„Fischtage“: Autorin Charlotte Brandi im Gespräch über innere Stimmen, Heimat und Schreibprozesse

Ein Roman über eine rebellische Jugendliche in Dortmund

Charlotte Brandi ist Musikerin und Autorin. Foto: Helen Sobiralski

Charlotte Brandi ist eine Dortmunder Musikerin, Kolumnistin und seit einigen Monaten Buchautorin. Ihr Roman „Fischtage“ spielt in Dortmund. Im Gespräch erzählt sie, wie aus einer ambivalenten Beziehung zu ihrer Heimatstadt ein Roman entstanden ist.

Charlotte, du hast eine sehr lange Zeit in Berlin gelebt und bist vor einem Jahr in deine Heimatstadt Dortmund zurückgekehrt. Wie kam es dazu?

Ich glaube daran, dass die Dinge des Lebens mit einer inneren Sanduhr ausgestattet sind. Berlin war wichtig für mich, um mit meiner damaligen Band Fuß zu fassen, deswegen bin ich dorthin gezogen. Aber nach dreizehn Jahren haben sich die Gründe dort zu leben für mich erschöpft. Parallel zu dieser Erkenntnis bin ich in letzter Zeit häufiger in Dortmund gewesen und habe begonnen, die Stadt mit anderen Augen zu sehen. Das Dortmund meiner Kindheit und Jugend steckt irgendwie noch zwischen den Häusermauern, hat sich teilweise aber längst woanders hinbewegt. Das fand ich sowohl niedrigschwellig als auch spannend als nächsten Wohnort.

Wie war es für Dich nach Dortmund zurückzukommen? Erinnerst Du dich noch an deine Gedanken auf der Fahrt zurück ins Ruhrgebiet?

An die Gedanken konkret erinnere ich mich nicht, wie gesagt, ich war ja regelmäßig in Dortmund, noch bevor ich zurückgezogen bin. Aber ich hatte schon viele verschiedene Annahmen über die Stadt, die in wirklich alle Richtungen, positiv wie negativ, gingen. Für mich ist Dortmund ein ziemliches Gegenprogramm zu Berlin, weil Dortmund sich, nachvollziehbarerweise, von einer Art Arbeitslager hin zu einer mediokren Mittelschichtsstadt gemausert hat, die nicht durch ihren politisch visionären Geist besticht, sondern in vielerlei Hinsicht pragmatisch aufgebaut ist.

Das fängt schon bei der Uni an, die ja eine technische Universität ist und den Schwerpunkt nicht gerade auf Geisteswissenschaften, sondern auf Technik und Naturwissenschaften gelegt hat. Schöngeistigkeit ist hier weiterhin eher schwierig unter die Leute zu bringen, auch wenn zum Beispiel mit dem Konzerthaus ein, wie ich finde, richtiger Coup gelungen ist. Nicht zu vergessen die linke Arbeit, die in Dortmund passiert und über die außerhalb der Stadt niemand spricht. Für viele Linke in Berlin ist Dortmund weiterhin „eine Nazi-Stadt“. Das Klischee überlebt leider die Realität um Jahre.

Wo kam die Idee für dein Buch her? Bist Du eines morgens einfach aufgestanden und hast Dir gedacht, „so, ich schreibe jetzt einen Roman“?

Haha, nein, so war es nicht. Ich habe 2015 begonnen, eine Stimme einzufangen, die in mir gewütet hat. Im Grunde war es ein sechzehnjähriges Mädchen, das an seiner Wut auf Dortmund fast erstickt ist. Der größte Teil davon hat es aber leider aus Zeit- und Strukturgründen nicht ins Buch geschafft…

Kam zuerst die Idee, dann das Thema und dann die Recherche?

Rocko Schamoni hat mir freundlicherweise vor zwei Jahren seine Kolumne im Rolling Stone Magazin überlassen. Daraufhin hat mich mein Redakteur Maik Brüggemeyer an einen Literaturagenten verwiesen. Der hat mich angeschrieben und mich gefragt, ob ich zufälligerweise einen Roman in der Schublade hätte und ich meinte, ich hätte da ein wütendes Mädchen, ob er das mal lesen wolle? 24 Stunden später hatte ich ein Angebot von Par X Ullstein auf dem Tisch.

Wann hast Du beschlossen, dass das Buch in Dortmund spielen soll? Und wieso?

Ich habe das irgendwie nicht selbst beschlossen, das hat Ella schon im Jahr 2015 beschlossen. Als sie als Stimme zu mir kam, war die Sache einfach sofort klar. Es ging explizit um diese Stadt und darum, wie erstickend es als Jugendliche sein kann, hier aufzuwachsen, vor allem, wenn man selbst künstlerisch begabt ist. Dafür existierte (zumindest zu meiner Zeit) in Dortmund nicht wirklich ein Verständnis. Wenn wenige Künstler:innen in einer Stadt leben, gibt es auch wenig Chance auf hohes Niveau, an dem ein junger Mensch sich orientieren kann, ist ja klar. Je mehr, desto besser.

Wie hast Du in Dortmund recherchiert?

Fischtage ist Charlotte Brandis erster Roman. Cover: Charlotte Brandi

Im Buch kamen ursprünglich wie gesagt noch ganz andere Sachen vor, die alle rausgeflogen sind und mich heute noch traurig machen. Ein kompletter Erzählstrang über einen SEK-Beamten hat es nicht durch das Lektorat geschafft.

Dafür hatte ich ausführlich mit zwei ehemaligen Polizisten gesprochen, stundenlange Telefonate darüber, wie die Polizei von innen aussieht, alles umsonst. Des weiteren hat Ella in der Urfassung noch psychedelische Abenteuer erlebt, unter anderem im Bunker unter der Stadt, wo sie mit dem Fisch zusammen durch einen offenen Gullidecken hineinfällt, dafür musste ich mich auch in die Materie einlesen, was es damit auf sich hat.

Es war im Ganzen sehr viel Arbeit, aber ich habe mich bemüht, nicht allzu sachlich zu sein, sondern eher eine emotionale Wahrheit zu formulieren als eine strenge Faktenwahrheit. Dortmund hat es verdient ein bisschen auf den Arm genommen und verdreht zu werden, finde ich.

Wie war der Schreibprozess für Dich?

Der Prozess des Schreibens war extrem fordernd. Ich habe mein Leben damit verbracht, Musik zu schreiben und mich in diesem Feld zu verbessern. Ich war auch nicht eins der Mädchen, die in der Schule gerne Aufsätze geschrieben hat und ein besonderes Faible für Geschichten hatte. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dass das so war.

Von daher musste ich mir in den kümmerlichen sechs Monaten, die der Verlag mir gab, zunächst mal von der Pike auf alles selber beibringen. Habe Sekundärliteratur gelesen und parallel jeden Tag diszipliniert stundenlang geschrieben. Geschrieben, gelesen, wieder verworfen. Es war wirklich eine Plackerei. Gottseidank hat mein Vater, der lange als Drehbuchautor gearbeitet hat, mir durch die Stoßzeiten geholfen.

Worum geht es in deinem Buch?

Im Grunde geht es darum einsam zu sein, weil man selbst eine Art „Edward mit den Scherenhänden“ ist, also unabsichtlich seine Umwelt verletzt und dass am Ende Kunst das Einzige ist, was einen mit sich selbst versöhnt.

Kannst Du dich selbst mit der rebellischen Protagonistin identifizieren?

Ja, sehr. Aber Ella ist noch ein bisschen anders als ich. Sie ist viel abgeklärter, taffer und reifer als ich mit sechzehn war. Ich glaube, ich war viel fühliger und weniger selbstbewusst.

Hast Du Blut geleckt? Hast Du vor, weitere Bücher zu schreiben?

Absolut. Auch wenn der Prozess selbst echt streckenweise die Hölle ist, weil es einfach so, so, so viel Arbeit bedeutet. Oder wie Papa sagt: „Beim Schreiben gibt’s nichts umsonst…“

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