
Prof. Dr. Christoph Butterwegge, renommierter Politikwissenschaftler, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Ursachen und Folgen der zunehmenden Umverteilung von Arm zu Reich. Zu diesem Thema hat Nordstadtblogger Peter Krause mit ihm für einen weiteren Systemfehler-Podcast ein Gespräch geführt.
Bruttoinlandsprodukt und Nationaler Wohlfahrtsindex
Die Armut betrifft die Menschen in ökonomischer, sozialer und rechtlicher Hinsicht sowie bezüglich der Möglichkeiten für Selbstverwirklichung und Entwicklung. Das Thema ist sehr komplex. Die Unterscheidung von relativer und absoluter Armut ist für eine erste Übersicht sehr wichtig. Absolut arm ist ein Mensch, der seine Grundbedürfnisse nicht befriedigen kann, während relative Armut bedeutet, dass aufgrund zu geringer Finanzen die Teilhabe am Leben eingeschränkt ist. Butterwegge weist darauf hin, dass Armut keineswegs nur ein Problem des globalen Südens ist, sondern auch in Deutschland sehr ausgeprägt vorkommt. Zur Verdeutlichung weist er u.a. auf „eine Million Wohnungslose und 60.000 Obdachlose“ hin.
Allgemein wird die Wirtschaftsleistung in Geldwerten gemessen und im Bruttoinlandsprodukt (BIP) dargestellt. Da diese Sichtweise einseitig ist, weil sie vieles nicht berücksichtigt, wurde der Nationale Wohlfahrtsindex (NWI) entwickelt.
Beide Kennzahlen vermitteln zusammen betrachtet einen Eindruck vom ökonomischen Geschehen und dessen Einfluss auf das Leben und Zusammenleben der Menschen. Betrachtet man die Kennzahlen für die vergangenen Jahrzehnte, fällt auf, dass sich BIP und NWI ab 1990 bis zum Jahr 2000 parallel entwickeln. Danach steigt das BIP, während der NWI sinkt.
Die Hauptursache dafür ist die gestiegene Einkommensungleichheit und die dadurch ausgelösten Rückgänge bei den gewichteten privaten Konsumausgaben. Mit wenig Geld kann man sich schlicht weniger leisten. „Es handelt sich nach meinem Dafürhalten um eine Entscheidung der Eliten, den Sozialstaat nicht weiter auszubauen“, sagt Butterwegge und präzisiert: „Der Kapitalismus hat versagt, nicht der Sozialstaat.“
Strukturelle Ursachen der Armut
Jeder Mensch ist daran interessiert, seine Lebensbedingungen zu verbessern. Dafür schaut man in der Regel zu denen, denen das besser gelungen ist als einem selbst. Konsum und dessen Steigerung wird als Erfolgsmerkmal verstanden und bestimmt in den hochindustrialisierten Ländern eine Lebensart – nicht selten mit erheblichen Konsequenzen.

Butterwegge weiß: „Strukturelle Einflüsse sind wesentlich für das Auseinanderfallen der Gesellschaft in Arm und Reich. Aber es werden von manchen Menschen auch mal falsche Entscheidungen getroffen. Das können dann infolge Auslöser von Armut sein.“
Während ein Viertel der Menschen in Deutschland in relativer Armut leben, gibt es eine kleine Minderheit, deren Vermögen so groß ist, dass alljährlich exorbitante Kapitalerträge anfallen.
Nicht nur diese Tatsache als solche ist problematisch, sondern auch, dass die Besteuerung zu gering ist oder gar nicht stattfindet. Die grundgesetzlich vorgesehene Vermögenssteuer beispielsweise wird seit 1997 nicht mehr erhoben. Den Ländern gehen dadurch jene Milliarden an Einnahmen verloren, die stattdessen bei den Vermögenden verbleiben.
Eintreten für Gerechtigkeit und soziales Leben
Nicola Fuchs-Schündeln, Leiterin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, hat in einem taz-Interview die Meinung vertreten, dass Wirtschaftswachstum nötig ist, um die Demokratie zu erhalten. Die Zufriedenheit der Menschen hängt sehr mit den Möglichkeiten zum Konsum zusammen.

Auch Butterwegge meint: „Ökonomische Krisen gefährden die Demokratie!“ Und hinsichtlich der aktuellen Entwicklungen konstatiert er eine Ethnisierung gesellschaftlicher Konflikte, was er als „Standortnationalismus“ bezeichnet.
Aufstieg gelingt heutzutage nicht mehr leicht, was dazu führt, dass die strukturellen Ursachen von Armut immer mehr an Bedeutung gewinnen. Im Niedriglohnsektor sieht Butterwegge das Haupteinfallstor für Armut und soziale Ausgrenzung. Ein auskömmlicher Mindestlohn ist darum dringend geboten. Würde man Löhne und auch Transferleistungen erhöhen, wäre das ein direkter Beitrag zum Ankurbeln der Wirtschaft, die vom steigenden Konsum profitiert.
Zugleich würden die Verhältnisse politisch stabilisiert. Jeder Mensch kann in seinem Umkreis, beispielsweise in Vereinen und Kirchengemeinden schließlich daran mitwirken, dass Ideen für mehr Gerechtigkeit und soziales Leben sich etablieren und verbreiten. So kann wirksam verhindert werden, dass Ungleichheiten weiter wachsen.
Hier gibt es die Audio-Version bei Letscast.fm:
letscast.fm/sites/systemfehler(…)-christoph-butterwegge
Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!
Mehr dazu auf Nordstadtblogger:
Christoph Butterwegge zu Gast in Dortmund: Ursachen und Folgen der Armut in Deutschland

