
Zwischen Stehbierhalle und immersiven Asterix-Abenteuern bei Phoenix des Lumieres ist die arc gallery im Tresor.West ein kleines Störfeuer. Sie ist schräg, laut und lustig, auch mal böse – vor allem aber unkonventionell und unkommerziell. Spätestens am „Tag der offenen Clubs“ ist sie einen Besuch wert.
„Kultur braucht Orte und die Szene Platz, um sich zu entfalten“
Die arc gallery im Tresor.West ist und bleibt ein ungewöhnlicher und besonderer Ort für Kunst. Bereits zum zweiten Mal stellt Club Gründer Dimitri Hegemann seine Räume der Medienkunst zur Verfügung. Hegemann weiß: Kultur braucht Orte, die Kreativszene Platz, um sich zu entfalten – warum also nicht den Club, der tagsüber leer ist, auch für andere Zwecke zur Verfügung stellen?

Yoga kann er sich vorstellen, aber auch Kunst findet er spannend – er hofft auf neue Zielgruppen. Denn ja, es geht schon auch ums Geld.___STEADY_PAYWALL___
Zur Eröffnung ist er eigens aus Berlin nach Dortmund gereist und macht in seinem Grußwort keinen Hehl daraus, dass der Club wirtschaftliche Probleme hat. Er weiß aber auch, das geht nicht nur ihm so, das betrifft die ganze Szene.
Seit drei Jahren steht die Anbindung des Tresor.West an die Nachtbuslinie auf seinem Wunschzettel – bis heute ist nichts passiert. Aber Hegemann ist ein Stück weit auch Idealist geblieben. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt und so freut er sich, dass im Tresor.West-Garten sogar Äpfel am Baum hängen.
Kuratorin setzt auf kollektive Kraft und Solidarität
Auch Kuratorin Viv Lennert ist Idealistin. Bereits zum zweiten Mal nutzt sie die Chance der Kunst im Club die Bühne zu bereiten. Lennert kennt die Tag- und Nachtseite und ist in beiden Welten zu Hause. Selbst Künstlerin und Performerin, entwickelt sie auch Bühnenbilder für Theater und leitet – gemeinsam mit Lex Rütten – das nächste Next Level Festival.

Lennert will Netzwerke gestalten und Brücken bauen – dafür pendelt sie aktuell zwischen Dortmund und Berlin.
Wichtig war ihr für diese Ausgabe, dass die Kuration auf einem Open Call basiert. Jede:r sollte die Chance haben, die Idee zählte, nicht die Vita oder der Abschluss an einer Hochschule.
Es galt übergreifend zu denken und Schwarmwissen zu aktivieren. Ihr Motto setzt auf kollektive Kraft und Solidarität: „there is no ‚them‘ in here – it’s just an awful lot of ‚us“.
Der Tresor.West ist das Gegenteil des White Cube
Dank einer Förderung durch Neue Künste Ruhr gelang es, das Angebot verlockend zu gestalten. Honorar, Arbeitsort, auf Wunsch technischer Support und Beratung durch das Dortmunder Story Lab KiU und dazu die Perspektive, die Arbeit auch im Tresor Berlin zeigen zu können.

Entsprechend viele Bewerbungen galt es zu sichten – seit Mitte August sind sieben Positionen in den Höhlen (arcs) und auf den Gängen des Dortmunder Clubs zu sehen. Bei der Eröffnung und zur Finissage gibt es Live Performances.
Elemente bildender Kunst, VR-Experience, Medienkunst – es ist ein vielschichtiger Mix geworden, die Grenzen sind fließend und verschwimmen im Dunkel des Clubs.
Der Tresor.West ist das Gegenteil des White Cube – hier herrscht außerdem Fotoverbot, denn die Mythen der Nacht sollen bewahrt werden. Nicht jede:r hat dafür Verständnis – denn super instagrammable wäre das alles auf jeden Fall.
Die Intensität der Dortmunder Szene trifft auf Berlin
Die Akteur:innen aber kennen die Spielregeln. Sie sind selbst oft Teil der Szene. Zum Beispiel Jana Kerima Stolzer und Lex Rütten. Beide haben bereits in Museen ausgestellt, 2023 hatten sie eine vielbeachtete Einzelausstellung im Hartware MedienKunstVerein. Sie sind aber auch als DJ Duo bekannt.

Für den Club haben sie mit „Miles Down Under“ eine posthumane Unterwasserwelt geschaffen, in der sich zwei Spezies, die nicht voneinander wissen, neu erfinden. Es geht um Isolation, Transformation und die Vorstellung des Anderen und ist eine Weiterentwicklung ihrer bisherigen Arbeiten. Doch es macht einen Unterschied, ob man diese Videos im Museum sieht oder selbst in einer Höhle unter der Erde sitzt.
Auch Rebekka Jochem und Agnetha Jaunich kennen sich auf dem Dancefloor aus. Sie tanzen – und stricken. Über Messgeräte am Körper (Wearables) ermitteln die beiden die Schweißdaten der Tänzer:innen und koppeln sie mit einer Strickmaschine.
Silbern schimmert das entstandene Textilstück aus einer der Höhlen – aufgespannt wie ein Tierfell. Oder ist es vielleicht ein schützendes Kettenhemd? Für „Rave Pattern“ wollen sie weitere Daten sammeln und zu einem „kollektiven Archiv verweben“. Der Rhythmus und die Intensität der Dortmunder Szene soll darin zum Ausdruck kommen und sich vielleicht schon bald mit der in Berlin verbinden.
Finissage und audiovisuelle Live Performance
Wer diese und weitere Postionen sehen will, hat am kommenden Samstag, 6. September, ein letztes Mal die Gelegenheit. Im Rahmen des „Tag der offenen Clubs“ startet das Finissage-Programm um 14.00 Uhr, ab 16.30 Uhr auch wieder mit Live-Performances, u.a. von Wifi Gold.

Trotz der reduzierten Öffnungszeiten waren bislang rund 300 Gäste in der arc gallery – Nachtgäste des Clubs nicht mitgerechnet.
Unter ihnen auch zwei Damen mittleren Alters, die – angelockt durch den Sound – zufällig bei der Vernissage vorbei schauten und zum ersten Mal eine VR-Brille aufgesetzt bekamen. Große Begeisterung über den neuen Kontakt gab es dafür auf beiden Seiten der Brille.
Um 22.00 Uhr schließt die arc gallery ihre Pforten und der Club gehört wieder allein den Raver:innen. Fortsetzung offen. Der Apfelbaum wird weiterhin zu sehen sein.
Mehr Info
- arc gallery „There is no them in here – just an awful lot of us“ Tresor.West, Phoenixplatz, 44263 Dortmund
- Finissage am Samstag, 6.09. von 14:00 bis 20:00 Uhr. Ab 16:30 gibt es eine audiovisuelle Live Performance von Wifi Gold, Swimming TV und Hyra.chi.
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