„Wie soziale Herkunft über Bildung entscheidet – Ballonfahrt oder Hürdenlauf?“

Diskussion über sozialen Aufstieg und Bildungsgerechtigkeit

Es gab viele Fragen, Anregungen und Diskussion über das Thema Bildungsgerechtigkeit. Foto: Louisa Beer für nordstadtblogger.de

„Sozialer Aufstieg durch Bildung“ gelingt in Deutschland weiterhin viel zu selten. Und das hängt auch am Bildungssystem. Dies war der Konsens einer Veranstaltung des Sozialinstituts Kommende Dortmund und der GEW Dortmund. Dabei ging es auch um die Rolle des zweiten Bildungswegs und um strukturelle Hürden auf diesem Weg. An der Diskussion beteiligten sich Professorin Christina Möller, die an der FH Dortmund zu Ungleichheit forscht und selbst am Westfalenkolleg ihr Abitur nachholte, sowie Wanda Klee, die das Kolleg heute leitet. Sie diskutierten mit Volker Maibaum und Claudia Schwarz.

Sozialer Aufstieg durch Bildung ist kein Heilmittel für eine ungerechte Gesellschaft

Christina Möller gelang der soziale Aufstieg vom Hauptschulabschluss zur Professur. Sie und ihr Umfeld hielten diesen Bildungsweg damals aber aufgrund ihrer sozialen Herkunft lange für „maximal unvorstellbar“, erzählte sie.

Trotz ihres persönlichen Erfolgs kritisiert sie das struktur-konservative und selektive Bildungssystem in Deutschland. Sie warnt auch davor, den sozialen Aufstieg durch Bildung als Heilmittel gegen soziale Ungerechtigkeit zu sehen. Wenn Bildung allein die Lösung wäre, würde das ja bedeuten, dass sich sonst nichts verändern müsse.

Doch Veränderung ist dringend notwendig – da sind sich alle an diesem Abend einig. Besonders kritisiert wurde von vielen Teilnehmenden, dass Deutschland als weltweit fast einziges Land schon bereits nach der vierten Klasse Kinder in verschiedene Bildungswege sortiert.

Ist jede:r seiner Glückes Schmied?

Dieses trennende Schulsystem müsse weg, forderte auch Wanda Klee. „Wenn man auf Leistung guckt und sagt, es ist ein Marathon und alle müssen über die Ziellinie, dann werden die einen bis zum Kilometer 40 mit dem SUV hingefahren und andere müssen laufen, vielleicht sogar noch mit einem Kind auf den Schultern.“

Foto: Louisa Beer für nordstadtblogger.de

Argumente für das System würden seit 45 Jahren nicht besser – sie würden nur ständig wiederholt.  Zu viele würden noch an das Leistungsprinzip „jede:r ist seines Glückes Schmied“ glauben, das unser Bildungssystem faktisch nicht verkörpert.

Gerade die Verlierer:innen im System glaubten so, dass es ihre eigene Schuld sei, wenn sie aus der Schule herausfallen, obwohl sie durch strukturelle oder soziale Gründe benachteiligt sind und oft im privaten Kontext noch viel zu stemmen haben.

Zwischen den Welten

Selbst wenn der Aufstieg im Bildungssystem gelinge, sei der Preis hoch. Denn es gehe dabei viel um Alleinkämpfertum: Man verlasse sein Umfeld und bewege sich weg von seiner sozialen Herkunft.

Das mache es umso schwieriger, diesen Pfad zu verfolgen, da oft das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten fehle. Zudem könne bei Aufsteiger:innen das Gefühl entstehen, dass sie zwischen den Welten stehen und keinen Rückhalt haben. Umso wichtiger sei es, dass es Menschen in den Bildungseinrichtungen gebe, die ermutigen und Hilfe leisten, auch psychologisch, so Klee.

Der Traum von der Bildungsgerechtigkeit

Diskutierten: v. l.: Volker Maibaum, Professorin Christina Möller, Wanda Klee und Claudia Schwarz. Foto: Louisa Beer für nordstadtblogger.de

Von Bildungsgerechtigkeit wird an diesem Abend nicht viel geträumt, stattdessen oft wiederholt, dass keine wirkliche Besserung in Sicht sei. Denn gerade privilegierte Gruppen, die oft auch politisch stark sind, verteidigen das aktuelle System, weil sie davon profitieren.

Doch das Interesse an dem Thema zeige, dass Menschen auch Hoffnung haben und etwas verändern wollen. Möller findet: „Bildung sollte Menschen empowern, mit den Herausforderungen unserer Zeit umzugehen und kritische Geister zu werden. Sie sollten nicht heruntergemacht werden, sondern das Gefühl bekommen: Du kannst das! Bildung hat folglich die Macht, Leben komplett zu verändern und damit die Gesellschaft, in der wir leben. Deswegen ist es wichtig, sie gerechter zu machen.“


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