
Gleich zweimal Neues gibt es im Dortmunder U: Die Sonderausstellung „Am Tisch“ zeigt, wie Künstler:innen Essen und Trinken in der Kunst zum Thema machen. Gleichzeitig können Besucher:innen im Galeriebereich der Ebene 6 einen Blick hinter die Kulissen des Museums Ostwall werfen. Das internationale Forschungsprojekt „Wohin gehen all diese Leute? Medienkunst restaurieren – installieren – erfahren“ untersucht das Kunstwerk. Beides ist bis zum 20. Juli 2025 zu sehen.
Dortmunder:innen laden zum Essen ein
Das New Yorker Künstler:innenpaar Alina Bliumis und Jeff Bliumis ließ sich von Dortmunder:innen für ihr Projekt „A Painting For A Family Dinner“ zum Abendessen einladen. Sie annoncierten in der Zeitung und verteilten Postkarten, auf denen sie ein Bild für eine Einladung zum Essen anboten. Damit spielen sie mit dem Vorurteil „brotlose Kunst“ und setzen zugleich ihre Kunst direkt als Zahlungsmittel ein.

Alina Bliumis und Jeff Bliumis: „Während unserer Zeit waren wir elfmal zum Abendessen bei Familien, WGs und deren Freund:innen eingeladen. Wir haben viel über die Stadt und ihre Kultur durch die unterschiedlichen Perspektiven der Gastgeber:innen gelernt, und genau deshalb ist unsere Beziehung zu Dortmund so persönlich. Das Dortmunder Kapitel von „A Painting For A Family Dinner“ wird immer Teil unserer gemeinsamen Erinnerungen bleiben.“
Die entstandenen Fotografien aus den Dortmunder Haushalten sind in der Ausstellung zu sehen. Zur Ausstellung erscheint im Verlag Kettler außerdem eine Publikation mit allen bisherigen Stationen des Projekts (Preis: 25 Euro).

Die Künstlerin Narges Mohammadi hat für ihre Arbeit „Passing Traces“ gemeinsam mit Menschen aus Dortmund 700 Kilogramm der Süßspeise Halva hergestellt und damit Wände tapeziert. Narges Mohammadi: „In diesem Werk sind die Spuren vieler Hände zu sehen – starke Hände, die Mehl, Butter, Sirup und Kardamom zu 700 Kilogramm Halva verrührten.“
„In dem engen, aus Halva geformten Raum, der an ein karges Schlafzimmer erinnert, bleibt das Echo dieser gemeinsamen Arbeit, das langsam verblasst und doch unvergesslich ist.“
„Am Tisch“ zeigt Kunst und Kulinarik
Die Ausstellung gibt einen Einblick in die kulinarische Welt der Kunst: Bei Familienfeiern, religiösen Festen oder beim ersten Date — überall auf der Welt kommen Menschen zum Essen und Trinken zusammen. Die Sonderausstellung „Am Tisch“ des Museum Ostwall im Dortmunder U zeigt Arbeiten zeitgenössischer Künstler:innen, die gemeinschaftliche Aspekte der gemeinsamen Mahlzeit in den Blick nehmen.

Bei den Kölner Künstler:innen Marie Donike und Johannes Specks zum Beispiel dreht sich alles um die Kneipe als sozialer Ort: Ihre Skulptur „Kulisse“ verwandelt sich an ausgewählten Tagen in einen Tresen der besonderen Art.
Die Berliner Künstlerin Iden Sungyoung Kim lässt in Interviews die Kinder koreanischer und vietnamesischer Gastarbeiter:innen ihre Geschichte erzählen. Besucher:innen können diesen bei einer Tasse Tee in gemütlicher Wohnzimmeratmosphäre lauschen.
Gegenüber zeigt die Arbeit von der ukrainischen Künstlerin Zhanna Kadyrovas täuschend echt wirkende Brote aus Stein. Der Titel „Palianytsia“ verdeutlicht, wie alltägliches Essen in Kriegszeiten eine kulturelle Identität schaffen kann. Denn an der Aussprache von „Palianytsia“, also „Weißbrot“, ist deutlich zu erkennen, ob jemand ursprünglich russisch oder ukrainisch spricht.

Auch die Arbeit von Mona Hatoum ist durchaus politisch. Die überdimensionierte Küchenreibe „Paravent“ soll daran erinnern, dass Haus- und Sorgearbeit noch immer zum Großteil von Frauen verrichtet wird. Denn die Muster in der riesigen Reibe erinnern an arabische Muster in Fensterläden, hinter denen die Frauen oft unsichtbar bleiben.
In der interaktiven Installation „archipelago in sauce“ der Klasse Marianna Castillo Deball der Kunstakademie Münster können Besucher:innen eine raumgreifende Landschaft aus Tischen erkunden und Geschichten über das gemeinsame Kochen erfahren.
Seltener Einblick: Wie wird ein Medienkunstwerk restauriert?
Die Installation „Wohin gehen all diese Leute?“ der Künstlergruppe Studio Azzurro gehört zu den wichtigsten sogenannten „ambienti sensibili“ der Gruppe – das sind raumübergreifende Werke, die durch unsichtbare Technik auf das Verhalten von Besucher:innen reagieren. Das Werk wurde 2000 für die Medienkunstausstellung vision:ruhr in der Zeche Zollern in Dortmund geschaffen. Seitdem befindet es sich in der Sammlung des Museum Ostwall.
Die schnell voranschreitende technische Entwicklung stellt das Museum vor Herausforderungen, denn es hat die Aufgabe, Kunstwerke für die nächsten Generationen nicht nur zu erhalten, sondern auch erfahrbar zu machen. Aus diesem Grund wird das Kunstwerk nun im interdisziplinären Forschungsprojekts „Legacies of Artists’ Studios: Sharing and Archiving Embodied Knowledge for the Conservation of Technology-Based Artworks“ probeweise aufgebaut und untersucht. Die Besucher:innen des Dortmunder U können dabei einen Blick in das Forschungssetting werfen.
„Die Arbeit im Hintergrund bleibt meist unsichtbar“
„Neben dem Sammeln und Ausstellen ist das Forschen ein essenzieller Teil unserer Museumsarbeit. Das Projekt „Wohin gehen all diese Leute“ gibt uns die Möglichkeit, gemeinsam mit internationalen Partner:innen eine unserer wichtigsten Medienkunstarbeiten genauer zu erforschen und für zukünftige Präsentationen zu erhalten. Die Ausstellung und das Forschungsprojekt spiegeln auf unterschiedliche Art die Arbeitsweise unseres Hauses wieder“, erklärt Regina Selter, Direktorin des Museum Ostwall.

Dr. Nicole Grothe, Leiterin der Sammlung des Museum Ostwall, hebt die Bedeutung des Projekts für die Arbeit des Museums hervor: „In der Regel bekommen Besucher:innen nur die abschließenden Ergebnisse von Museumsarbeit zu sehen: eine Ausstellung oder eine Veranstaltung. Die Arbeit im Hintergrund bleibt meist unsichtbar, ist aber eine notwendige Voraussetzung dafür, dass wir die Kunstwerke der Öffentlichkeit zeigen können.“
Das Forschungsprojekt nimmt unter anderem folgende Fragen in den Fokus:Funktionieren die originalen technischen Werkkomponenten und die Programmierung noch? Und wenn ja: Wie lassen sie sich erhalten? Oder müssen technische Bestandteile aktualisiert und in das Kunstwerk integriert werden? Wie kann das Werk an neue Raumsituationen angepasst werden? Wie unterscheidet sich das Erlebnis des Kunstwerks im Jahr 2000 von seiner heutigen Wahrnehmung? Müssen sich verändernde Sehgewohnheiten des Publikums bei künftigen Präsentationen berücksichtigt werden? Und welche inhaltliche Erzählung muss dabei bewahrt werden?
Besucherinnen können Teil des Forschungsprojekts werden
Ziel der Forscher:innen ist es, Strategien für den Erhalt und zukünftige Präsentationen des Werks zu entwickeln. Mögliche Wissenslücken sollen durch die Testinstallation geschlossen, dokumentiert und verständlich an zukünftige Generationen weitergegeben werden. Die Forschungsergebnisse werden in einem angrenzenden Raum nach und nach öffentlich zugänglich gemacht. Neben Informationen zum Kunstwerk, einer Videoaufnahme seiner ersten Ausstellung und einer Skizze der Künstlergruppe zeigt ein Zeitstrahl verschiedene Präsentationen des Werkes.
Prof. Dr. Gunnar Heydenreich, Cologne Institute of Conservation Sciences, TH Köln, gehört zu den Initiatoren des Forschungsprojekts, das auch Erkenntnisse für den Umgang mit ähnlichen Kunstwerken liefern soll: „Die Präsentation von „Wohin gehen all diese Leute?“ erfordert die Zusammenarbeit des Künstlerateliers und zahlreicher Spezialist*innen unter anderem aus den Bereichen Logistik, Medientechnik, Programmierung, Restaurierung, Kunstgeschichte und Ausstellungstechnik. In dieser Fallstudie untersuchen wir verschiedene Ansätze zur Speicherung und Weitergabe des nötigen Fachwissens sowie der praktischen Fähigkeiten, um Strategien für den Erhalt vergleichbar komplexer Werke weiterzuentwickeln.“
Die Besucher:innen des Museum Ostwall sind eingeladen, Teil des Forschungsprojekts zu werden: Das Team der MO_Bildung und Kunstvermittlung sammelt persönliche Gedanken und Assoziationen zum Kunstwerk und stellt diese in einem angrenzenden Arbeitsraum aus. Hier sind auch die Ergebnisse von MO_Kunstkursen oder Beiträge von Teilnehmer:innen von Ausstellungsgesprächen zu sehen, die sich mit dem Kunstwerk von Studio Azzurro beschäftigen.
Mehr Informationen:
- Der Eintrittspreis zu der Ausstellung „Am Tisch“ beträgt 5 Euro regulär und 3 Euro ermäßigt. Weiteres gibt es unter: dortmunder-u.de/am-tisch.
- Der Eintritt zum Forschungsraum ist frei. Mehr zu dem Medienkunstprojekt von Studio Azzurro „Wohin gehen all diese Leute?“ Gibt es unter: dortmunder-u.de/studio-azzurro.
- Die Öffnungszeiten vom Museum Ostwall im Dortmunder U (Leonie-Reygers-Terrasse, 44137 Dortmund) sind: Dienstag, Mittwoch, Samstag, Sonntag und an Feiertagen von 11 bis 18 Uhr sowie Donnertag und Freitag von 11 bis 20 Uhr.