
Unter dem Motto „Solidarität statt Arbeitszwang“ hat eine kleine Gruppe von Aktivist:innen vor dem Jobcenter Dortmund auf die schwierige Lebenssituation von Leistungsbezieher:innen aufmerksam gemacht. Vor dem Hintergrund angekündigter Kürzungen riefen sie zu mehr Zusammenhalt auf. Anstatt zu kürzen, solle die Politik den Sozialstaat stärken und Bedingungen für neue und gute Arbeitsplätze schaffen.
Das Ziel ist Aufmerksamkeit
Der Morgen des 30. Septembers 2025 beginnt kalt und neblig. Vor dem Eingangsbereich des Jobcenters Dortmund an der Kampstraße hat sich eine kleine Gruppe Aktivist:innen in Stellung gebracht. Unter dem Motto „Solidarität statt Arbeitszwang” wollen die rund zehn Personen ein Zeichen für mehr Respekt und Zusammenhalt setzen. Aus einer Musikbox ertönen Arbeiterlieder und unter einem Aufstellpavillon werden Kaffee, Tee und selbst gebackener Kuchen verteilt.
Ziel der Veranstaltung ist es, auf die Lebensumstände von Arbeitslosen aufmerksam zu machen. In Redebeiträgen wird auf ihre benachteiligte gesellschaftliche Stellung aufmerksam gemacht. Oft sei der Bezug von Sozialleistungen mit Scham verbunden. Den Betroffenen werde eingeredet, sie seien gesellschaftlich weniger wert. Dazu tragen auch Demütigungen durch die Ämter bei.
Mit mitgebrachten Flugblättern versuchen sie, mit Passant:innen ins Gespräch zu kommen. Um 9 Uhr ist das Interesse jedoch zunächst verhalten.
Verständnis schaffen – die Interessen sind die Gleichen
Die Veranstaltung wird durch das Hartz-Café Dortmund organisiert. Menschen, die von Armut betroffen sind, können dort Beratung und Hilfe erhalten sowie Kaffee und Kuchen genießen. Luca und Alexander engagieren sich ehrenamtlich im Hartz-Café und haben die Demo mitorganisiert. Beide wollen aus Gründen des Selbstschutzes nicht mit vollem Namen genannt werden, da sie selbst Sozialleistungen beziehen.

Ihnen liegt viel daran, auf die schwierige Situation von Menschen wie ihnen aufmerksam zu machen. Darüber hinaus geht es ihnen darum, ebenfalls Betroffene zu aktivieren und ihnen eine Stimme zu geben.
Beide machen sich Sorgen, dass die aktuelle Debatte um Kürzungen der Sozialleistungen zu harten Einschnitten bei den Betroffenen führt. Luca betont, dass es sich dabei um existenzielle Sorgen handelt. Für viele gehe es darum, wie sie ihre Miete bezahlen und ihre Kinder versorgen können. Mit ihrer Rhetorik spiele die Politik mit den Ängsten dieser Menschen.
Dabei müsse die Politik sozialpolitisch umdenken. „Idealer Weise wäre eine Erhöhung des Bürgergeldes, eine unbürokratische Leistungsgewährung, eine flexible Anpassung der Kosten für Unterkunft und darüber hinaus freiwillige Angebote zur Bildung und zur Selbstorganisation von betroffenen Menschen notwendig“ betont Luca. Für Alexander ist es ein großer Wunsch, dass die Menschen – egal ob mit Arbeit oder ohne – nichtmehr gegeneinander ausgespielt werden. „In Wahrheit sind unsere Interessen die gleichen“ macht er deutlich.
Das Ziel des Sozialstaates darf nicht darin bestehen, Menschen in irgendeine Arbeit zu stecken. Vielmehr müsse die Vermittlung darauf abzielen, eine Arbeit zu finden, die zu den jeweiligen Betroffenen passt. Dabei muss insbesondere auch die körperliche und geistige Gesundheit im Fokus stehen. Das Ziel besteht darin, bessere Arbeitsbedingungen für alle zu erkämpfen.
Folgekosten von Wohnungslosigkeit sind immens
Mit dabei ist die Anwältin Steffi Eulitz. Sie unterstützt das Hartz-Café und ist seit Jahren in der Sozialberatung tätig, zeitweise war sie Richterin am Sozialgericht Dortmund. Eulitz ist es wichtig, auf die besonders prekäre Situation von manchen arbeitslosen Menschen aufmerksam zu machen. Darunter zählen etwa Drogensüchtige, Wohnungslose oder ältere und kranke Menschen. Die Kommunikation mit den zuständigen Ämtern fällt diesen besonders schwer. Besonders digitale Angebote könnten einige von ihnen gar nicht wahrnehmen.

Menschen ohne gültige Ausweispapiere stehen zudem vor großen Herausforderungen. Oft dauert es Monate, manchmal sogar Jahre, bis sie ihre Anspruchsberechtigung nachweisen können. Davon sind vor allem Ausländer betroffen. Viele von ihnen müssen ihre Papiere durch die Botschaften oder Konsulate ihrer Heimatländer organisieren. Das ist ein sehr langwieriger und bürokratischer Weg.
Sie blickt der aktuellen Debatte um Sozialkürzungen pessimistisch entgegen. Besonders die Idee, Wohnpauschalen einzuführen, sieht sie kritisch: „Anders als das Bild von gewissen Politikern gerne mal vermittelt wird, leben die Leute nicht alle in Berlin Mitte im Loft für 2.500 Euro im Monat“ stellt sie klar.
„Man muss ja nur durch Dortmund gehen, wir haben hier genug Obdachlosigkeit“ macht sie mit Blick auf die Folgekosten deutlich. Im Schnitt sei diese deutlich teurer, als den Betroffenen einfach eine Wohnung zu bezahlen. Zudem gingen damit auch negative Folgen für die lokale Wirtschaft und das Lebensgefühl in der Stadt einher.
Eulitz wünscht sich, dass die Politik in Zukunft auf Polemik in der Debatte verzichtet. Vielmehr müsse man auf Maßnahmen setzen, die die Wirtschaft langfristig stärken, beispielsweise durch die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Vielen Betroffenen geht es gesundheitlich und mental schlecht.
Kürzungen bedrohen die Arbeitsbedingungen aller
Christopher Davis, Gewerkschaftssekretär der anarchistischen Kleingewerkschaft FAU (Freie Arbeiter*innen Union) mit bundesweit rund 1.800 Mitgliedern, hat sich dem Protest angeschlossen. Für ihn ist die Ankündigung, Sozialleistungen zu kürzen, auch als Drohgebärde gegenüber der arbeitenden Bevölkerung zu verstehen. Durch Druck sollen die Menschen demnach dazu gebracht werden, zu schlechteren Arbeitsbedingungen zu arbeiten.
„Aus gewerkschaftlicher Sicht wünschen wir uns, dass die Menschen über die Verschärfung in der Sozialgesetzgebung informiert werden, darüber nachdenken und sich im Idealfall organisieren und dagegen aktiv werden“, stellt er heraus. Straßenproteste könnten dazu beitragen, über diese wichtigen Themen aufzuklären.
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