Vom Zweifel zum Nobelpreis: Prof. Stefan Hell berichtet an der TU Dortmund über seinen Weg

Wie Hell eine vermeintliche naturwissenschaftliche Grenze überwand

Blick in den Saal
Rund 700 Gäste hörten den Vortrag von Nobelpreisträger Prof. Stefan Hell, der im Audimax der TU Dortmund stattfand. Foto: Roland Baege

Im vollbesetzten Audimax der TU Dortmund sprach Nobelpreisträger Prof. Stefan Hell nun über seinen ungewöhnlichen wissenschaftlichen Werdegang. 2014 hat Hell den Nobelpreis für Chemie für die optische STED-Mikroskopie erhalten, mit der es gelang, die bisherige Auflösungsgrenze optischer Mikroskope radikal zu unterlaufen. Rund 700 Gäste, darunter NRW-Wissenschaftsministerin Ina Brandes, verfolgten seine Schilderungen, wie er trotz großer Zweifel aus der Fachwelt an seiner Idee festhielt. Der Vortrag fand in der Reihe „Initialzündung“ statt.

Von Rumänien nach Deutschland – frühe Schritte in die Wissenschaft

Die Karriere von Prof. Stefan Hell erinnere an einen Hollywood-Blockbuster, sagte Ina Brandes zu Beginn der Veranstaltung. Seine Geschichte zeige, dass man mit dem Glauben an sich selbst, mit Exzellenz, Hartnäckigkeit und Durchhaltevermögen aller Widrigkeiten zum Trotz einen Riesenerfolg erzielen könne. Im anschließenden Vortrag schilderte der Nobelpreisträger lebhaft, welche Hindernisse er auf dem Weg zu seinem wissenschaftlichen Durchbruch überwinden musste und was ihn dabei antrieb.

Gruppenbild mit Redner, TU-Rektor, Ministerin und Wilo-Vertreter
Prof. Stefan Hell (2.v.l.) wurde von TU-Rektor Prof. Manfred Bayer, Ministerin Ina Brandes und David Höltgen von der Wilo-Foundation (v.l.n.r.) begrüßt. Foto: Roland Baege

Stefan Hell wuchs in Rumänien auf und besuchte in einem Dorf nördlich von Arad die deutsche Schule. Seine Familie gehörte einer deutschsprachigen Minderheit an und zog Ende der 1970er-Jahre in die Bundesrepublik Deutschland. In Ludwigshafen machte Hell sein Abitur und studierte anschließend Physik in Heidelberg.

„Ich war schon damals daran interessiert, etwas Fundamentales zu machen, und wollte eigentlich Theoretiker werden“, erzählte Hell. Doch Kommilitonen aus höheren Semestern hätten ihn gewarnt, dass er damit keine Arbeit finden würde. „Als meine Mutter krank wurde und mein Vater kurz vor der Arbeitslosigkeit stand, war mir klar: Ich muss etwas machen, das mir meine Existenz sichert.“

Der Impuls, die Auflösungsgrenze zu überwinden

Während seiner Promotion beschäftigte sich der junge Wissenschaftler zunächst mit der Entwicklung von Mikroskopen für verschiedene Anwendungen. „Das war physikalisch nicht sehr tiefgründig, sondern die Physik des 19. Jahrhunderts und super langweilig“, erinnerte sich der heute 62-Jährige.

Kurz bevor er alles hinwerfen wollte, kam ihm die Idee, dass man auch mit der „alten“ Physik etwas Neues machen könnte. Und zwar hatte der deutsche Physiker Ernst Abbe bereits 1873 gezeigt, dass sich gleichartige Strukturen, die kleiner als 200 Nanometer sind, mit einem Lichtmikroskop nicht mehr detailgenau abbilden lassen.

Genau diese naturwissenschaftliche Auflösungsgrenze wollte Hell aufbrechen: „Das hat mich bei Laune gehalten. Tagsüber habe ich gearbeitet und abends habe ich heimlich darüber nachgedacht. Laut aussprechen konnte ich das nicht. Alle hätten gedacht, dass ich spinne.“

Der Weg zur Stimulated Emission Depletion-Technologie

Nach Abschluss seiner Promotion wollte Hell seine Gedanken weiterverfolgen, hatte jedoch keine Stelle oder Förderung, in deren Rahmen er zu diesem Thema hätte forschen können. Also nutzte er 10.000 Mark, die ihm seine Großmutter gegeben hatte, um auf eigene Faust weitere Überlegungen anzustellen und ein erstes Patent anzumelden.

Stefan Hell am Podium
Chemie-Nobelpreisträger Prof. Stefan Hell war im Rahmen der Vortragsreihe „Initialzündung“ an der TU Dortmund zu Gast. Foto: Roland Baege

Schließlich fand er eine Stelle an der Universität Turku in Finnland. „Und genau dort kam mir an einem Samstagmorgen im Herbst die konkrete Idee, die mir später den Nobelpreis einbringen sollte“, sagte Hell. Seine Idee, die sogenannte STED-Technologie (Stimulated Emission Depletion), veröffentlichte er zusammen mit einem Praktikanten. Sie sollte die Grenze, die Ernst Abbe einst gezogen hatte, überwinden und Abbildungen in einer Auflösung ermöglichen, die nicht mehr durch die Wellennatur des Lichts bedingt ist.

„Naiv wie ich war, glaubte ich damals, die Fachwelt würde mich loben und mir die nötigen Mittel geben, um meine Idee in die Tat umzusetzen“, berichtete Hell. Doch drei Jahre später hatte er alles versucht, sich erfolglos bei Universitäten und Fördermittelgebern in Deutschland und in den USA vorgestellt und stand „mit 3.000 Mark und einem zerbeulten Auto da“.

Durchbruch am Max-Planck-Institut führt zu Nobelpreis

1997 sollte sich das Blatt endlich wenden, als Stefan Hell die Leitung einer selbstständigen Nachwuchsgruppe am Max-Planck-Institut (MPI) für Biophysikalische Chemie in Göttingen angeboten wurde. Dort gelang es ihm, seine STED-Mikroskopie experimentell zu realisieren und damit die Lichtmikroskopie zu revolutionieren.

Schließlich wurde er MPI-Direktor und mit Rufen auf Professuren überhäuft. 2012 gründete er mit „abberior“ eine Firma, die die hochauflösenden Mikroskope kommerziell herstellt und die heute ihren Hauptsitz mitten auf dem Göttinger Campus hat.

Für seine Arbeiten auf dem Gebiet der ultrahochauflösenden Fluoreszenzmikroskopie erhielt Stefan Hell im Jahr 2014 gemeinsam mit Eric Betzig und William E. Moerner den Chemie-Nobelpreis. Zu diesem Zeitpunkt konnte man mit der STED-Technologie eine Auflösung von 20 Nanometern erreichen. Mittlerweile arbeitet das Team um Prof. Stefan Hell an der Auflösung in Molekülgröße von einem Nanometer.

Die Reihe „Initialzündung“ erinnert an Alfred Nobel

Der schwedische Chemiker Alfred Nobel, Erfinder des Dynamits und Stifter des Nobelpreises, experimentierte in den 1860er-Jahren unter anderem in Dortmund-Dorstfeld auf der dortigen Zeche Dorstfeld mit Sprengstoff im Bergbau. Um Nitroglyzerin mit größerer Sicherheit sprengen zu können, entwickelte er 1863 die sogenannte Initialzündung.

In Anlehnung an diese Experimentierphase Nobels in Dortmund trägt die von der Wilo-Foundation unterstützte Vortragsreihe den Titel „Initialzündung“. Zu Gast waren bisher Prof. Frances Arnold (Nobelpreis für Chemie 2018), Prof. Erwin Neher (Nobelpreis für Medizin 1991), Prof. Benjamin List (Nobelpreis für Chemie 2021), Prof. Reinhard Genzel (Nobelpreis für Physik 2020), Dr. Irina Scherbakowa (Friedensnobelpreis 2022 für die Menschenrechtsorganisation Memorial) und Prof. Klaus von Klitzing (Nobelpreis für Physik 1985).

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