Zwanzig Jahre gegen Rechtsextremismus – Zeichen für eine aktive Zivilgesellschaft

Der Dortmunder Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus feiert Jubiläum

Viele Gratulant:innen und Engagierte bei der Jubiläumsfeier des Arbeitskreises gegen Rechtsextremismus. Foto: Finn Wieschermann für Nordstadtblogger.de

Seit 20 Jahren engagiert sich der Dortmunder Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus (AKgR) gegen Neonazis, Hass und Hetze. Bei seinem Jubiläum am 22. November, das im Rathaus begannen wurden, blickte der AKgR auf seine Geschichte zurück und richtete den Fokus auf die aktuellen Herausforderungen durch den zunehmenden Rechtspopulismus.

Der Arbeitskreis wächst

In ihrer gemeinsamen Rede blicken die AKgR-Sprecher Friedrich Stiller, Pfarrer der Evangelischen Gemeinde in Dortmund, und Klaus Waschulewski (DGB) auf mehr als zwei Jahrzehnte Arbeit zurück. Sie würdigen das Engagement zahlreicher Dortmunder:innen, die sich teils unter persönlichem Risiko gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Hass gestellt haben. ___STEADY_PAYWALL___

Die Co-Sprecher Klaus Waschulewski und Friedrich Stiller. Fotos: Stephan Schütze

Die rechte Szene sei heute deutlich geschwächt, so Waschulewski. Der Fokus habe sich auf rechtspopulistische Strukturen verlagert, die mittlerweile auch im Dortmunder Rathaus vertreten sind.

Stiller warnt, Hass und Rassismus seien in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Er verweist auf die „Mitte“-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, wonach viele Menschen das Vertrauen in Demokratie und Institutionen verlieren.

Das dürfe nicht zur Normalisierung der AfD führen. Zugleich zeigen sich beide optimistisch: Im vergangenen Jahr traten fünf neue Organisationen dem AKgR bei, darunter die Caritas und „Omas gegen Rechts“. Der Arbeitskreis wird inzwischen von 23 Organisationen getragen.

Schweigen ist keine Option – Kalouti stellt sich hinter den AKgR

Im Anschluss ergreift der Oberbürgermeister Alexander Kalouti von der CDU das Wort. Er betont die Wichtigkeit des Arbeitskreises. Dortmund könne auf dessen Arbeit stolz sein.

Bild zeigt Oberbürgermeister Alexander Kalouti - Einzug ins Rathaus
Oberbürgermeister Alexander Kalouti Helmut Sommer für Nordstadtblogger.de

„Ihr redet nicht um den heißen Brei herum, ihr benennt Probleme, auch wenn es schwerfällt und manchen nicht passt“, macht er deutlich. Gegenüber dem Rechtsextremismus dürfe Schweigen keine Option sein.

„Ich werde immer jeder Form von Extremismus entgegentreten. Antisemitismus und Rassismus dürfen in dieser Stadt einfach nicht sein“ verspricht Kalouti. Es brauche mehr Menschen, die sich Rechtsextremismus und gesellschaftlichem Hass entgegenstellen, so der Aufruf des CDU-OB.

Vom Neonazismus zum Rechtspopulismus

Anschließend nehmen die AKgR-Mitglieder Georg Dventer, Sabine Fleitner und Stiller das Publikum mit auf eine Reise durch die Geschichte des Rechtsextremismus in Dortmund und die Entwicklung des AKgR.

In den frühen 2000er-Jahren dominierten autonome Neonazis die Szene, besonders im Stadtteil Dorstfeld. Bedrohungen und Gewalttaten gehörten zum Alltag. Dortmund wurde bundesweit als Hochburg der Rechten wahrgenommen.

Der Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus gedachte in seinem Marsch der Toten durch Rechte Gewalt. Symbolisch für die fünf Dortmunder Toten wurden fünf Särge getragen
Der Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus bei einer Demonstration. Klaus Hartmann | Nordstadtblogger

Nach mehreren schweren Taten formierte sich Widerstand: 2003 entstanden erste Bündnisse gegen Rechts, getragen von Kirchen, Gewerkschaften und Parteien. Aus dieser Vernetzung ging 2005 der Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus hervor.

Nach dem Angriff auf eine DGB-Demo am 1. Mai 2009 reagierte auch die Politik. Gemeinsam mit Polizei und Zivilgesellschaft entstand das „Dortmunder Wirkungsdreieck“, um rechte Strukturen aus dem öffentlichen Raum zurückzudrängen.

Einfluss der rechten Szene in den zehner Jahren schwindet

2012 wurde der Nationale Widerstand Dortmund verboten. Die Szene organisierte sich daraufhin in der Partei „Die Rechte“ neu. Sie zog 2014 mit einem Mandat in den Stadtrat ein. Am Wahlabend kam es zu Angriffen und Übergriffen vor dem Rathaus. Doch der Höhepunkt war damit bereits erreicht.

Rund 3000 Menschen nahmen an der Demo des Arbeitskreises gegen Rechtsextremismus teil. Foto: Alex Völkel
Rund 3000 Menschen nahmen an der Demo des Arbeitskreises gegen Rechtsextremismus gegen den Naziaufmarsch teil. Foto: Alex Völkel

Die letzte größere Mobilisierung gelang 2016. Bei der Kommunalwahl 2020 verloren die Rechten ihren Sitz wieder, viele Neonazis zogen weg oder wurden inaktiv. Mit dem Tod von Siegfried „SS-Siggi“ Borchard 2021 zerfiel die Bewegung weiter.

Der AKgR richtete seinen Fokus inzwischen auf den Rechtspopulismus. 2019 organisierte er erste Proteste gegen die AfD. Im Januar 2024 demonstrierten mehr als 30.000 Menschen gegen deren Remigrationspläne. Auch zur Europawahl folgte eine große Menschenkette durch die Dortmunder Innenstadt.

Zivilgesellschaft unter Beschuss

„Es ist dieses zivilgesellschaftliche Engagement, das die Demokratie am Leben erhält“, sagt der Rechtsextremismusforscher und Hochschulprofessor Matthias Quent. In seinem Vortrag ruft er dazu auf, nicht nachzulassen und sich weiter für Demokratie und Menschenrechte einzusetzen.

Matthias Quent, Professor an der Hochschule Magedburg-Stendal Fotos: Stephan Schütze

Mit Blick auf die hohen AfD-Umfragewerte in Ostdeutschland warnt Quent: „Ich komme aus der Zukunft.“ Wo das Vertrauen in Parteien und Institutionen schwinde, müsse die Zivilgesellschaft eingreifen und dem Rechtsextremismus entgegentreten.

Die liberale Demokratie stehe weltweit unter Druck – nicht nur in autoritären Staaten wie Russland, sondern auch in westlichen Demokratien wie den USA oder Ungarn. Quent zitiert Martin Luther King: „Die wahre Größe eines Menschen zeigt sich in Zeiten der Herausforderung und Kontroversen.“

Perspektiven für die Zukunft

„Rechtsextremismus ist die größte Bedrohung für die Ordnung der Bundesrepublik“, stellt der Dortmunder Polizeipräsident Georg Lange in einer anschließenden Podiumsdiskussion fest. Zwar sei der militante Neonazismus zurückgegangen. Gleichzeitig sinke aber die Hemmschwelle für rassistische und antisemitische Äußerungen im öffentlichen Raum.

Podiumsdiskussion mit (v.l.n.r.) Gregor Lange, Deniz Greschner und Friedhelm Evermann Foto: Finn Wieschermann für Nordstadtblogger.de

Friedhelm Evermann, Sonderbeauftragter der Stadt Dortmund, warnt: Rechtsextreme Einstellungen seien längst in der gesellschaftlichen Mitte angekommen. Besonders junge und mittelalte Männer zeigten sich offen für entsprechende Erzählungen. Ein Wandel sei nur durch Dialog und dauerhaftes Engagement möglich.

Sozialwissenschaftlerin Deniz Greschner hebt die Rolle von Frauen mit Migrationsgeschichte in antirassistischen Netzwerken hervor. Ihre Erfahrungen würden jedoch zu oft übergangen. Das führe zu zusätzlicher Ausgrenzung. Sie fordert mehr Sensibilität bei Behörden und zivilgesellschaftlichen Akteuren.

Politik muss Ergebnisse liefern

Sichtlich zufrieden blickt Stiller zuversichtlich auf die kommende Arbeit: „Wir haben eine klare Verschiebung des Schwerpunkts von den Hardcore-Nazis hin zu den Rechtspopulisten und Rechtsextremisten, die insbesondere in der AfD versammelt sind… Das ist ganz sicher das Thema der Zukunft für den Arbeitskreis.“

Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus, Bündnis gegen rechts und BlockaDO hatten zum Protest nach Hörde mobilisiert. Foto: Alex Völkel
Der Dortmunder Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus wird weitermachen. Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

In Zukunft sei es allerdings notwendig, mehr mit den Bürger:innen ins Gespräch zu kommen. Zwar hören im Rathaus mittlerweile die meisten zu, es gibt jedoch zu wenige Diskussions- und Debattenangebote in der Öffentlichkeit. „Was wir in Zukunft mehr brauchen, ist die Arbeit in die Verbände hinein. Wir müssen die Demokratieresilienz stärken“, macht er deutlich.

Gegenüber den Nordstadtbloggern betont Oberbürgermeister Kalouti, dass der Kampf gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus für ihn Priorität hätte. Entsprechend möchte er in den kommenden Jahren hier Haltung zeigen und Akzente setzen. Die Politik müsse jedoch auch selbstkritischer werden.

„Es wurde viel gemacht und trotzdem hat sich die AfD verdreifacht. Das heißt, wir müssen vielleicht überlegen, was wir anders machen können“, gibt er zu bedenken.

„Die Politik muss Ergebnisse zeigen. Sie muss klare Ergebnisse liefern und zeigen, dass sie sich um die Sorgen und Nöte der Menschen kümmert. Und genau das will ich machen“, versichert er. Er sieht für sich eine aktivere Rolle bei der Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft.

20 Jahre bunt statt braun – der Arbeitskreis gegen Rechts feierte im Rathaus Geburtstag. Foto: Stephan Schütze

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