
Die Tarifreform des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr (VRR), die am 1. März 2025 in Kraft getreten ist, soll den Nahverkehr übersichtlicher und einfacher machen. 75 Prozent der bisherigen Ticketoptionen fallen weg, Preisstufen werden reduziert, das Deutschlandticket und der eezy-Tarif bilden das neue Rückgrat des Systems. Während der VRR die Reform als großen Fortschritt feiert, gibt es auch deutliche Kritik.
Reduzierung der Preisstufen sorgt für deutliche Kritik
Bislang gab es sieben Preisstufen, die sich nach Stadtgröße und Verkehrsangebot richteten. Diese wurden nun auf drei reduziert. Besonders betroffen sind Kund:innen, die bisher günstigere Preisstufen nutzen konnten. ___STEADY_PAYWALL___

Für eine gewisse Gruppe bedeutet dies eine Verteuerung, erklärt Heiko Holtgrave vom Bündnis Sozialticket NRW. Das Ticket der ehemaligen Preisstufe A1 verteuerte sich durch die Umstellung erheblich.
Die günstigste Stufe wurde abgeschafft, alle VRR-Kund:innen zahlen nun den Preis der teuersten Stufe A3. Das betreffe vor allem Menschen aus kleiner Städten.
DSW21 verweist darauf, dass sich in Bezug auf Dortmund nichts ändere, da Dortmund immer schon zur Stufe A3 gehörte.
Wegfall von Kurzstreckentickets trifft Gelegenheitsfahrer:innen
Holtgrave bemängelt zudem den ersatzlosen Wegfall des Kurzstreckentickets. Bisher konnten Fahrgäste für 2,20 Euro kurze Strecken zurücklegen, nun kostet die günstigste Fahrt mindestens 3,60 Euro.

Dazu sagt DSW21: „Das Kurzstreckenticket wurde kaum genutzt. Die meisten Kund:innen profitieren nun von klareren Tarifstrukturen oder können auf den eezy-Tarif ausweichen.“
Doch der eezy-Tarif setzt eine Smartphone-Nutzung voraus. Menschen ohne mobiles Endgerät oder Bankkonto sind damit benachteiligt, gibt Holtgrave zu bedenken.
Monatstickets werden für bestimmte Gruppen deutlich teurer
Besonders stark betroffen sind Nutzer:innen der bisherigen Preisstufe C. Diese wurde abgeschafft, sodass sie künftig das Ticket der alten Preisstufe D zahlen müssen.

Die Mehrkosten für die Monatskarte Ticket2000 der Preisstufe C steigen in diesem Fall um rund 50 Euro.
DSW21 hält dagegen: „90 Prozent der Fahrgäste zahlen künftig weniger als zuvor.“ Wer durch die Reform deutlich mehr Geld ausgebe, solle sich bei den Kundencentern beraten lassen, ob es nicht eine günstigere Alternative gebe.
Im Fall vom Ticket2000 der Preisstufe C handele sich darüber hinaus um eine verschwindendgeringe Zahl an Abos.
Sozialticket immer noch zu teuer – Senkung auf 29 Euro gefordert
Auch die Sozialverbände sind nicht ganz zufrieden: Der Sozialverband VdK NRW zeigt sich auf Anfrage grundsätzlich offen für eine Vereinfachung des Ticketsystems, plädiert aber dafür, dass die Reform möglichst barrierefrei erfolgen soll.

Das Deutschlandticket Sozial kostet 48 Euro, ein zu hoher Preis, wie der VdK NRW auf Anfrage mitteilt. Auch das VRR-Sozialticket werde auf 47,60 Euro angehoben.
Das betrifft vor allem die Menschen im Ruhrgebiet, die eine höhere Armutsquote aufweisen. „Teure Ticketpreise schränken Mobilität und damit Teilhabe ein.
Der VdK NRW fordert daher seit langem ein Sozialticket für 29 Euro“, erklärt der VdK NRW.
Eezy-Tarif und Bargeldabschaffung: Zukunft des Ticketverkaufs?
Der VRR setzt stark auf digitale Lösungen. Das eezy-Ticket, bei dem per App pro Kilometer abgerechnet wird, soll das Einzelticket ergänzen.

„Viele unserer Kund:innen wünschen sich digitale Lösungen“, so DSW21. „Der Ticketkauf per Smartphone ist komfortabel und reduziert den Verwaltungsaufwand.“ Doch was ist mit Menschen ohne Smartphone, fragt sich Holtgrave, der sich Sorgen um eine fehlende Barrierefreiheit im ÖPNV macht.
Ab 2026 plant der VRR zudem die vollständige Abschaffung von Bargeld in Bussen und Bahnen, allerdings nicht in Kundencentern. Menschen ohne EC- oder Kreditkarte könnten dann nicht mehr spontan Fahrkarten kaufen. DSW21 spricht hier von einer gewünschten Modernisierung.
Ein riskantes „Poker-Spiel“ ums Deutschlandticket?
Doch ein Punkt der Reform ist offensichtlich: Die große Zuversicht, dass das Deutschlandticket weitergeführt werden wird. Dabei gerät das immer mehr zum Spielball der Landespolitik, eine Weiterfinanzierung ist bisher nicht gesichert.

Heiko Holtgrave spricht in diesem Fall von einer „Kannibalisierung“ der eigenen Ticketangebote, da der VRR, und mit ihm die DSW21, alles auf das Deutschlandticket zu setzen. Sollte das Deutschlandticket nicht weitergefördert werden, würde das bei den neuen Ticketpreisen zu einer direkten Preiserhöhung für alle Verbraucher:innen führen.
DSW21 hält daran fest, mit dem Deutschlandticket eine Vereinfachung des Ticket-Sortiments erreicht zu haben und bleibt optimistisch: „Wir vertrauen darauf, dass Bund und Länder eine langfristige Lösung finden. Unser Ziel bleibt ein möglichst einfacher und bezahlbarer Nahverkehr.“
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Reaktionen
Erneute Preiserhöhung und Teil 2 der VRR-Tarifreform – VRR nimmt seine Kundschaft aus (PM Sozialforum Dortmund)
Die Verantwortlichen im VRR verlieren immer mehr an Bodenhaftung. Die „Große Tarifreform“ hatte bereits in der ersten Stufe eine Reihe von Fahrgastgruppen benachteiligt. Jetzt kommen weitere Gruppen hinzu.
Die sogenannte Tarifreform hatte schon in ihrer ersten Stufe zahlreiche Fahrgäste schlechtergestellt: Vormalige Nutzerinnen und Nutzer des Kurzstreckentarifs sowie der Tarife A1, A2 und C müssen seit dem Wegfall dieser Tarife Anfang 2025 deutlich mehr für ihre Fahrten zahlen als zuvor. Komplett abgeschafft wurde zudem das Monatsticket bzw. Abo Ticket1000. Gewinner dieser „Reform“ gab es keine – nur Verlierer. Und natürlich viele Menschen, für die sich durch den Umbau nichts änderte. Unter dem Strich dürfte der Verkehrsverbund damit auf Kosten der genannten Fahrgastgruppen erhebliche Mehreinnahmen erzielt haben.
Für diese Ungerechtigkeiten hat der Verbund weder damals noch heute plausible Gründe vorgebracht. Das alles diene – so die offizielle Begründung – allein der Vereinfachung des Tarifsystems, „zum Nutzen aller“. Bei den betroffenen Gruppen handele es sich im Übrigen nur um recht kleine Fahrgastgruppen, die man deshalb vernachlässigen könne – auch wenn das niemand offen ausgesprochen hat.
Doch von kleinen Gruppen kann keine Rede sein: Laut VRR-Statistik wurden im Jahr 2024 monatlich noch rund 360.000 Kurzstreckentickets verkauft. Und 1,5 Millionen Fahrgäste pro Monat nutzten Tickets der Preisstufen A1 oder A2. „Wenige?“ fragt man sich. Ihnen wurden zum Teil erhebliche finanzielle Belastungen aufgebürdet. Wer zuvor im A1-Tarif unterwegs war, musste für sein Ticket2000 ab dem 1. Januar 2025 15 Euro im Monat mehr zahlen. Noch härter traf es die Nutzerinnen und Nutzer der alten Preisstufe C: Für sie stieg der Preis eines Ticket2000 über Nacht um gut 50 Euro im Monat, im Abo immer noch um 44,60 Euro.
Diese Vorgehensweise zieht sich wie ein roter Faden auch durch den gerade beschlossenen zweiten Teil der Tarifreform. Das Sortiment an Tickets soll zum 1. Januar 2026 weiter reduziert werden. Die geplante Abschaffung der (neuen) Preisstufe C zugunsten landesweit geltender, aber teurerer Tickets kommt zwar vorerst nicht, ist aber nur aufgeschoben. Auch die beschlossene Abschaffung des 2-Waben-Tarifs folgt derselben Argumentationslinie: Eine mit der Abschaffung verbundene Mehrbelastung betreffe „nur sehr wenige Menschen“ (vgl. WDR-Bericht vom 25.09.2025).
Das Preissystem des VRR ist durch den Wegfall mehrerer Preisklassen zwar übersichtlicher geworden, zugleich aber auch ungerechter. Alle Fahrgäste, die bislang für ihre Wege eine der entfallenen Preisstufen nutzten, sind gezwungen, Tickets der nächsthöheren Preisstufe zu kaufen.
Die zum 1. Januar angekündigte Anhebung der Preise um durchschnittlich 4,9 Prozent – nach bereits 5,5 Prozent im Vorjahr – bedeutet für die Kundschaft weitere Härten.
Kopfschüttelnd nimmt das Sozialforum Dortmund zur Kenntnis, dass der VRR diese Anhebung als „moderat“ und „maßvoll“ bezeichnet. Jeder Arbeitnehmer würde sich freuen, wenn er zum nächsten Ersten 4,9 Prozent mehr Lohn in der Tasche hätte – vom Bürgergeldempfänger ganz zu schweigen.
Von der kommenden Preiserhöhung ausgenommen werden lediglich Tickets im digitalen eezy-Tarif. Das verwundert kaum, denn dieser Tarif wird gemeinsam mit anderen Verkehrsverbünden in NRW angewandt und soll die Digitalisierung des Ticketwesens vorantreiben. Der VRR empfiehlt eezy häufig als „Alternative“ für jene, die durch Tarifumstellungen Mehrkosten tragen müssen, aber zu selten fahren, um ein Abo abzuschließen.
Lothar Ebbers vom Fahrgastverband Pro Bahn hat diese Entwicklung öffentlich kritisiert: Eezy helfe nicht allen, da nicht jede*r ein Smartphone besitze oder eine App bedienen könne – was einem Verstoß gegen die Barrierefreiheit des ÖPNV gleichkomme. „Wenn sie kein Netz haben, müssen sie auf den Bartarif umsteigen, und wenn ihr Handy schlapp macht, sind sie Schwarzfahrer“, so Ebbers gegenüber dem WDR.
Betroffen sind vor allem ältere Menschen sowie Personen mit geringem Einkommen, die vielleicht ein Smartphone besitzen, aber kein belastbares Konto. Auch wer aus Datenschutzgründen keine Ortungsdienste aktivieren möchte, ist ausgeschlossen. Denn das eezy-Ticket funktioniert nur mit aktiviertem Geotracking – Ein- und Ausstiegspunkte werden über das Handy bestimmt.
Die Verantwortlichen beim VRR scheinen davon unbeeindruckt. Der ideale Kunde, so scheint es, ist aus ihrer Sicht technikaffin, mobil, finanziell abgesichert – und möglichst unkritisch. Diese Ignoranz ist bedauerlich.
Fast 120 Euro für eine Monatskarte der Preisstufe A oder 3,80 Euro für eine Einzelfahrt (laut Preistabelle 2026) – wen wollen die Verkehrsbetriebe damit noch vom Auto in Bus und Bahn locken? Unsere Befürchtung: Der ÖPNV in der Region wird durch diese Politik langfristig geschwächt.
Sozialforum Dortmund
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