25 weitere Stolpersteine erinnern an jüdische Opfer des Nationalsozialismus in Dortmund

Gegen das Vergessen und für immer im Stadtbild verankert:

Stolperstein wird von dem Dortmunder Tiefbau in den Gehweg versetzt
Ein Auszubildender des Dortmunder Tiefbaus setzt einen Stolperstein in den Gehweg. Foto: Victoria Borsch für Nordstadtblogger

Im Laufe diesem Novembers haben engagierte Gruppen aus Dortmund insgesamt 25 neue Stolpersteine errichtet. Damit liegt die Zahl der Stolpersteine in der Stadt inzwischen bei mehr als 400. Die Messingplatten erinnern an Menschen, die die nationalsozialistischen Behörden verfolgten, vertrieben oder ermordeten. Sie liegen vor den letzten frei gewählten Wohnorten der Opfer und tragen deren Namen sowie ihre Lebensdaten.

Jugendliche und städtische Mitarbeitende unterstützen die Verlegungen

Die Stolpersteine gehören zum europaweiten Kunst- und Erinnerungsprojekt des Künstlers Gunter Demnig, das 2005 in Dortmund begann. Sein Anliegen ist, Geschichte soll dort sichtbar bleiben, wo sie sich abspielte, mitten im Alltag.

Schüler des Karl-Schiller-Berufskollegs bei der Verlegung Versamelt
Schüler:innen des Karl-Schiller-Berufskollegs hatten sich für die Verlegung versammelt. Foto: Jocelyne Jakob

Mehrere Gruppen unterstützten die Verlegungen. So arbeiteten auch Auszubildende der Dortmunder Friedhöfe mit, anschließend übernahm das Tiefbauamt die logistische Begleitung. Auch der Jugendring Dortmund engagiert sich regelmäßig.

Die Verlegungen folgen immer dem Konzept von Gunter Demnig. Stolperstein-Pat:innen, also Menschen oder Institutionen, die die Kosten übernehmen und die Biografie des Opfers recherchieren, gestalten die kleinen Gedenkzeremonien selbst. Das kann eine kurze Rede, ein stilles Gedenken oder eine musikalische Begleitung sein.

Erinnerung an Familien und Einzelschicksale

Als erstes wurden Stolpersteine für Adele und Ingeborg Vogelsang an der Kaiserstraße 14 verlegt. Ingeborg wurde 1932 in Dortmund als Tochter der Schneiderin Adele Vogelsang, geborene Grüneberg und des Malers Artur Vogelsang geboren. Nach dem Tod ihres Vaters im Jahr 1941 zogen Adele und Ingeborg mehrfach innerhalb von Dortmund um. Wie viele jüdische Familien litten sie unter zunehmender Diskriminierung.

Ingeborg durfte die Schule nicht mehr besuchen, die Familie verlor ihre Existenzgrundlage. Im April 1942 wurden Adele und die zehnjährige Ingeborg nach Zamość deportiert. Ihr weiteres Schicksal ist nicht dokumentiert, jedoch gelten beide seit dem Kriegsende als verstorben.

Stolpersteine für die Familie Grüneberg
Die Stolpersteine für die Familie Grüneberg. Jocelyne Jakob

Anschließend folgten an der Beukenbergstraße 2 die Steine für die Familie Grüneberg: Hugo und Martha mit Bernhard, Fanni und Edith. Hugo Grüneberg führte gemeinsam mit seiner Frau Martha die Kolonialwarenhandlung „Selig“ in Dortmund-Hörde. Das Paar hatte drei Kinder: Bernhard, Fanni und Edith Grüneberg.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Hugo gezwungen, sein Haus zu verkaufen, während sein Betrieb 1938 zwangsweise abgemeldet wurde. Nach einer kurzen Inhaftierung in der Steinwache Dortmund floh die Familie 1939 in die Niederlande.

Das bewahrte sie nicht vor weiterer Verfolgung, da die Niederlande ebenso von Deutschland besetzt wurde. Alle fünf Familienmitglieder wurden zwischen 1942 und 1943 in verschiedene Lager deportiert und schließlich in Sobibor und Auschwitz ermordet. Die Verlegung dieser Stolpersteine geht auf ein Schüler:innenprojekt des Karl-Schiller-Berufskollegs in Kooperation mit dem Internationalen Bildungs- und Begegnungswerk (kurz IBB) zurück, die ebenso die Recherche über die Familie erbracht haben.

Ein einst angesehener Arzt konnte nie in der neuen US-Heimat arbeiten

Zwei Tage später ging es an der Rheinischen Straße 104 weiter mit drei Stolpersteinen für Martin, Lucie und Rose Ruth Goldschmidt. Martin Goldschmidt war Textilkaufmann. Die gemeinsame Tochter Rosa Ruth kam 1923 in Dortmund zur Welt. Nach der Pogromnacht 1938 wurde Martin Goldschmidt von der Gestapo verhaftet und im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Zwar kam er aus Sachsenhausen frei, aber am 30. April deportierten die Behörden die ganze Familie in das Ghetto der polnischen Stadt Zamość und ermordeten sie.

Stolperstein für Dr. Walter Fischbein
Der Stolperstein für Dr. Walter Fischbein. Foto: Victoria Borsch, für Nordstadtblogger

Später  wurde schließlich am Burgwall 15 ein Stolperstein für Dr. Walter Fischbein verlegt. Der 1893 in Dortmund geborene Arzt stammte aus einer angesehenen jüdischen Familie. Nach seinem Medizinstudium und der Promotion 1920 übernahm Walter Fischbein die Praxis seines Vaters, Dr. Friedrich Fischbein, der Sanitätsrat war und in Dortmund als angesehener Arzt und Gutachter galt.

 Doch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten verlor er 1933 seine Kassenzulassung und flüchtete mit seiner Frau Agathe und den Kindern Hanna, Toni und Hans Friedrich in die USA.

Trotz der neuen Staatsbürgerschaft konnte er dort nie wieder als Arzt arbeiten. Fischbein arbeitete jedoch am Mount Sinai Hospital in New York, nicht als Arzt mit voller Zulassung, sondern in Hilfstätigkeiten, die ihm das Überleben sicherten. 1941 erkrankte er plötzlich schwer und starb im Alter von nur 47 Jahren. Seine Angehörigen sind aus den USA, Neuseeland und Griechenland zur Verlegung angereist. Sie hielten kurze persönliche Ansprachen und dankten den Veranstalter:innen des Gedenkens.

Als polnische Staatsbürger wurden alle drei am 28. Oktober 1938 nach Zbąszyń abgeschoben

In dieser Woche folgten vier weitere Steine. Dabei wurde zuerst an die Familie Littmann mit vier Steinen erinnert. Diese wurden an der Osterholzstraße 34 verlegt. Dabei handelt es sich um Wolf Littmann der 1895 in der Stadt Kalusz geboren ist und seine Frau Sara, (geboren Rosenstrauch 1898).

Stolpersteine für die Familie Littmann
Stolpersteine für die Familie Littmann Foto: Victoria Borsch für Nordstadtblogger

Das Paar kam Mitte der 1920er Jahre nach Dortmund und führte ein Lebensmittelgeschäft an der Oesterholzstraße. Ihr Sohn Bernhard wurde 1926 geboren.

Als polnische Staatsbürger wurden alle drei am 28. Oktober 1938 aufgrund der sogenannten „Polenaktion“ nach Zbąszyń abgeschoben. Sara kehrte 1939 noch einmal kurz nach Dortmund zurück, um zurückgelassene Wertgegenstände ihrer Familie abzuholen, danach verliert sich die Spur der Familie.

Es wird davon ausgegangen, dass Wolf, Sara und Bernhard Littmann den Holocaust nicht überlebten.

Nach der Pogromnacht scheiterte die Flucht ins Exil

Anschließend folgte der Stein von Johanna Nussbaum in der Brückstraße 70. Johanna Nussbaum (geborene Oppenheimer, 1887 in Dortmund), lebte nach dem frühen Tod ihres Mannes Adolf mit ihrem Sohn Kurt im Haus ihrer Eltern. Während Kurt 1938 nach Kolumbien flüchten konnte, blieb Johanna zunächst in Deutschland.

Stolperstein für Johanna Nussbaum
Stolperstein für Johanna Nussbaum Foto: Victoria Borsch für Nordstadtblogger

Nach der Pogromnacht, in der ihre Wohnung verwüstet wurde, versuchte sie vergeblich, ihrem Sohn ins Exil zu folgen. Ab 1939/40 wurde sie mehrfach zwangsweise verlegt und musste zuletzt in sogenannten „Judenhäusern“ leben.

Am 27. Januar 1942 wurde sie in das Ghetto Riga deportiert und 1943 weiter nach Auschwitz gebracht, wo sie vermutlich gleich nach ihrer Ankunft ermordet wurde.

Erinnerung, die bleibt

Mit jedem neuen Stolperstein wächst das sichtbare Gedenken in Dortmund. Die kleinen Messingplatten sind mehr als nur Symbole, sie sind Zeichen der Menschlichkeit, des Erinnerns und der Verantwortung, die Geschichte ihrer früheren Bewohner:innen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.


Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!

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