
Eine ganz besondere Schnecke erobert langsam aber sicher das Ruhrgebiet. Die „Grand Snail Tour“ von Urbane Künste Ruhr wandert in alle 53 Ruhrgebietsstädte: sie bringt Kunst mit und Menschen zusammen. Vom 3. bis 5. Juli macht die Schnecken-Tour Station in Dortmund, mitten auf dem Nordmarkt. Das Festival-Motto: Wertschätzen.
Das Festival will eine vielfältige, gemeinsame Zukunft feiern.
Britta Peters, künstlerische Leiterin von Urbane Künste Ruhr, hat die Tour mit ihrem Team konzipiert. Seit Oktober 2024 sind sie bereits unterwegs und bringen Kunst, Kultur und Aktionen an ungewöhnliche Orte, direkt zu den Menschen. „Meistens sind wir in der Innenstadt“, so Peters, doch die Orte sind abhängig von den Wünschen und Ideen der lokalen Partner:innen: „Mal sind wir vor einem Buchladen, mal ist es eine Tanzschule, mal ein Kunstverein.“

In Dortmund ist die Entscheidung für den Nordmarkt gefallen. Anlass war die geplante Errichtung eines Denkmals für sogenannte Gastarbeiter:innen durch die Stadt Dortmund.
Viele Aspekte, die rund um das Denkmal verhandelt werden, decken sich mit den Fragen die sich auch Urbane Künste Ruhr stellt: Wem gehört der öffentliche Raum? Wer spricht und wird gehört, wer wird gesehen, wer übersehen? Doch während das Denkmal in der Innenstadt eher repräsentative Aufgaben erfüllt, will das Festival eine vielfältige, gemeinsame Zukunft feiern.
Minigolf, Teezeremonie, Theater und Skulpturen, die lästern können
Wie alle Schnecken hat auch diese immer ihr Häuschen dabei und darin zum Beispiel die „Local Blackout“-Gedichte von Lütfiye Güzel, die auf der poetischen Auswertung des aktuellen Lokalteils der Tageszeitung basieren oder die mobile Minigolfanlage „Sonne Art Minigolf“ von SOWATORINI Landschaft. Andere Arbeiten sind ortsspezifisch und nur in Dortmund zu sehen. ___STEADY_PAYWALL___

Die Performance „Worte an den Ohren, an der Haut, an der Zelle“ von Havîn Al-Sîndy ist so eine besondere Arbeit. Sie entstand in Kooperation mit Schüler:innen der Dortmunder Anne-Frank-Gesamtschule und befasst sich mit KI-gesteuerten Skulpturen, die das Lästern erlernen. Zu erleben am 3., 4. und 5. Juli jeweils ab 16 Uhr.
Der Hamburger Autor Nail Doğan war ebenfalls vor Ort. Er hat seine Eindrücke vom Nordmarkt im Theaterstück „Aufzeichnungen aus einer Pralinenschachtel“ verarbeitet. Zu sehen am 3. Juli ab 20 Uhr und an den anderen Tagen mit dem eigenen Smartphone als Hörstück und Audiowalk erlebbar.
Und auch das Museum Ostwall hat sich etwas für den Nordmarkt ausgedacht: Passend zur aktuellen Museumsausstellung „Am Tisch. Essen und Trinken in der zeitgenössischen Kunst“ wird es am Freitag, den 4. Juli, um 17:30 Uhr eine Teezeremonie-Performance von Iden Sungyoung Kim, Yon Natalie Mik und Minh Đức Phạm geben.
Ebenfalls vor Ort: Das Taranta Babu mit einem Büchertisch und die Choristinnen des Migrantinnenvereins Dortmund unter Leitung von Kemal Dinç.
„Hier ist ja nicht immer nur Elend, sondern soziale Arbeit ist auch eine Chance“
Neben dem Kunsterlebnis spielen Gespräche und Diskussionen eine wichtige Rolle für das Festival. Aus Berlin kommt der „Kiosk der Solidarität“ auf den Nordmarkt. Er wurde von Moritz Ahlert mit Studierenden des Bereichs Architektur und Urban Design an der TU Berlin entwickelt und soll „Solidarität zeigen und ermöglichen“, erklärt Ahlert.

Forderungen formulieren, Informationen teilen, Protest oder Workshops organisieren – was gebraucht wird und wie der Kiosk aussieht, ist abhängig vom Bedarf der Initiative, die ihn nutzt. In Dortmund sind das die Frauen von KOBER – der Beratungsstelle für Sexarbeiterinnen und Frauen in prekären Lebenssituationen.
Seit 2016 arbeitet der Verein in einem Hinterhof nahe dem Nordmarkt und der Bedarf ist ständig gewachsen: „Wir brauchen dringend neue Räume“, fordert Tamara Degenhardt, Fachbereichsleiterin bei KOBER. Vielleicht gelingt es mit Hilfe des Kiosk-Teams darauf aufmerksam zu machen und Spenden zu sammeln?
Degenhardt freut sich, dass die Frauen sich hier überhaupt einmal als Teil der Nordstadt präsentieren können. „Das Projekt ist ein schöner Anstoß die Frauen mitzunehmen und etwas zusammen zu gestalten. Hier ist ja nicht immer nur Elend, sondern soziale Arbeit ist auch eine Chance. Wir haben viele positive Erlebnisse und so tolle Frauen – das wollen wir auch zeigen.“
Satire-Talk „Pentagon“ als Open-Air Ausgabe mitten auf dem Platz
Sichtbarkeit, Wertschätzung – mit und durch die Künstler:innen sollen letztendlich auch Veränderungen angestoßen werden. Aber der Nordmarkt als Kunstort? Ipek Gençtürk hat da keine Bedenken, im Gegenteil. Sie ist Kunstvermittlerin und Netzwerkmanagerin im Team von Urbane Künste und kennt das Ruhrgebiet und Gastarbeiter:innen-Geschichte aus dem Familienkontext.

„Der Nordmarkt wurde uns vorgeschlagen, wir haben ihn dann an einem Markttag besucht und waren begeistert. Er ist grün, lebendig, das Djelem Djelem-Festival findet hier statt – wir fanden, das passt“, so Gençtürk.
Sogar das beliebte Talk-Format „Pentagon“ aus dem Keuning.haus wird für ein „Spezial“ auf den Nordmarkt ziehen und erstmals Open Air stattfinden. Am Sonntag, 5. Juli, ab 20 Uhr diskutieren dann Ferda Ataman, Prof. Carlo Masala, Juan Moreno und Alexandra Stanić mit Bestseller-Autor und Professor Aladin El-Mafaalani über das geplante Denkmal für Gastarbeiter:innen.
„Wir unterstützen uns gegenseitig in der Vermittlungsarbeit. Wir bringen die Kunst mit – die Dortmunder Szene sorgt für den Diskurs“, erklärt Gençtürk. Es geht ihr um Zusammenarbeit, nicht um Konkurrenz und das Publikum soll sich mischen. Sie weiß, „manch einer fühlt sich vielleicht nicht wohl auf Nordmarkt, aber andere fühlen sich eben nicht wohl in einem Theatersaal oder im Museum.“ Kunst im öffentlichen Raum zu präsentieren sei nicht immer einfach, „aber das sei ja auch der Reiz. „Wer wird kommen?“ fragt Gençtürk. Hoffentlich viele. Der Eintritt ist jedenfalls an allen Tagen frei.
Weitere Informationen
- Eröffnung am 3. Juli um 15:30 Uhr mit Britta Peters, Künstlerische Leitung Urbane Künste Ruhr; Dr. Stefan Mühlhofer, Geschäftsführender Direktor der Kulturbetriebe Dortmund; Dr. Jacques Heinrich Toussaint, Leitung Ressort Kunst im Öffentlichen Raum Stadt Dortmund; Ayşe Kalmaz, Vermittlungsprogramm Denkmal für Gastarbeiter*innen; Levent Arslan, Direktor Dietrich-Keuning-Haus; İpek Gençtürk, Kunstvermittlung Urbane Künste Ruhr
- Donnerstag bis Samstag, 3.-5. Juli 2025, jeweils 15:30 – 22:00 Uhr. Nordmarkt, 44145 Dortmund
- Das ganze Programm auf der Website von Urbane Künste Ruhr
Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!
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