taz-Tour: Perspektiven auf die Zukunft der deutschen Industrie und das Ruhrgebiet

Podiumsdiskussion zur De-Industrialisierung in Deutschland

(v.l.): Die taz-Redakteurin Anja Krüger mit Anja Weber (DGB-Bezirk NRW), Utz Kowalski („DIE LINKE+“ Dortmund), Achim Truger (Ökonom, Mitglied der Wirtschaftsweisen) und taz-Redakteurin Anastasia Zejneli. Javad Mohammadpour

Die Tageszeitung „taz“ ist auf Seitenwende-Tour: Sie stellt um auf digital und wird in Zukunft nur noch am Wochenende als gedruckte Zeitung erscheinen. Ein Symptom für den Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft, den das Redaktionsteam zum Anlass nahm, um mit Expert:innen in Dortmund u.a. über den Wirtschaftsstandort Ruhrgebiet zu sprechen.

Deutschland stark im Export – aber auch von Importen abhängig.

„Haben wir das Ende der Industrie, so wie wir sie kennen, erreicht?“ fragt taz-Redakteurin Anastasia Zejneli in die Runde auf dem Podium im Sweet Sixteen-Kino. In einem Halbkreis sitzen die geladenen Gäste Achim Truger (Ökonom und Mitglied der Wirtschaftsweisen), Anja Weber (Chefin des DGB-Bezirks NRW) und Utz Kowalski (Co-Fraktionsvorsitzender von „DIE LINKE+“ im Dortmunder Stadtrat). Zejneli moderiert die Veranstaltung gemeinsam mit Anja Krüger, ebenfalls taz-Redakeurin.

Achim Truger urteilt über die aktuelle Lage: „Die jetzigen Prognosen haben vorerst keine gravierenden Wohlstandsverluste zur Folge.“ Nicht zu verkennen sei allerdings die unstete Zollpolitik der USA: „Es war schwierig herauszufinden welche Zölle gerade gelten“, so der Wirtschaftsweise. Die Verschärfung der Beziehung zwischen den USA und China beeinflusse die Konjunktur in Deutschland ebenfalls. Deutschland exportiert seit 1952 mehr als es importiert. Die deutsche Wirtschaft ist also davon abhängig ihre Ware im Ausland zu verkaufen – gleichzeitig aber auch stark auf Importe angewiesen.

Utz Kowalski sieht Handlungsspielraum – er betont die Wichtigkeit der Stärkung des deutschen Binnenmarktes. Aus seiner Perspektive ist eine Stärkung der Binnenkonjunktur aber nur möglich, wenn die Menschen finanzielle „Spielräume“ hätten.

Über 77 Prozent der Beschäftigten sind im Dienstleistungssektor tätig

Wie es um die Industrie steht, beurteilt DGB-Vertreterin Anja Weber aus gewerkschaftlicher Perspektive: „In Nordrhein-Westfalen haben wir wirklich eine dramatische Lage.“

Anja Krüger, Redakteurin der taz (links) mit Anja Weber, DGB-Bezirk Nordrhein-Westfalen Javad Mohammadpour

Weber denkt, dass die Schieflage bei großen Firmen wie ThyssenKrupp, Volkswagen oder auch der Stellenabbau in der chemischen Industrie nur die „Spitze des Eisberges“ sind.

Auch wenn die Dienstleistungsbranche zunehmend an Bedeutung gewinne, könne sie die Probleme nicht auffangen: „Ein Wechsel von einem Industrie- in einen Dienstleistungsjob gestaltet sich für die Beschäftigten oft schwierig.“

Doch der Strukturwandel geht weiter voran: Im Ruhrgebiet sind heute bereits über 77 Prozent der Beschäftigten im Dienstleistungssektor tätig – die Arbeitsbereiche sind breit gefächert: Ob Rechtsanwalt oder Arbeitsplatz im Gesundheitswesen bis hin zu Tourismus und öffentlicher Dienst.

Weniger Gewerbesteuer führt zu Finanzlöchern bei den Kommunen

Die Kommunen sind gefordert, aber gerade sie bekommen die Folgen des Strukturwandels stark zu spüren. Kowalski beschreibt die Lage in Dortmund: „Wir haben sinkende Einkommensteueranteile. 16 Millionen Euro weniger als geplant sind durch die Gewerbesteuer in den Finanztöpfen der Stadt gelandet.“ Dortmund habe keine Großindustrie, sondern es seien primär viele kleine bis mittelständische Unternehmen, die die Wirtschaft trügen.

Utz Kowalski (links) mit Achim Truger Javad Mohammadpour

Wichtig ist dem Vertreter von LINKE+ die Vernetzung der Dortmunder Universitäten zur lokalen Wirtschaft. Es gäbe gute Zukunftsperspektiven für bürgerliche Schichten – für Menschen ohne oder mit geringem Bildungsabschluß sei die Lage auf dem Dortmunder Arbeitsmarkt dagegen schwierig.

Auch Ökonom Achim Truger sieht die starke Abhängigkeit der Kommunen von Steuereinnahmen. Es bedarf für ihn einer gleichmäßigeren Kommunalfinanzierung, „die Lücken füllt“. Konkret nennt er hier die Entschuldung von Kommunen und eine Kommunalsteuerreform als mögliche Mittel, um Kommunen zu entlasten. Anja Weber ergänzt, dass am Ende auch viele Demokratieprojekte von finanziellen Kürzungen durch weniger Einnahmen aus der Wirtschaft gefährdet seien.

„Wenn der Staat gibt, muss er auch Bedingungen stellen.“

Eine Industrierezession zeichnet sich ab – so sieht es Truger. Bereits seit 2018 „geht es bergab“. Pandemieeffekte und die Energiekrise durch den Ukraine-Krieg hätten diesen Trend verstärkt. Er sieht für die deutsche Industrie zwei zentrale Probleme: „Sie ist kostenintensiv und – durch Konkurrenz aus China – auch zunehmend nicht mehr wettbewerbsfähig.“ China werfe „Kampfpreise“ auf den Markt und besetze Nischen. Dies sei allerdings nur durch starke Subventionierungen des Chinesischen Staates möglich.

„Um auf dem globalen Markt wettbewerbsfähig zu bleiben“, so Truger, „ist der Staat gefordert Investitionen zu tätigen.“ Anja Weber wirft ein: „Wenn der Staat gibt, muss er auch Bedingungen stellen.“ So müsse der Staat die Investitionen nach und nach zurückfordern, wenn die Unternehmen Gewinne erwirtschaften würden. Außerdem müsse geprüft werden, inwieweit Staatsbeteiligungen an Unternehmen ein sinnvolles Mittel seien. Weber: „Das darf nicht aus ideologischen Gründen ausgeschlossen werden.“

Die Podiumsdiskussion ist in vollem Gange. Javad Mohammadpour

Truger betont es sei wichtig „Know-How und Kapazitäten im Inland abzusichern“, auch um einen ökologisch gerechten Wandel der Wirtschaft garantieren zu können.

„Es muss auf allen Ebenen mehr passieren“, hält Weber fest. Es brauche eine starke Industriepolitik mit einer Vernetzung der lokalen Akteure.

Truger warnt abschließend noch vor dem Risiko des privaten Netzausbaus. Dieser sei aus seiner Perspektive sehr teuer. Es brauche Deckelungen von Energiepreisen, sonst bestehe die Gefahr der weiteren Kostensteigerung für die Industrie.


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