
Zwei Stunden lang wurde im Bürgerhaus Pulsschlag über „Strategien gegen Rechts“ diskutiert. Die Integrationsagentur der AWO und die Koordinierungsstelle für Vielfalt, Toleranz und Demokratie der Stadt luden den SPD-Landtagsabgeordneten und Justizminister a.D., Thomas Kutschaty, und den Dortmunder Rechtsextremismusforscher, Prof. Dr. Dierk Borstel, ein. Während Kutschaty ein AfD-Verbot für dringend notwendig hält, steht Borstel der Debatte um ein Verbot skeptisch gegenüber. Die Moderation übernahm bodo-Redaktionsleiter und Historiker Bastian Pütter.
„Die AfD erzeugt ein spürbares Klima des Hasses“
Auf die einleitende Frage hin, welche Erfahrungen der SPD-Landtagsabgeordneter mit Rechts gemacht hat, kommt Thomas Kutschaty recht zügig auf den Politikstil der AfD zu sprechen, welche sich „wie ein roter Faden durch alle Themenbereiche zieht: Die Zuwanderung ist für die AfD Kern aller Probleme und wenn das gelöst ist, wären sämtliche Probleme in den Bereichen Wohnung, Klimaschutz und Verkehrspolitik auch erledigt“. Diese ständigen Schuldzuweisungen „sorgen generell für ein Klima des Hasses“, welches ebenfalls im Landtag für eine spürbare Verschlechterung im Miteinander gesorgt hat.

Dazu gehören auch Kommentare der AfD im Landtag, welche nur den Sinn hätten, den Diskurs zu verschieben und daher mittlerweile von anderen Parteien trotz nachweislicher Inkorrektheit ignoriert werden, außer sie betreffen die Grundsätze der Demokratie, Menschenwürde oder Rassismus.
Ziel sei es, der AfD somit „keine Bühne zu geben“. Kutschaty führt aus, dass die AfD nur eine Internetpartei sei, die jeden Redebeitrag auf ihren Kanälen teile, aber in den Fachausschüssen kaum produktiv zu erleben sei.
„Soziale Medien manipulieren anstatt zu informieren“
Genau diesen Internetaspekt greift Prof. Dr. Dierk Borstels auf und beschreibt ihn als eine große Gefahr für die Demokratie: „Ein Großteil der Menschen mit denen ich zu tun habe, informiert sich über soziale Medien. Das ist aber keine Information, sondern Manipulation“. Ähnliches beobachtet Kutschaty, der darauf hinweist, dass Texte in sozialen Medien Meinungen der Verfasser sind und keinen journalistischen Standards unterliegen.

„Wenn ich nur in meiner eigenen Blase bin und mir nur das anschaue, was der Algorithmus mir vorschlägt und nur das widergespiegelt bekomme, wofür ich vielleicht schon eine Neigung habe, dann glaube ich diese Realität irgendwann. Wir müssen wieder lernen gemeinsam zu streiten und auch untereinander zu diskutieren“, erklärt Kutschaty.
Borstel ist ähnlicher Meinung und betont, dass Demokratie nicht nur über gute Politik, sondern vor allem über Gemeinschaft funktioniert. Es brauche daher weiterhin Vereine, attraktive (Jugend-)Treffpunkte, und Kulturstätten. „Wir brauchen auch eine andere Art der Erzählung, da wir viel zu wenig darüber erzählen, was gut funktioniert. Wir erzählen viel zu wenig über Personen die mit dem Herzen leidenschaftlich tolle Dinge unternehmen.“
„Es darf keine Schnellschüsse bei Parteiverboten geben“
Zeitnah sieht es jedoch nicht danach aus, als würde der Diskurs wieder zueinander führen. Stattdessen polarisiert eine AfD mit rechtsextremen Inhalten. Ein 1.000-seitiges Gutachten des Verfassungsschutzes, welches sich gründlich mit diesen Inhalten der AfD auseinandergesetzt hat, lässt Kutschaty zu dem Entschluss kommen, dass es seine Pflicht sei, einen Antrags auf ein Parteiverbot der AfD zu stellen.

Um die Demokratie zu schützen, sei es wichtig von der Verfassung Gebrauch zu machen, fügt er hinzu. Weiter begründet er, „dass sie eindeutig gegen drei Grundprinzipien unseres Grundgesetzes verstoßen: Gegen die Menschenwürde, das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsgesetz“. Es gäbe außerdem Anhaltspunkte dafür, dass sie die freiheitlich demokratische Grundordnung beseitigen oder zumindest beeinträchtigen wollen, so Kutschaty.
Dennoch erklärt der frühere NRW Justizminister, dass es wichtig sei, „Parteien nicht einfach so verbieten zu können. Das haben wir 1933 auch sehen müssen, wie schnell Parteien verboten waren“.
Auch Borstel hält diese Hürden für wichtig: „Ich habe festgestellt, wie verbotskritisch das Bundesverfassungsgericht ist, was ich gut finde. Die Opposition sollte nicht mal eben verboten werden können, nur weil es mal unangenehm wird.“ Außerdem müssen die Folgen eines Parteiverbotes bedacht werden und der Tag danach gut vorbereitet sein, betont er.
Parteiverbote sind ein juristisches Dilemma
Doch wie kompliziert und langwierig ein solches Parteiverbot ist, wird erst bei genauerem Lesen des Art. 21 Abs. 3 des Grundgesetzes deutlich. Eine Partei ist nicht gleich verfassungswidrig, weil sie der freiheitlich demokratischen Grundordnung ablehnend gegenübersteht, sondern muss darauf abzielen, Verfassungsgüter zu beeinträchtigen oder zu gefährden und eine aktiv-kämpferische bzw. aggressive Haltung haben. Sie muss außerdem die Möglichkeit haben, ihre verfassungsfeindlichen Ziele auch tatsächlich in die Tat umsetzen zu können (Potentialität).

In genau diesem letzten Kriterium sieht Borstel ein Problem, da „niemand genau weiß, wann dieser Moment der Potentialität gegeben ist“. Er fügt außerdem hinzu, dass mittlerweile einiges dafür spricht, dass dieser Moment bereits verpasst wurde. „Zumindest, wenn wir nach Sachsen-Anhalt, oder Mecklenburg-Vorpommern schauen“, so Borstel. Dort hat die AfD teilweise eine Sperrminorität und kann zentrale politische Entscheidungen maßgeblich beeinflussen bzw. blockieren.
Vorab benötigt es noch eine Menge Selbstkritik
Trotzdem hält Borstel die Vorbereitungen auf ein mögliches AfD-Verbot noch für „ungenügend“, da es ihm in der Wissenschaft, in den Parteien und im Journalismus an selbstkritischer Debatte fehlt.

„Was bieten wir den Menschen, für die die AfD eine Kümmererpartei ist?“, hinterfragt er und beschreibt mit dem Begriff eine Art überparteiliche Funktion: In manchen Orten im Osten beschreibt sich die AfD selbst als Sprecher:in ihrer Gemeinde, und die anderen Parteien lassen ihr teilweise diese Rolle und gliedern sich ihr unter.
Auch Kutschaty kritisiert den Mangel an Selbstkritik der etablierten Parteien und weist auf den Überbietungswettbewerb vor der letzten Bundestagswahl hin, wer die meisten Abschiebungen macht. Es sei aus seiner Sicht weniger hilfreich, Themen der AfD aufzugreifen, um deren Wähler:innen abzuwerben: „Wir müssen uns als Partei eingestehen, dass wir uns nicht für jeden verbiegen können. Es gibt Wähler:innen, denen wir deutlich sagen müssen: Für euch haben wir nichts in unserem Programm“.
Eine Wirkmacht für unzufrieden Wähler:innen
Andererseits vermutet der SPD-Landtagsabgeordnete auch, dass „die Mehrheit der AfD-Wähler:innen nicht erwartet, dass es durch die AfD-Politik besser wird und sie sogar wissen, dass für Arbeitnehmer:innen keine gute Politik gemacht wird. Aber die Wähler:innen spüren plötzlich eine Wirkmacht, weil die Vertreter:innen der demokratischen Parteien auf den Tischen tanzen“.

Der Staat müsse sich stattdessen handlungsfähig zeigen, um die Menschen wieder von sich zu überzeugen, argumentiert Kutschaty. Er verweist auf die letzten Landtagswahlen von vor drei Jahren, bei der die AfD bis kurz vor Schluss um den Einzug ins Parlament zittern musste.
„Warum war das damals so? Wir haben eben nicht über Zuwanderung und solche Themen diskutiert, sondern es ging um die Coronakrise, den Krieg und die wirtschaftlichen Folgen. Und da hat der Staat Handlungsfähigkeit gezeigt und es hat sich ausgezahlt, da wir damals Vertrauen zurückgewonnen haben“.
Diskussion über AfD-Verbot sorgt für Fortschritte
Auf eine Publikumsfrage hin, ob es bereits zu spät für ein Verbot der AfD sei, antworteten beide Redner mit einem deutlichen: „Nein!“, weil es nie zu spät ist, um sich für die Demokratie einzusetzen. „Allein die Diskussion über ein AfD-Verbotsverfahren hat in einzelnen Bereichen schon zu Veränderungen geführt. Es haben sich schon Leute gegen eine Kandidatur für die AfD entschieden, weil sich mittlerweile Gedanken darüber gemacht werden, ob der eigene Name für eine solche Partei hergegeben werden sollte“, unterstreicht Kutschaty.
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