NGG-Warnstreik bei Lieferando für einen Tarifvertrag und den Erhalt von Arbeitsplätzen

Demozug durch Dortmund: „Betrieb weitestgehend lahmgelegt“

Auf dem Frontbanner steht LIEFERSTREIK
Die Streikenden und ihre Unterstützer:innen zogen am Dienstagmittag durch die Dortmunder City. Foto: Finn Tayfun Wieschermann für Nordstadtblogger

Von  Finn Tayfun Wieschermann

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) setzt sich schon seit mehr als zwei Jahren zusammen mit den Fahrer:innen des Online-Bestelldienstes „Lieferando“ für einen Tarifvertrag ein. Seit Dienstag haben sie deshalb in Dortmund mit einem 72-stündigen Warnstreik Druck auf den Konzern ausgeübt. Die Streikenden wollen einen Stundenlohn von mindestens 15 Euro, die Kompensation für entfallende Boni und den Erhalt von bundesweit rund 2.000 Arbeitsplätzen. Bisher will Lieferando nicht mit den Streikenden verhandeln.

Fehlende Gesprächsbereitschaft: Die Wut der Beschäftigten auf Lieferando groß

Mit Sprechchören, Trillerpfeifen und einer ordentlichen Portion Kampfgeist bahnt sich der Demo-Zug seinen Weg durch die Dortmunder Innenstadt. Die Demonstrierenden sind vor allem so genannte „Rider:innen“ – so die Lieferando interne Bezeichnung für Lieferfahrende – meinen es ernst und wollen endlich gehört werden. 

Die Streikenden kämpfen für den Erhalt von Arbeitsplätzen und für einen Tarifvertrag. Foto: Finn Tayfun Wieschermann für Nordstadtblogger

Da sich ihr Arbeitgeber seit nun mehr als zwei Jahren weigert, in Verhandlungen über einen Tarifvertrag einzusteigen und zusätzlich der Verlust von bundesweit bis zu 2.000 Stellen droht, ist die Wut groß. 

Der nun folgende 72-stündige Warnstreik soll endlich den Druck auf den Konzern ausüben, der offenbar notwendig ist, um zu einem Einlenken zu führen. Nach Hamburg und Frankfurt am Main erreicht die Streikwelle nun auch Dortmund.

Offenbar will „Lieferando“ seine Beschäftigten in die Scheinselbständigkeit drängen

Gestartet ist die Demonstration am Diernstag um 12 Uhr am Mittag vor dem Lieferando-Hub an der Geschwister-Scholl-Straße. Die Stimmung unter den mehr als 60 versammelten Rider:innen ist positiv  -aber ernst. Viele mögen ihren Job und wollen ihn auch in der Zukunft behalten. Der geplante Abbau von Arbeitsplätzen sorgt daher für Unverständnis und Wut. 

NGG-Gewerkschaftssekretär Samir Boudih informierte über die Planungen des Lieferdienstes. Foto: Finn Tayfun Wieschermann für Nordstadtblogger

Auch der Standort Dortmund wird von diesem Abbau betroffen sein. Bis zu 15 Stellen könnten in naher Zukunft entfallen, erklärt NGG-Gewerkschaftssekretär Samir Boudih. Ein weiterer Stellenabbau sei bis Ende des Jahres 2026 vorgesehen. Entlassene Rider:innen würden, nachdem sie ihren Job bei Lieferando verloren hätten, über eBay-Kleinanzeigen von Lieferandos „Schattenflotte“ angeworben. 

Damit sind Unternehmen gemeint, die die Lieferungen für Lieferando übernehmen. Dort könnten sie zu deutlich schlechteren Konditionen in der Scheinselbstständigkeit ihren Beruf weiter ausüben, erklärt Mark Baumeister, Gewerkschaftssekretär der NGG. 

Aus diesem Grund sei auch ein Sozialtarifvertrag notwendig, um einen fairen Interessenausgleich in Form eines Sozialplans für die Beschäftigten zu ermöglichen. Die Bundespolitik müsse endlich handeln und einen fairen Rahmen vorgeben.

Die Beschäftigten des Lieferdienstes wollen gehört werden

Vor allem, wie Lieferando mit seinen Mitarbeiter:innen umgeht, ist ein Punkt, der für Unmut sorgt. Betriebsrat Jona erzählt, dass Lieferando absolut nicht bereit sei, mit der Gewerkschaft zu verhandeln. Die Unternehmensführung sieht die Betriebsräte eher als „Problem“ und bekämpft sie seit Jahren strategisch. 

Auf dem Platz der deutschen Einheit gab es Infostände, um Passant:innen zu informieren. Foto: Finn Tayfun Wieschermann für Nordstadtblogger

„Es ist eigentlich ein Kampf gegen Angestellte“ erklärt der Betriebsrat mit Blick auf derzeit laufende Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht. Lieferando stelle die Rechtmäßigkeit von Betriebsräten immer wieder in Frage und ziehe sie vor Gericht.

Riderin Lara erhofft sich vom Streik mehr Sichtbarkeit: Das Thema müsse an die Öffentlichkeit kommen, damit auch die Politik endlich handelt. Sie ist besorgt, dass Lieferando weiter Stellen an Subunternehmen auslagern werde. Dies führe dazu, dass die Belastung zunehme und teilweise nicht einmal ein fester Stundenlohn bezahlt werde. 

„Das sind einfach Arbeitsbedingungen, unter denen keiner arbeiten sollte“, macht Lara deutlich. Statt als Vorreiter mit einem Tarifvertrag die gesamte Branche zu verbessern, stelle sich Lieferando bislang taub. Man werde daher weiterkämpfen müssen.

In Dortmund gibt es viel Solidarität aus der Politik für die Streikenden

Unterdessen zeigen auch Politiker aus Dortmund und NRW ihre Solidarität mit den Streikenden. So betont etwa Fatma Karacakurtoglu, Fraktionsvorsitzende von „Die Linke+“ im Dortmunder Stadtrat und OB-Kandidatin ihrer Partei, die Wichtigkeit des Arbeitskampfes. Unterstützend äußert sich auch die Fraktionssprecherin und OB-Kandidatin der Grünen, Katrin Lögering. 

Verschiedene Gruppen, Parteien und Initiativen unterstützten den Protest in Dortmund. Foto: Finn Tayfun Wieschermann für Nordstadtblogger

Bärbel Sumagang, Bezirkssekretärin für Ruhr-West der Schwestergewerkschaft ver.di, spricht den Streikenden ebenfalls ihre Unterstützung aus.  „Ihr kämpft den Kampf für die ganze Branche“ betont Ulrich Piechota von der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeit (AfA). 

Seine Parteifreundin, die SPD-Landtagsabgeordnete Lena Teschlade die im Düsseldorf im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales sitzt, warnt vor Angriffen der politischen Rechten auf die Belegschaften. Gemeinsam mit den anderen Politiker:innen schließen sie sich dem Demonstrationszug an der Spitze an.

Die NGG bewertet den ersten Dortmunder Streiktag als Erfolg

Als die Demonstration die Brückstraße in der Innenstadt erreicht, hält Boudih den Zug an. Vor interessierten Passant:innen sowie den Gästen und Betreiber:innen der umliegenden Restaurants und Imbisse ruft er dazu auf, sich mit den Streikenden zu solidarisieren. 

Er erinnert die Menschen vor Ort daran, dass es die Rider:innen sind, die täglich Essen in der Stadt ausliefern. Zu allen Orten und zu fast jeder Zeit. Dafür würden sie jedoch nicht angemessen entlohnt und behandelt. „Lieferando redet von Wertschätzung – ich nenne es Arschkarte.“

Auf dem Frontbanner steht LIEFERSTREIK
Abschluss der Demo auf den Katharinentreppen. Foto: Finn Tayfun Wieschermann für Nordstadtblogger

Die Demo findet ihren Abschluss auf den Stufen der Katharinentreppe. Die Streikenden sind zufrieden und entschlossen: „Das ist erst der Anfang. Es kommt noch viel mehr“ ist sich Riderin Julia sicher. Lieferando müsse verstehen, dass es so nicht weitergeht. Die Politik muss endlich handeln. 

Ihre Kollegin Seyma ist stolz auf die viele Solidarität, die der Streik bisher erzeugt hat. Auch Gewerkschaftssekretär Boudih zeigt sich zufrieden mit der guten Beteiligung und wertet den Streik als Erfolg: „Der Betrieb ist weitestgehend lahmgelegt.“


Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!

Unterstütze uns auf Steady

 Mehr auf dazu auf Nordstadtblogger:

NGG-Warnstreik bei Lieferando in Dortmund: Immer mehr Fahrer:innen organisieren sich

In der Krise boomt das Liefergeschäft in Dortmund: Scharfe Kritik an den Arbeitsbedingungen bei Lieferando

Personalmangel: „Die Gastronomie kocht und bedient nur noch auf Sparflamme“

 

Reaktion schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert