und Grüne der Wirtschaft die Entwicklungsmöglichkeiten nehmen: „Heute muss man die Frage stellen, Quo vadis SPD? Warum weicht man aus bei Themen, die wir hier im Rat gemeinsam beschlossen haben?“
Waßmann forderte die SPD auf, umzuschwenken: „Heute ist der Tag des Ungehorsams. Seid ungehorsam euren Beschlüssen gegenüber und stellt euch eurer Verantwortung für diese Stadt.“
Grüne: „Keine weiteren Freiräume versiegeln“
Katrin Lögering (Bündnis 90/Die Grünen) stellte klar, dass ihre Fraktion hinter der klaren Linie steht: „Als Grüne sind wir glücklich, dass wir heute endlich klarziehen, dass perspektivisch kein weiterer Freiraum versiegelt werden soll.“ Ihrem Projektpartner von der CDU warf sie vor, noch eine Wirtschaft- und Flächenpolitik aus den 90er Jahren zu machen.

Sie lobte stattdessen die Vorlage: „Das ist eine gute Nachricht für Dortmunds Grüngürtel, für die Frischluftschneisen, für die Artenvielfalt und für die Anwohnerinnen, die nun endlich Klarheit haben.“
Die Beschlussvorlage enthalte nämlich strategisch viele wichtige Punkte, „die oft in den Hintergrund geraten hinsichtlich der Flächendiskussion, die wir da immer führen. Künftig wird die künftige Gewerbeentwicklung prioritär im Bestand und auf bestehenden Flächen, die gegenüber der Entwicklung im Freiraum immer Vorrang hat, auch eine klare Absage an weitere Logistik“, so Lögering.
FDP wirft SPD „Anbiederung“ vor
„Auch wir als FDP und Bürgerliste sind der Auffassung, dass die Entwicklung von Wirtschaftsflächen, die wir dringend brauchen, zunächst einmal nicht im Freiraum stattfinden soll, sondern durch Flächenrecycling, auch die Dinge, die angesprochen wurden, in die Höhe zu bauen und ähnliches. Aber wir brauchen auch die Flexibilität, dass wir einzelne Projekte abwägen können“, verdeutlichte Michael Kauch (FDP/Bürgerliste)

Er kritisierte, dass der Antrag von SPD und Grünen diese Abwägung nicht mehr zulasse. „Und deswegen hat insbesondere die SPD-Fraktion sich die Frage zu stellen, warum sie der Wirtschaftsförderung und ihrem eigenen Oberbürgermeister mit seinem Verwaltungsvorschlag Knüppel zwischen die Beine wirft, denn das ist das Ergebnis, dass wir hier sehen“, so Kauch weiter. „Und ich glaube, dass die Dortmunder Wirtschaft jetzt unter einer strategischen Frage leidet und leiden wird.“
Kauch ging die Sozialdemokrat:innen scharf an: „Die SPD hatte mal eine klare Position, dass im Zweifel auch die wirtschaftliche Entwicklung, die Arbeitsplätze für die Menschen in Dortmund, ein entscheidender Faktor sind.“
Und weiter: „Die SPD sieht, dass die Liebe der CDU zu den Grünen gerade erlischt und biedert sich an, um an der Macht zu bleiben. Die Bürgerinnen und Bürger wissen nicht, was sie eigentlich bekommen, wenn sie die SPD wählen: Bekommen sie noch sozialdemokratische Politik, oder gleich grüne Politik?“, so Kauch.
SPD verteidigt „kluge und zukunftsfähige Bodenpolitik“

Silvya Ixkes-Henkemeier (SPD) konterte: „Wer jetzt Braut oder Bräutigam ist, könnten wir noch mal drüber nachdenken. Aber diese Schwarz-Weiß-Malerei bringt uns nicht weiter.“ Und weiter: „Selbstverständlich steht die SPD auch heute noch voll und ganz hinter der Dortmunder Wirtschaft.“
Aber genau aus dem Grund sind wir auch der Meinung, dass eine kluge und zukunftsfähige Wirtschaftsflächenstrategie und Bodenpolitik, dass wir die brauchen. Denn nur damit stellen wir die Weichen für eine moderne und nachhaltige Stadtentwicklung für Dortmund.“ Die Zukunft Dortmunds Zukunft liege nicht in einem „Weiter so“, sondern in der aktiven Gestaltung eines nachhaltigen und resilienten Wirtschaftsstandorts“, so Silvya Ixkes-Henkemeier.

„Dazu gehört, Zielkonflikte offen zu benennen, mit den Menschen, den Unternehmen und Verbänden in Austausch zu gehen und politisch klug zu entscheiden, wenn es um konkurrierende Flächenbedarfe, Klimaziele und die soziale Verantwortung geht. Wir wollen Herausforderung nicht weiterschieben in die kommenden Generation, sondern hier und heute angehen“, so die SPD-Politikerin.
„Eine Fläche kann eben nur einmal vergeben werden, und das weckt viele verschiedene Begehrlichkeiten, die sicher alle ihre Berechtigung haben. Flächen werden aber auch in 10 oder 20 Jahren noch benötigt. Denn einen Planeten B haben wir nicht“, so Ixkes-Henkemeier.
Linken-Kritik: „Wir sind nicht in Sim City“
„Dortmund ist nicht Sim City. Wir brauchen auch in 30, 40 Jahren noch Lebensqualität. Und die können wir nicht erhalten, wenn wir alles zubauen“, betonte Utz Kowalewski (Die Linke +). Seine klare Forderung: „Deswegen lehnen wir die Bebauung der Brechten-Niederung, Groppenbruch, Osterschleppweg und Buddenacker ab.“

Gleichzeitig forderte er Nachverdichtung und Vertikalisierung: „Wir müssen die Potenziale, die wir in den bestehenden Gewerbeflächen haben, wirklich heben, um Unternehmen anzusiedeln“, erinnerte Kowalewski an die Beschlusslage von 2023.
„Ich erwarte aber jetzt eigentlich, dass dieser Haushaltsbeschluss auch weiter abgearbeitet wird, damit wir die Potenziale, die wir in den bestehenden Gewerbeflächen haben, dass wir die auch wirklich heben, um Unternehmen anzusiedeln, um Unternehmensausweitung hinzubekommen und ähnliches mehr“, so Kowalewski.
AfD sieht eine Einigkeit beim Naturschutz

Peter Bohnhof (AfD) stimmte der Linken in einem Punkt zu: „Beim Thema Brechtener Niederung sind wir absolut einer Meinung.“ Ansonsten sprach Bohnhof von „vielen Plattitüden“ in der Debatte: „Unser Abstimmungsverhalten geht dahin, dass wir die ursprüngliche Vorlage gerne mitgetragen hätten – mit Ausnahme natürlich der Brechtener Niederung: Das ist auch klar, das haben wir deutlich gemacht.“
„Aber in der veränderten Version führt es dazu, was tatsächlich von der CDU auch ausgeführt wurde, und deshalb können wir dem dann in der Form nicht mehr folgen im gemeinsamen Zusatz- und Ergänzungsantrag natürlich dann folgerichtig auch nicht.“
Reppin: „Wachstum heißt Arbeit“
Udo Reppin (CDU) erinnerte an die Einführung ins Thema und zitierte den Oberbürgermeister: „Dortmund ist eine wachsende Stadt. Das scheint mir an den ganzen Beratungen ein bisschen vorbeigegangen zu sein. Wachstum bedeutet ja nicht nur, dass wir mehr Menschen in dieser Stadt noch unterzubringen haben, wo wir auch noch nicht wissen, wohin, sondern Wachstum braucht auch, dass wir die Leute beschäftigen an den verschiedensten Stellen.“

„Es gibt viele Gewerbeflächen in dieser Stadt, es gibt sogar Industrieflächen in dieser Stadt, die zum Teil untergenutzt sind. Da stimme ich den Vorrednern in einigen Teilen durchaus zu. Aber es gibt eben auch ordentliche Verdichtungen, und es gibt auch an der einen oder anderen Stelle Bedarf für weitere Flächen, um nämlich Arbeitsplätze zu schaffen“, so Reppin.
„Wenn wir eine wachsende Stadt sind, wollen die Leute auch arbeiten, und sollten sie möglicherweise auch. Übrigens, ein Kernthema, dass die Sozialdemokratie früher immer gehabt haben. Sie haben sich ja immer gerühmt, eine Arbeiterpartei zu sein. Davon sind sie aber glaube ich mittlerweile meilenweit entfernt“, So der CDU-Politiker.
Grüne übernehmen Verantwortung und tragen die Flächenstrategie mit

„Es ist natürlich immer einfach für alle, jetzt den Grünen die Schuld zu geben, das ist ja auch irgendwie unsere Aufgabe scheinbar. Wir scheinen ja auch hier ganz doll verführisch für alle möglichen Parteien zu sein. Vielen Dank dafür“, kommentierte Christoph Neumann (Grüne) die Diskussion.
„Es ist ja nicht so, dass unser Antrag jetzt sagt, wir möchten keine Wirtschaftsflächen. Ganz im Gegenteil. Es sollen ja Wirtschaftsflächen geschaffen werden, indem man zum Beispiel mehr in die Höhe baut, indem man verdichtet, indem man statt auf Parkplätzen vielleicht auch mal überraschenderweise vielleicht mal zwei Etagen auf Parkplätzen macht. Wir möchten verdichten, wir möchten andere Methoden machen“, so Neumann.

„Und wir übernehmen ja auch die Verantwortung insofern für diese Stadt, als dass wir diese Wirtschaftsflächenstrategie zum Großteil mittragen. Das machen ja SPD und wir, das scheinen ja andere Parteien hier nicht zu machen“, so der Grünen-Politiker.
„Wir stellen uns der Herausforderung, wenn auch unter der Maßgabe, dass nicht im Hintergrund schon das billige die billige Freifläche winken darf, wenn man auch andere Flächen entwickeln kann“, so Neumann.
SPD-Kritik an konstruierten Fronten und Gegensätzen
Franz-Josef Rüther (SPD) sah sich als Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung gezwungen, das Wort zu ergreifen: „Ich kann das nicht ganz verstehen, warum man hier solche Mauern und solche Gegensätze aufbauen will, die gar nicht da sind. Zunächst mal, Herr Kauch: Viele Ihrer Aussagen kann ich bei weitem nicht teilen. Aber für eine Aussage danke ich Ihnen, wenn Sie sagen, dass wir alle hier sind, um das Beste für die Stadt zu machen. Das stimmt, das ist so.“

„Das heißt aber auch, dass man Respekt haben muss, wenn andere Gedanken in diesem Sinne haben, wo die Stadt am besten sich entwickelt. Und das vermisse ich hier. Jetzt sollte man die Anträge der drei großen Fraktionen zu diesem Thema mal lesen. Es gibt die Vorlage, die gewisse Maßnahmen nennt in der Wirtschaftsflächenstrategie, die von allen dreien empfohlen werden, gut geheißen werden. Willkommen, dass es endlich soweit ist, dass wir da eine Strategie haben“, so der SPD-Politiker.
„Es ist eine Abwägung, ob wir diese Entwicklungen im Freien machen, oder ob wir bestehende Flächen besser ausnutzen und entwickeln, um den Eingriff in die Freiflächen so gering wie möglich zu halten. Und deswegen lassen Sie uns doch die Dinge, die wir alle eigentlich gut heißen, erstmal sehen, bevor wir uns hier in die Köppe kriegen und das vor dem Auditorium dann noch so darstellen, als seien wir ganz weit voneinander entfernt“, so Rüther. „Es ist ja nicht ausgeschlossen, dass auch in die Freifläche gegangen werden muss, um notwendige Wirtschaftsflächen zur Verfügung zu stellen. Und das sehen die Grünen genauso wie wir auch.“
Oberbürgermeister: „Kein Licht-aus-Szenario“
Oberbürgermeister Thomas Westphal erinnerte daran, dass die Analyse der Flächen schon 2020 begonnen habe, um alle Potenzialflächen in Dortmund zu prüfen. „Es gibt keine weiteren Potenzialflächen für die Wirtschaftsentwicklung, was wir sehen“, betonte er. Deshalb habe man sich auf einen langen Abstimmungsprozess eingelassen, statt übereilt zu entscheiden.

Westphal wies Vorwürfe zurück, jemand habe „Knüppel geworfen“: „Wir haben uns sehr genau mit dieser ganzen Frage beschäftigt.“ Dortmund habe alle verfügbaren Flächen „vollständig in Wiedernutzung“ gebracht – wie Phoenix-See und Westfalenhütte. „Das hat keine andere Stadt geschafft“, stellte er heraus.
Er lobte, dass auch die Grünen nun Freiraum nicht mehr grundsätzlich ausschließen würden – ein Schritt, der 2013 undenkbar gewesen wäre. „Nichts Knüppel, sondern Sachpolitik, klare Kante und nach vorne“, so Westphal. Von einer „Lichtaustheorie“ könne keine Rede sein: „Wenn wir das hier so beschließen, gehen hier nicht die Lichter aus.“ Vielmehr gehe es darum, schwierige Grundstücke weiter zu entwickeln und partnerschaftlich zu verhandeln – auch mit Eigentümern wie ThyssenKrupp oder der Thelen-Gruppe.
Am Ende folgte die Ratsmehrheit SPD und Grünen
Am Ende folgte eine Mehrheit im Rat dem gemeinsamen Antrag von SPD und Grünen: Bestandsflächen haben Vorrang – neue Flächen im Freiraum sollen nur im äußersten Fall geprüft werden. Die CDU und FDP/BÜrgerliste stimmten dagegen, „Die Linke+“, die Fraktion von „Die Partei“ und AfD lehnten die Gesamtstrategie ebenfalls ab, die Fraktion „Volt und Vielfalt“ stimmte zu.
Kern der neuen Wirtschaftsflächenstrategie ist es, vorhandene Flächen besser zu nutzen, zu verdichten und nach Möglichkeit auch interkommunal zu kooperieren. Neue Flächen im Freiraum sollen nur dann entstehen, wenn wirklich alle anderen Optionen ausgeschöpft sind – ein Grundsatz, der die Fronten im Rat deutlich gezeigt hat.
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Reaktionen
Brechtener Niederung und Wirtschaftsflächenstrategie – Stellungnahme SPD Eving (PM)
In der Sitzung des Rats der Stadt Dortmund wurde gestern die zukünftige Ausrichtung der Wirtschaftsflächenstrategie der Stadt Dortmund beraten und beschlossen. Mit dem Änderungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90 / Die Grünen wurde auch der Erhalt des Landschaftsschutzgebiets Brechtener Niederung beschlossen. Hierzu nimmt der Vorsitzende der SPD Eving Martin Schmitz Stellung:
„Ein Gewerbegebiet in der Brechtener Niederung – diese Planung ist glücklicherweise vom Tisch. Das ist ein großer Erfolg für die vielen Menschen in Brechten, die entschlossen für den Erhalt ihrer Niederung gekämpft haben und dafür immer wieder auf die Straße und vor das Rathaus zogen. Wir freuen uns, dass der Rat der Stadt Dortmund sich für eine nachhaltige Stadt- und Wirtschaftsentwicklung entschieden hat und damit auch die unterschiedlichen Interessen von Wirtschaft, Naturschutz, Landwirtschaft und der Dortmunder Bevölkerung abgewogen hat.
Für uns ist das gelebte und lebendige Demokratie. Viele Menschen in Brechten haben gespürt, dass sie aktiv etwas bewegen können, wenn sie sich einbringen. Die SPD Eving hat diesen Prozess vor über einem Jahr mit einer Bürgerversammlung in der St. Antonius-Kirche in Brechten ins Rollen gebracht. Der Einladung folgten damals über 400 Menschen. Trotz vieler Widerstände sind wir als SPD-Ortsverein standhaft geblieben und haben am Ende erfolgreich mit den Menschen und vielen Akteuren aus dem Stadtteil und der Stadtgesellschaft diesen tollen Erfolg erzielen können. Das gilt es nun zu feiern.“