Erfahrungsbericht von Hartmut Neumann: Zum Wohl der Menschen – Als Notfallseelsorger auf dem Rettungswagen

Treffen in der Notaufnahme des Klinikum Mitte - Philipp Büchter, David Winkelkotte, Hartmut Neumann, Notärztin Fatma Topcuoglu. Foto: Carsten Tripp
Notaufnahme: Philipp Büchter, David Winkelkotte, Hartmut Neumann, Ärztin Fatma Topcuoglu. Fotos: Carsten Tripp

Ein Gastbeitrag von Pfarrer Hartmut Neumann

Notfallseelsorge – noch vor gut einem Jahrzehnt fast exotisch, mittlerweile fest verankert und ein wichtiger Arbeitsbereich der Kirchen. Auch in Dortmund ist die NFS (so die Abkürzung) gut aufgestellt. Neben der häuslichen Notfall‐Seelsorge erscheint die „Sondergruppe Großschadenslagen“, auch „Unfalldienst“ genannt, mittlerweile unverzichtbar, eng vernetzt mit dem Notfall‐Team der Feuerwehr. Hartmut Neumann, der selbst seit etlichen Jahren in der Notfallseelsorge engagiert ist, hat jetzt ein Angebot zu einem Praktikum auf einem Rettungswagen (RTW) der Dortmunder Berufsfeuerwehr spontan akzeptiert. Hier seine Erfahrungen, die der langjährige Reinoldi‐Pfarrer ‐ von Haus aus Journalist ‐ während seines zwölfstündigen Einsatzes sammeln konnte.

12 Stunden Einsatztag auf dem Notarztwagen – beschrieben von Reinoldi Pfarrer Hartmut Neumann

Pfarrer und Notfallseelsorger Hartmut Neumann
Pfarrer und Notfallseelsorger Hartmut Neumann

„Da stehe ich vor der Feuerwache 2 an der Lütge Heidestraße hinter dem  Ausbildungszentrum der Feuerwehr in Eving. Es ist 11.30 Uhr, eine halbe Stunde vor Dienstbeginn. Freundlich werde ich an diesem trüben Januartag aufgenommen, empfange die Dienstkleidung und den kleinen „Piepser“, werde eingewiesen in die Örtlichkeit der modernen Wache, nehme die Fahrzeuge des Löschzugs, der Tauchergruppe, den Betreuungsbus, die Notarzt‐PKWs sowie die übrigen Autos des Rettungsdienstes wahr.

Besonders interessant ist der ITW, eine fahrbare Intensivstation, der gerade vorbereitet wird für einen Transport nach Attendorn. Wir überzeugen uns davon, dass „unser“ Rettungswagen komplett ausgestattet ist. Dann treffen wir uns zum Appell mit der Wachabteilung, die mittags für 24 Stunden ihren Dienst beginnt. Die Aufgaben werden verteilt, Kai von der Feuerwehr Hannover und ich werden vorgestellt. Wir fühlen uns sofort akzeptiert, aufgenommen in die „Feuerwehr‐Familie“. Jetzt heißt es warten auf den ersten Alarm. Wir sitzen im Aufenthaltsraum und reden miteinander. Ein Schluck Limonade, ein Biss ins mitgebrachte Brötchen.

Plötzlich piepst der Melder, der sich am Gürtel meiner Einsatz‐Kleidung befindet. Carsten, David und ich rennen in die Fahrzeughalle. Aus dem Drucker laufen Informationen zum ersten Einsatz sowie eine Anfahrt‐Beschreibung. Einsatzjacke und Handschuhe sind schnell übergezogen. Das große Tor öffnet sich und die Fahrt beginnt, zunächst nur mit Blaulicht, dann auch mit Martinshorn über die Evinger‐ Münster‐ und Leopold‐ Straße in Richtung Dietrich‐Keuning‐Haus.

„Krampfanfall“ lautet das Stichwort auf dem DIN‐A‐4‐Zettel, der den Einsatzort näher beschreibt. Als wir dort eintreffen, ist Notärztin Fatma mit Rettungssanitäter Philipp bereits vor Ort. Ein Mann liegt auf dem Parkweg. Die Blutung im Bereich des Mundes ist zum Stillstand gekommen.

Krampfanfall, Sturz, Atembeschwerden, Panik – nur Teilaspekte für Notfalleinsätze

Mit vereinten Kräften legen wir den schwergewichtigen Patienten auf die Trage, bringen ihn in den Rettungswagen, wo weitere Untersuchungen und Behandlungen erfolgen. Gleichzeitig werden Angaben zur Person erfragt. Es geht zum Klinikum Mitte in die Beurhausstraße. Wir übergeben ihn in der Not‐Aufnahme an das Krankenhaus‐Personal, bereiten danach den RTW für weitere Einsätze vor, kontrollieren den Medikamenten‐Bestand, legen eine neue Decke auf die Trage und melden uns bei der Leitstelle wieder einsatzklar.

Und schon geht es auch weiter zur „Evinger Mitte“: Hilflose Person nach Sturz auf dem Bürgersteig. Carsten und David nehmen die Trage, ich habe das EKG in der Hand. Die blutunterlaufene Beule oberhalb des Auges sieht bedrohlich aus. Der junge Mann erzählt mir von starken Kopfschmerzen, sagt, dass er im betreuten Wohnen zuhause ist. Wir nehmen ihn mit zum K5, wie Insider das Klinikum Nord nennen.

Anschließend führt der Weg zurück zur Wache. Zeit für einen Kaffee, für Formalitäten, die nach jedem Einsatz nötig sind, Zeit für einen Informationsaustausch mit der Besatzung des zweiten Rettungswagens, der vor einer Stunde in Dienst genommen wurde. In der Innenstadt ist Hektik. Deshalb wurde dieser zeitweise an die Wache 1 „ausgeliehen“.

Nebenan in der Küche sind fünf Feuerwehrmänner damit beschäftigt, das Abendessen vorzubereiten: Gemüsesuppe mit Würstchen und Fleisch. Ein geschmackfördernder Duft steigt in die Nase. Doch noch können wir nicht kosten: „Atembeschwerden in Lindenhorst“. Die 75‐jährige demente Patientin müssen wir mitnehmen, versehen mit einer Atem‐Maske, über die Sauerstoff zugeführt wird. Erneut steuern wir das Klinikum Nord an. Mittlerweile ist es dunkel geworden.

Atempausen, etwas Essen – kaum möglich im Notfalleinsatz für das Wohl von Menschen

Wir fahren zur Wache und nutzen die Verschnaufpause zum Abendessen. Aber der Teller ist noch nicht leer, da regt sich erneut der „Pieper“ an meinem Gürtel. Kurz nach 20 Uhr geht es wieder aufs Auto: „Luft‐Probleme“ werden gemeldet. Wir nehmen das gesamte Equipment mit in die Wohnung.

Die ausländische Mitbürgerin berichtet von zu hohem Blutdruck, den sie ständig mit ihrem kleinen Messgerät kontrolliere. Die Anzeigen auf unserem Monitor zeigen weniger bedrohliche Werte. Wir versuchen sie zu beruhigen und ermutigen sie, die Medikamente nach Anordnung des Arztes regelmäßig zu nehmen und mehr Flüssigkeit zu konsumieren. Familienangehörige unterstützen uns, sagen zu, sich um die Frau zu kümmern. Wir fahren ohne Patientin zur Wache zurück.

Langsam ist es 22.30 Uhr, als wir nach all den Einsätzen den RTW‐Standort an der Lütge Heidestraße wieder erreichen. Die Ablösung ist bereits in den Startlöchern. Wir müssen jetzt einfach noch ein wenig miteinander reden, einiges zu Papier bringen, auch ein Stück abschalten.

Wichtig war es, einen Arbeitsalltag im Rettungsdienst kennengelernt und dabei erfahren zu haben, dass Retter und Notfallseelsorger in einem Boot sitzen – zum Wohl der Menschen, die sich in bedrohlichen Situationen befinden und dabei auf unterschiedliche Hilfen angewiesen sind. Dabei orientieren wir uns am uralten christlichen Auftrag, nicht allein schöne Worte zu machen oder gar wegzusehen, sondern zuzufassen, wenn immer Zufassen geboten ist. Und wir erfahren, dass es gut tut, nicht nur um sich selbst zu kreisen, sondern auch für andere da sein zu dürfen.“

Reaktionen

  1. Evangelische Kirche Dortmund (Pressemitteilung)

    NOTFALLSEELSORGE IN WORT UND BILD

    Notfallseelsorge – was ist das denn?“ lautet das Thema beim Frauen-Abendkreis der evangelischen Kirchengemeinde Brechten am 5. November. Hartmut Neumann wird mit einer Foto-Schau den kirchlichen Arbeitsbereich präsentieren, der mit Feuerwehr und Rettungsdiensten eng verzahnt ist und weithin Anerkennung erfährt. Einen besonderen Stellenwert wird der Bereich „Großschadenslagen“ einnehmen. Die Veranstaltung im Gemeindehaus am Widumer Platz beginnt um 17 Uhr. Der Eintritt ist frei, jedermann willkommen.

  2. DORTMUNDER ALS INSEL-KANTOR (PM)

    Für fast drei Wochen wird der Dortmunder Hartmut Neumann ab Ende Januar als Inselkantor auf Juist tätig sein und den dort wirkenden Kollegen während seiner Abwesenheit vertreten, zuständig für die Gottesdienste sowie für die Insel-Kantorei und die Bläserarbeit. Der Dortmunder ist nicht nur Theologe, 35 Jahre lang als Pfarrer in der Ev. Kirchengemeinde St. Reinoldi sowie als Presse- und Bildungs-Beauftragter im damaligen Kirchenkreis Dortmund-Mitte tätig, sondern auch ausgebildeter Kirchenmusiker für den Dienst in hauptamtlichen Stellen und Journalist. Bereits zum dritten Mal nimmt er die musikalischen Aufgaben auf der ostfriesischen Nordsee-Insel wahr, wo er bereits mehrfach als „Kur-Pfarrer“ agierte und über vielfältige Kontakte verfügt.

  3. Ausbildung zu ehrenamtlichen Notfallseelsorgern Kirchen suchen Helfer ohne Helfersyndrom (PM)

    Wer diese Aufgabe wahrnehmen möchte, der muss starke Nerven haben; zuhören können; und vor allem muss er es wirklich wollen! Denn nur dann investiert jemand nebenberuflich so viel Zeit in eine Ausbildung, die später kein Geld bringen wird – und auch keinen „Spaß“. Wohl aber das Glück oder die Freude, andere Menschen wirklich unterstützen, ihnen beistehen zu dürfen.

    Im Januar wird der nächste Kursus „Notfallseelsorge und Krisenintervention“ im „Zentrum für Seelsorge und Beratung“ des Ev. Kirchenkreises Dortmund starten. Dann kommen die Teilnehmenden fast jeden Donnerstag abends und jeden vierten Samstag mit den Referenten zusammen, um sich grundlegendes Wissen anzueignen: Über Psychotraumatologie, psychosoziale Akuthilfe, Trauer in unterschiedlichen Kulturen, Kommunikationstheorien u.v.m. Der Kurs geht bis Ende Juli; Interessenten sollten sich jetzt bewerben, denn bis zum Advent wird die Teilnehmerliste feststehen. Die Koordinatoren der Schulung und auch des Dortmunder Notfallseelsorge-Teams sind Pfarrer Hendrik Münz für die evangelische und Pastor Meinhard Elmer für die katholische Kirche.

    Hendrik Münz ist auch selbst oft im Einsatz. So kommt er gerade von einem Wohnhausbrand. Die Menschen, die dadurch ihr Zuhause verloren haben, haben ihm erzählt, was passiert ist; sie konnten so schon während des Redens ihre Gedanken ordnen, wieder etwas ruhiger werden. Der Pfarrer hat in erster Linie zugehört.

    „Wer Notfallseelsorger ist, muss sich zurücknehmen können, zuhören. Er sollte sich selbst reflektieren und über sich lachen können, ein sicheres Gespür für Recht und Unrecht haben und ganz praktisch: In der Lage sein, zu einer schlimmen Uhrzeit an einem schlimmen Ort zu sein, um dort zu erleben, was man eigentlich nicht erleben möchte.“

    Das kann nicht jeder. Aber wer es kann und sich hat schulen lassen, der kann Schönes erleben: „Es macht tatsächlich Freude“, sagt der Pfarrer, der u.a. auch Fachberater für Psychotraumatologie und Feuerwehrseelsorger ist. „Das Besondere ist, dass man sofort sieht, dass unser Tun geholfen hat. Man macht die betroffenen Menschen durch seine Anwesenheit wieder handlungsfähig. Wenn sie selbst zum Telefonhörer greifen, um Verwandte anzurufen, dann weiß man, dass sie sich mit der Zeit wieder fangen können.“

    Ein Gespräch beginnt Münz oft mit der Frage „Möchten Sie mir erzählen, was passiert ist?“ Schon allein dadurch, dass die Menschen, die ja „unter Schock“ stehen, mit Ja oder Nein antworteten, gewännen sie ein Stück Kontrolle zurück, so Münz. „Einfach, weil sie etwas entscheiden.“

    Schließlich lässt Münz den Menschen seine Visitenkarte da. Sie dürfen ihn gerne nochmal anrufen. Aber ein Therapeut, das sei er nicht. Doch könne er ggf. weitervermitteln. Beispielsweise an die entsprechenden Beratungsstellen des Evangelischen Kirchenkreises.
    Pfarrer Münz möchte gerne andere Menschen dafür begeistern, Notfallseelsorger zu werden. So, wie es ja schon 75 in Dortmund sind. Er freut sich auf Gespräche mit Interessenten für die Fortbildung und stellt eine Schulung in Aussicht, die auf jeden Fall auch den eigenen Horizont erweitert.

    Wer gerne Notfallseelsorgender werden möchte, kann unkompliziert Kontakt aufnehmen:
    Pfarrer Hendrik Münz, 0231 / 2 29 62 – 497, hendrik.muenz@ekkdo.de, https://www.notfallseelsorge-dortmund.de/aufgaben

    Noch ein „wichtiger“ Hinweis: Für Notfallseelsorger gibt es kein „Blaulicht für´s Auto“. Münz wurde öfters von Interessenten danach gefragt und musste verneinen. „Der Job ist weder etwas für Menschen mit Helfersyndrom noch mit Profilneurose. Und wir sind auch nicht bei „Cobra 11“. Das ist ein unauffälliges Ehrenamt für patente und empathische Menschen, die gerne andere unterstützen und sich daran erfreuen, wenn das gelingt.“

Reaktion schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert