Von Facebook-Aufträgen mit Flohmarkt-Werkzeug zum professionellen selbstständigen Elektriker 

SERIE (5): „Wir haben es geschafft“ - Mohammad Al-Hussein berichtet

Elektriker bei der Arbeit
In Dortmund begann für den gelernten Elektriker Mohammad Al Hussein der Neuanfang. Foto: Helmut Sommer für Nordstadtblogger.de

Der 42-jährige Mohammad Al-Hussein-Al Mustafa hat sich in Dortmund ein neues Leben aufgebaut. Heute arbeitet er als selbstständiger Elektriker, doch der Weg dorthin war lang und holprig. Als der Krieg 2015 in seiner Heimat Syrien eskalierte, entschloss er sich zu gehen. Seine Familie konnte ihm erst später folgen. „Zuerst flüchtete ich in die Türkei. Von dort aus fuhren wir mit einem Schlauchboot nach Griechenland. Das war sehr gefährlich. Ich habe zweimal fast 14 Stunden auf dem Meer verbracht – beim ersten Mal war das Boot defekt, wir hatten keine Hilfe, wir mussten einfach warten. Erst beim dritten Versuch erreichten wir die Insel Lesbos.“

Drei Monate zu Fuß – die gefährliche Flucht nach Europa

Von dort führte der Weg des Geflüchteten weiter über Mazedonien und Serbien. Mehrfach wurde er von der Polizei aufgegriffen und für einige Tage ins Gefängnis gebracht. „Insgesamt war ich fast drei Monate unterwegs – immer zu Fuß, oft tagelang ohne Pause. Die Polizei war oft unfreundlich, und auch viele Menschen begegneten uns abweisend.“

Elektriker bei der Arbeit
Foto: Helmut Sommer für Nordstadtblogger.de

Als Neuankömmling in Deutschland suchte er sofort den Kontakt zu den Behörden. Die Polizei schickte ihn ins große Ankunftszentrum nach Karlsruhe. „Für mich war das die schlimmste Zeit. Es war noch vor Corona, aber trotzdem hielten die Leute Abstand – nicht, weil sie Angst vor Krankheiten hatten, sondern weil wir fremd waren. Ich habe erlebt, dass Menschen mit ihrem Hund extra die Straßenseite wechselten oder den Hund losließen, um uns Angst zu machen. Das war purer Rassismus.“

Fast ein Jahr und zwei Monate verbrachte er in Karlsruhe. „Dort durften wir nichts machen – keine Schule, keine Arbeit, einfach nur warten, essen, schlafen.“ Erst als er seinen Aufenthaltsbescheid erhielt, durfte er weiterziehen. „Ich bin sofort nach Dortmund gegangen, weil ein Freund von mir schon hier lebte und eine Wohnung hatte. Zuerst habe ich bei ihm gewohnt, bis ich eine eigene Wohnung gefunden habe.“

„Respekt ist das Wichtigste“ – Eine Herangehensweise die Al Mustafa lebt

In Dortmund begann für den gelernten Elektriker der Neuanfang. Er schloss sich der Hilfsorganisation „Train of Hope“ an und half zunächst mit seinen Englischkenntnissen beim Übersetzen.

Elektriker bei der Arbeit
Mohammad Al-Hussein-Al Mustafa Foto: Helmut Sommer für Nordstadtblogger.de

„Dann fing ich an, Deutsch zu lernen – erst A1, dann B1, dann B2. Nebenbei habe ich mich für andere Geflüchtete eingesetzt: bei der Wohnungssuche, mit Kleidungsspenden, mit der Lebensmittelversorgung. Wir haben auch Projekte gemacht, als viele Ukrainerinnen und Ukrainer kamen.“ 

Dabei sei ihm eines besonders wichtig: „Egal, wo man herkommt, welche Hautfarbe oder Religion man hat – wir sind alle gleich. Respekt ist das Wichtigste.“

Erst Werkzeuge vom Flohmarkt, dann eine professionelle Ausstattung

Auch beruflich kämpfte sich der Handwerker Schritt für Schritt nach vorne. „Ich habe meinen Beruf Elektriker schon in Syrien gelernt. Als ich in Sigmaringen war, habe ich gefragt, ob ich freiwillig im Elektrobereich helfen darf. Damals wurde gerade ein neues Heim für Geflüchtete gebaut. Eine Firma arbeitete dort, und ich durfte mithelfen.“

Später meldete er in Dortmund ein eigenes Gewerbe an, obwohl er fast nichts besaß. „Am Anfang war es sehr schwer. Niemand kannte mich, meine Sprache war noch nicht gut. Ich kaufte mir ein Fahrrad für 50 Euro und ein paar Werkzeuge vom Trödelmarkt.“

Mit einem Rucksack voller Kabel und Schraubenzieher fuhr er los und bot auch auf Facebook seine Hilfe an. „Drei Monate lang habe ich so gearbeitet.“  Heute ist aus dem improvisierten Start ein professionelles Geschäft geworden: Er fährt ein eigenes Auto, hat professionelle Ausstattung und berichtet: „Es läuft gut, und ich liebe meinen Beruf.“

Zwischen 18-Stunden-Tagen und Familienleben

Sein Alltag ist geprägt von langen Arbeitstagen, aber auch vom Familienleben. „Manchmal arbeite ich 16 bis 18 Stunden, manchmal nur drei – je nach Auftrag. Als Selbstständiger ist es schwer, Zeit für die Familie zu finden. Aber seit 2017 sind meine Frau und meine Kinder hier, das gibt mir viel Kraft.“

„Deutschland ist mein zweites Zuhause. Ich hoffe, das Land bleibt stark und offen. Ich wünsche mir, dass man auch in den Medien nicht alle Flüchtlinge schlecht macht. Es gibt vielleicht einen Teufel, aber auch tausend Engel.“ Foto: Helmut Sommer für Nordstadtblogger.de

Doch der Elektriker begegnet auch in Dortmund Vorurteilen: „Viele gesellschaftliche Probleme werden mit der Wirtschaft erklärt“, findet Al Mustafa. „Wenn Menschen unzufrieden sind, suchen sie Schuldige – oft Geflüchtete. Die Preise steigen, die Löhne bleiben gleich, und dann heißt es: Die Flüchtlinge sind Schuld.“

„Ich spiele das oft runter, lache und sage: Ich bleibe auf jeden Fall hier. Deutschland ist mein zweites Zuhause. Ich hoffe, das Land bleibt stark und offen. Ich wünsche mir, dass man auch in den Medien nicht alle Flüchtlinge schlecht macht. Es gibt vielleicht einen Teufel, aber auch tausend Engel.“ 

Eine Rückkehr nach Syrien kann sich [Nachname] heute noch nicht vorstellen, doch er schließt sie für die Zukunft nicht aus: „Im Moment nicht. Aber irgendwann vielleicht. Viele Syrer leben jetzt hier – über eine Million. Viele arbeiten, sind integriert und haben ihre Familien in Syrien. Syrien wird unsere Hilfe brauchen, wenn es wieder sicher ist. Und dann kann auch Deutschland beim Wiederaufbau helfen.“

„Ja, das ist mein Land“ – das Gefühl des Ankommens

Der Moment, in dem er sich in Deutschland wirklich angekommen fühlte, ist ihm bis heute präsent. „Es war, als ich gemerkt habe, wie viele freundliche Menschen mir geholfen haben – im Heim, bei Train of Hope. Viele Deutsche haben gefragt, wie sie helfen können. Das hat mein Bild von Deutschland verändert.“

„Ich habe Vertrauen gefasst und gesagt: Ja, das ist mein Land.“ Dennoch bleibt eine gewisse Unsicherheit: „Ich habe Angst – nicht für jetzt, aber für die Zukunft. Die Gesetze, die Steuern, das Leben – alles wird schwieriger. Man weiß nicht, wie es sich entwickelt.“


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