Neue Welten, fremde Wesen, altes Wissen: ein post-industrieller Spaziergang mit Jana Kerima Stolzer

Das NRW-Stipendium für Medienkünstlerinnen geht nach Dortmund

Bild zeigt Jana Kerima Stolzer in ihrem Atelier
Jana Kerima Stolzer lebt und arbeitet im Dortmunder Künstler:innenhaus. Ihre Arbeit an der Schnittstelle von Medienkunst, Ökologie und Technologie überzeugte die Expert:innen der Jury. Helmut Sommer für Nordstadtblogger.de

Das NRW-Stipendium für Medienkünstlerinnen geht an Jana Kerima Stolzer. Unter 125 Bewerbungen hat die Jury sich für die Dortmunderin und ihr Projekt „HpyerAccu“ entschieden. Was steckt dahinter? Wie arbeitet die Künstlerin und was bewegt sie? Nordstadtblogger hat sie auf einem Spaziergang rund um den Deusenberg begleitet.

In der Nordstadt entstehen komplexe, virtuelle Welten

Jana Kerima Stolzer lebt seit über zehn Jahren in der Dortmunder Nordstadt. Sie arbeitet meist im Duo mit Lex Rütten, beide wohnen im Dortmunder Künstler:innenhaus und haben hier auch ihr Atelier. Für die Jury – die explizit Frauen in der Medienkunst fördern will – war diese Kollaboration aber kein Hindernis.

Bild zeigt Jana Kerima Stolzer in ihrem Atelier, im Hintergrund ihr Arbeitsplatz
Jana Kerima Stolzer im Atelier Helmut Sommer für Nordstadtblogger.de

Stolzers Arbeit an der Schnittstelle von Medienkunst, Ökologie und Technologie überzeugte die Expert:innen, denn sie zeichnet sich laut Jury-Statement „durch interdisziplinäre Forschung, einen ausgeprägten Sinn für wissenschaftlich fundierte Erzählungen und den Einsatz modernster visueller Technologien aus.“

Digitale Technologien können Geschichten anders erzählen

Tatsächlich ist diese Schnittstelle von High-Tec und Natur auch im Atelier der Künstlerin erlebbar. Zwischen Computern, Screens und Mischpulten gibt es Pflanzen und einige Katzen – in Keramik, im Bild und drei sind sogar echt.

Jana Kerima Stolzer in ihrem Atelier, im Hintergrund ihr Arbeitsplatz
„Ich steck hier mitten im Medienwahnsinn.“ Helmut Sommer für Nordstadtblogger.de

Auf der Fensterbank drehen sich solarangetrieben kleine Plattformen mit Steinen und Fossilfunden. „Ich liebe die Natur, habe ursprünglich Fotografie studiert und Digitalkameras gehasst“, erinnert sich Jana Kerima Stolzer. „Und nun steck ich hier mitten im Medienwahnsinn“ – sie lacht. 

Video, Sound, Text und digitale Technologien wie 3D-Scanning und KI-basierte Sprachsynthesen erscheinen ihr heute geeigneter, die Geschichten zu erzählen, die ihr wichtig sind.___STEADY_PAYWALL___

Es geht darin um unsere Umwelt – „besser Mit-Welt“, so Stolzer. Über die Zerstörung der Natur, der Ökosysteme, den Klimawandel und seine Folgen erzählt sie auf neue Weise, nicht nur aus der menschlichen Perspektive. 

Perspektivwechsel: Kunst mit Nicht-Menschlichen Akteuren im Zentrum

Wie es aussehen kann, wenn man die Perspektive wechselt, konnten Besucher:innen bereits in einigen Ausstellungen erleben. Die erste institutionelle Einzelausstellung fand im Sommer 2023 im Dortmunder U statt. Für den Hartware MedienKunstVerein inszenierte das Duo Stolzer/Rütten eine bunte Show in der Pflanzen, Bakterien, Pilzen und andere Mikroorganismen die Hauptrolle spielten. 

Weitere Projekte folgten – zuletzt waren Arbeiten in der Ausstellung „Hypercreatures – Mythologien der Zukunft“ im Max Ernst Museum Brühl und in der Ausstellung „Tatort Paderborn: Der Fluss bin ich“ zu sehen. 

Der Weg des Wassers führt auch durch Höhlen: Videostill aus der multimedialen Installation „Ponor“, hier mit Feuersalamander. Stolzer/Rütten

Es sind komplexe Geschichten, für die am Computer ganze Welten visualisiert werden und die sich nicht an unserer menschlichen Vorstellung von Zeit und Raum orientieren. In der für Paderborn entwickelten multimedialen Installation „Ponor“ folgen Betrachter:innen den unterirdischen Wegen des Paderwasser und schließen Bekanntschaft mit uralten Käfern, Fledermäusen und anderen Höhlenlebewesen.

Die Phantasiewelten erinnern an die Ästhetik von Computerspielen, sind inspiriert durch die Natur und basieren auf wissenschaftlicher Forschung. „Für Ponor waren wir mit einem Höhlenforscher unterwegs“, berichtet Stolzer. Sie recherchiert im Netz, studiert Forschungsergebnisse, liest aber auch mal Science Fiction, um sich mit den Themen vertraut zu machen. 

Es geht ums Verstehen, aber auch ums Erleben

In den faszinierenden Bildwelten steckt viel künstlerische Arbeit, aber auch die Texte sind ihr sehr wichtig: „Die Texte gehen den Bildwelten oft voraus, daran sitze ich oft Monate.“ Nach der Recherche gelte es eine Auswahl zu treffen, alles zu kürzen und daraus eine Erzähltext oder auch einen Song zu machen.

Bild zeigt Jana Kerima Stolzer im Gespräch mit der Journalistin
Interview im Wäldchen: Nordstadtbloggerin Daniela Berglehn mit Jana Kerima Stolzer auf dem Deusenberg. Helmut Sommer für Nordstadtblogger.de

„Das ist ein harter Prozess“, so Stolzer, „denn ich möchte komplexe Sachverhalte so leicht wie möglich erzählen.“ Es soll nicht zu abstrakt sein, nicht belehrend, vielmehr „poetisch, aber auch verständlich.“ 

Verstehen, das ist ihr wichtig – aber auch das Erleben: „Workshops und Spaziergänge, wie wir sie während der HMKV-Ausstellung gemacht haben, gehören für mich dazu.“ Sie will nicht nur in der Kunstwelt sein, sondern auch in der Natur.

Beispiel Deusenberg: Welche Chancen für neues Leben entstehen?

Also raus aus dem Atelier und Richtung Hafen, weiter entlang am Kanal, über die Emscher und zum Deusenberg. Das ist auch ihre Joggingstrecke. „Als ich 2015 nach Dortmund kam, standen die Robinien hier noch in Reih und Glied. Sie waren vielleicht drei Meter hoch,“ erinnert sich Stolzer. Nun ist am Deusenberg schon ein kleiner Wald entstanden. 

Videostill „Pionea”, 2023, im HMKV (Lex Rütten & Jana Kerima Stolzer) HMKV_Presse

„Die Robinie ist ja inzwischen beinahe eine Hasspflanze, weil sie invasiv ist“, erzählt Stolzer, „aber das ist ja nur die eine Seite. Trotz schwieriger Bedingungen kann der Baum hier wachsen, lockert den Boden auf und legt die Basis für einen neuen Wald.“ 50 Jahre kann das noch dauern, aber spielt das eine Rolle? Die Natur folgt einer anderen Zeitlichkeit 

Stolzer: „Solche post-industriellen Landschaften interessieren mich besonders. Ich möchte die Potenziale dieser alten Infrastrukturen erforschen. Nicht nur auf die Zerstörung schauen, sondern auf die Chancen für neues Leben, das hier entsteht“

Dank des Stipendiums kann sie nun „Hyperaccu“ weiterentwickeln. Darin hinterfragt sie eine „Grüne Zukunft“, die sich als Irrglaube heraus stellen könnte. Wer liefert die Rohstoffe für die Batterien unserer Elektroautos? Wohin mit den Abfällen der Windräder, den alten Photovoltaik-Panels? „Ich fürchte, wir verlagern die Probleme, statt sie zu lösen“, so Stolzer.

Im Mittelpunkt der Geschichte werden Pflanzen wie der Nickelbaum stehen. Sie gedeihen auf giftigen Untergründen und können diese auch aus kontaminiertem Boden extrahieren. Mehr als 500 Pflanzenarten haben solche besonderen Fähigkeiten.

Eine Art Hacking für Menschen, denen die Natur fremd geworden ist

„Kunst kann Wissen vermitteln und Emotionen ansprechen“ – das will sie nutzen, da ist sie durchaus auch Aktivistin: „Ich würde gerne Aha-Effekte auslösen. Dass Menschen eine Videoarbeit sehen und danach anders in die Welt, in die Natur schauen.“

Bild zeigt Jana Kerima Stolzer in der Natur
„Wir brauchen ein neues Miteinander aller Lebewesen“, findet Jana Kerima Stolzer Helmut Sommer für Nordstadtblogger.de

Den Nicht-Menschlichen-Lebewesen eine Stimme zu geben, heißt für sie auch deren Bedeutung wieder ins Bewusstsein zu rufen: „Wir sind Teil eines gemeinsamen Netzwerks und brauchen ein neues Miteinander aller Lebewesen“, ist Stolzer überzeugt. Ihre Medienkunst kann hier einen Zugang bieten – eine Art Hacking für Menschen, denen die Natur fremd geworden ist.

Und wo sieht sie ihre Zukunft? „Ich werde weiter an diesen Themen arbeiten, werde nächstes Jahr Teil einer interdisziplinären Forschungsgruppe an der Ruhr Universität Bochum sein – und irgendwann ende ich vermutlich als Hexe im Wald.“ 


Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!

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